26. November 2019

Brot als Rettung. Frieder Schuller im Zeitungs-Café Hermann Kesten

Frieder Schuller folgte der Einladung des Nürnberger Kulturbeirates zugewanderter Deutscher und las am 14. November ein Fragment aus „Dr. Draculescu“, seinem neuesten Roman, dessen Erscheinen bis Jahresende angekündigt ist. Moderiert wurde die Lesung souverän und sehr gut vorbereitet von Josef Balazs.
Der Name Frieder Schuller hat zahlreiche Zuhörer angelockt. So reisen aus München an Dr. Lilia Antipow vom Haus des Deutschen Ostens, Hans Peter Schuster vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas und Konrad Klein. Dabei waren auch die beiden Dorfschreiber Thomas Perle und Dagmar Dusil. Sie alle wurden von Josef Balazs begrüßt.

Balazs gibt Einblicke in das Werk Frieder Schullers, verweist auf seine Vielseitigkeit und Güte. Er führt durch die Biographie Schullers, des Dichters und Theatermachers, der in zwei Welten lebt. Schuller ist der Autor zahlreicher Lyrikbände und so ist es nicht verwunderlich, dass der Abend mit der Rezitation zweier Gedichte begann. Den Ausschlag für das erste, „Siebenbürgische Dorfnamenfahrt“, gab das Verbot in kommunistischen Zeiten in Rumänien, als keine deutschen Namen mehr genannt werden durften. Schuller rettete so die deutschen Dorfnamen: „Auf Urwegen über verfallene Treppen“ führt die Fahrt über unzählige Dörfer, „schließlich und endlich muss keiner mehr ins Wurmloch flüchten/ und ein Katzendorf zurücklassen,/ durch das nur noch Erinnerungen Radeln …“.
„Man muss die Sachen weniger pathetisch sehen“: ...
„Man muss die Sachen weniger pathetisch sehen“: Frieder Schuller nach der Lesung mit Dagmar Dusil, der Dorfschreiber-Preisträgerin von 2018, und Thomas Perle (Mitte), dem aktuellen Dorfschreiber von Katzendorf. Foto: Konrad Klein
Der Moderator möchte an Katzendorf anknüpfen und erfragen, wann das Abenteuer Katzendorf beginnt, doch Schuller blockt ab. „Mit meiner Geburt“, lautet die Antwort. Aus. Schluss. Josef Balazs schluckt. Der Gast ist König. Und wie nachfolgend in „Des Bischofs Brotzeit“ das Brot die Sachsen rettet, so rettet das 1980 geschriebene Gedicht „Palukes“ über den befremdlichen Moment hinweg. Schuller liest, und der Zuhörer erfährt, was es mit dem Palukes auf sich hat, „man nehme stehle stehe Schlange schmuggle/ Maismehl händevoll und lasse es rinnen/ geduldig ins kochende Wasser“ und dann koche man den Palukes so lange, bis man ihn in eine Schüssel „umsiedeln“ kann. Das Publikum ist begeistert und applaudiert.

Doch nicht die Lyrik, sondern die Prosa soll im Mittelpunkt stehen. Frieder Schuller liest ein Fragment aus dem Roman „Dr. Draculescu“, das den Titel „Des Bischofs Brotzeit“ trägt. Das Fragment beruht auf einer historisch belegten Tatsache, die kurz in den Memoiren des siebenbürgischen Bischofs Friedrich Müller-Langenthal erwähnt wird.

„Das Jahr 1952 scheuchte Gerüchte auf. Straßenhunden gleich liefen sie durch die aufgeschreckte Stadt, fraßen sich durch Bangen und Hoffen, hinterließen an Baum und Ecken übelriechende Nachrichten. Wir werden verschleppt, über die Karpaten getrieben, die Rumänen liefern uns den Russen aus, unsere Häuser reißt sich das Gesindel unter den Nagel.“

So beschreibt Schuller die Atmos­phäre der frühen 50er Jahre, als Angstwellen sich ihren Weg durch das Sachsenvolk bahnten, als es hieß, das Sachsenvolk soll „zersiedelt“ werden. Das wollte der Bischof verhindern. Mit Brot, denn „Brotbacken, das verstehen meine Sachsen. Ich kann es nicht, die Kommunisten noch viel weniger, also müssen die sächsischen Frauen Brot backen und unsere evangelische Gemeinschaft retten“, so der Bischof.

Eine Fahrkarte nach Bukarest war das erste zu überwindende Abenteuer. Und danach kam Genosse Schuster ins Spiel. „Allerdings ein ausgewiesener Kommunist, sogar ein gefeierter Illegalist, aber gezeugt von christlichen Eltern.“ Ja, der Bischof und der Genosse Schuster, sie waren sich schon mal 1927 nach einer Großdemonstration in Berlin vor dem Reichstag über den Weg gelaufen, der eine ein Gärtnergeselle, der andere Student der Theologie, „aber beide applaudierten bei der Rede eines Ernst Thälmann und pfiffen beim Gebrüll eines Goebbels“.
„Das Sachsenbrot hat eingeschlagen“: Frieder ...
„Das Sachsenbrot hat eingeschlagen“: Frieder Schuller bei seiner Lesung in Nürnberg. Rechts Moderator Josef Balazs. Foto: Konrad Klein
Schuller erzählt, fabuliert, beschreibt, unterhält mit feiner Ironie. Lässt seinen Bischof den Genossen Bodanasch, den zweiten mächtigen Mann im Lande, in Bukarest aufsuchen. Mit einem Brot, von sächsischen Frauen gebacken und in Kronstadt im Zug in Empfang genommen, ein Brot, umweltfreundlich in einem Säckchen mit Leinenstickerei verpackt. Bodanasch, selbst ein halber Ungar und einmal evangelisch getauft, war begeistert.

Letztendlich siegte das Brot, das Brotrezept aus dem Kochbuch der Martha Liess, von der Frau Bischof ihrem Mann in die Tasche geschmuggelt. Denn so argumentierte der Bischof: „Unsere Leute sind nur als Gemeinschaft stark“. Zugegen bei diesem denkwürdigen Gabelfrühstück waren noch der Rabbi Moses Nelken und der Einflüsterer des orthodoxen Patriarchen. Und was der Rabbi sagte: „Wir lebten nebeneinander, und es war nicht gut. Wir lebten gegeneinander, und es war schlecht. Bleibt nur die dritte Möglichkeit, füreinander zu leben.“

Mit einem sächsischen Hausbrot überzeugte der Bischof, denn „es ist der Inbegriff des Lebens. Es vereint Gegensätze wie Himmel und Erde, Licht und Dunkel.“

Die Lesung ist zu Ende. Es folgt ein Augenblick der Stille, bevor geklatscht wird. Vieles hat nachdenklich gestimmt. Und viele von Frieder Schullers geäußerten Gedanken sind aktueller denn je.

Doris Hutter dankt von Seiten des Kulturbeirates Frieder Schuller und weist auch auf das Anliegen des Kulturbeirates hin, zu retten, was zu retten ist. Vielleicht sollte dieses ein Hinweis sein, mehr auf das Gemeinsame zu achten als auf das Trennende.

Dagmar Dusil

Schlagwörter: Lesung, Nürnberg, Frieder Schuller, Katzendorf, Lyrik, Prosa

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