19. September 2019

"Was in meiner Lebensstunde getan werden muss" - Dem Schriftsteller Joachim Wittstock zum Achtzigsten

Am 28. August 1939 in Hermannstadt geboren, wurde Joachim Wittstock vor Kurzem 80 Jahre alt; unvermeidlich die Fußnote: Er wurde auf den Tag genau 290 Jahre nach Goethe geboren. Mir ist kein Schriftsteller siebenbürgischer Herkunft bekannt, der so wie er einen historischen Moment in der jüngsten Geschichte unseres Volksstammes in wenigen Sätzen auf den Punkt brachte – jene bis in den letzten Lebenswinkel hinein alles verdüsternden Jahre 1958/59 des stalinistischen Terrors in Rumänien: Verhaftungen und bombastisch-groteske Verfahren gegen eine erhebliche Anzahl siebenbürgischer Deutscher, z.T. mit Todesurteilen:
„... Herbst 1958 bis Sommer 1959. Redewendungen drängen einen ins gedankliche Klischee: Der Puls setzte aus; man verlor die Sprache und war keines Wortes mächtig; das Blut erstarrte einem in den Adern. Das sind (...) sprachliche Fertigteile, als solche erhärtet, doch geeignet, die Lage anzudeuten. Manche Mitarbeiter verlor man für Jahre. Andere für immer. Kalendaristisch gesehen, war das Kontinuum für Monate unterbrochen, psychisch (...) waren es Jahre. Denn wer kann eine gewisse Verstörung und Verkrampft­heit übersehen (...), eine Irritation, die man wettzumachen suchte durch willig angenommene (...) Direktive.“ (Neue Literatur, 40/1989, S. 95, 96; Bukarest)
„Es spricht wenig dagegen, an jener Stelle zu ...
„Es spricht wenig dagegen, an jener Stelle zu verbleiben, wo man zur Welt kam und sich in jungen Jahren aufgehalten hat“: Joachim Wittstock, aufgenommen im Juni dieses Jahres auf dem Huetplatz in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Bildhaftigkeit wie sachliche Prägnanz dieser Feststellungen blieben unüberboten. Die stalinistische Gnadenlosigkeit des Bukarester Gheorghiu-Dej-Regimes erhielt sich über den Tod des sowjetischen Monsters am 3. März 1953 hinaus, kurzlebiger „leichter Liberalisierung des Kulturlebens“ (Günter Volkmer) zum Hohn. Die Historikerempfehlung, über jene Epoche diejenigen befinden zu lassen, die sie selbst erlebten und erlitten, ist weise und verdient Beachtung. Ein Blick auf die von Romulus Rusan erarbeitete „Liste der rumänischen Staatsbürger deutscher Nationalität, die in kommunistischen Gefängnissen, Lagern etc. umkamen“, zeigt, dass von den rund 600 namentlich Verzeichneten ausnahmslos alle während der genannten Epoche den Tod fanden.

Joachim Wittstocks knappe, direkte Formulierung fällt m.E. umso mehr ins Gewicht, als ich in ihm eher einen Autor zögernd bedachter Wortwahl und des vorsichtigen Umgangs mit der Sprache von Anbeginn an kennenlernte – ich denke z.B. an „Blickvermerke“, 1976. Als ich weitere seiner frühen Bücher las wie etwa „Ascheregen“, 1986 (Neuauflage 2018), wurde mir endgültig klar, dass ich es nicht mit einem Autor des offensiven, unmittelbaren Antritts zu tun hatte, dass vielmehr hinter der Behutsamkeit des sprachlichen Zugreifens eine Persönlichkeit steht, die sich in betontem Maße moralisch verantwortlich fühlt sowohl für die Qualität der Welt- und Menschenwahrnehmung als auch für deren Umsetzung ins Sprachliche. Nicht allein die Titel seines erzählerischen Werks, auch die essayistischen Arbeiten und die wissenschaftlich jedesmal zuverlässig fundierten Studien tragen dieses Gütesiegel. Es erhielt sich und wurde zum ersten Merkmal der bestimmenden Kraft seiner geistigen Handschrift. Derlei kommt, darf salopp gesagt werden, nicht von ungefähr. Joachim Wittstock versteht sich selbst in bewusst fortgeführter Erbfolge allgemein verantwortlichen Denkens und kultivierten Sprachgebrauchs. Nicht erst der Vater, Erwin Wittstock (1899-1962) – der Beschwörer atmosphärisch genial vorgetragener Novellen und Kurzerzählungen –, verdiente hier die breitere Ausführung. Auf ihn freilich führt sich die Vorstellung Literaturbeflissener zurück, den Namen Wittstock vordringlich mit dem Epischen zu verbinden. Parallel dazu ist Joachim Wittstock im Unterschied zum Vater aber auch der Verfasser beachtlicher Arbeiten im Bereich des theoretischen Schrifttums. Ihr kulturhistorischer Wert kann hier jedoch ebenso nur angedeutet werden. Trotz der Kürze zwei beredte Beispiele.
Joachim Wittstock während seiner Lesung auf der ...
Joachim Wittstock während seiner Lesung auf der Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde in Hamburg im September 1989, die unter dem Motto "Die siebenbürgisch-deutsche Literatur als Beispiel einer Regionalliteratur" stand. Foto: Konrad Klein
Das eine ist der gemeinsam mit der Schwester, Rohtraut, erarbeitete 340 Seiten starke Text- und Bildband „Margarete Depner. Eine Bildhauerin in Siebenbürgen“, 2014. Die überragende Bildhauerin und Zeichnerin (1885-1970), eine Tante Joachim Wittstocks, erfährt in Wort und Bild ein fachlich erstaunlich sicher gearbeitetes kunsthistorisches Denkmal. Das zweite ist ein dem Bildhauer und Zeichner Wilhelm Fabini (geb. 1936) gewidmeter Band; ich erwähne ihn in unserem Zusammenhang aus einem Grund, der mir zugleich für den Margarete-Depner-Band und andere Veröffentlichungen Joachim Wittstocks bezeichnend erscheint. In Wittstocks Vorwort zum Fabini-Band ist eine Anmerkung zu lesen, die zum einen wie ein scheues, nur angedeutetes Selbstbildnis anmutet, zum anderen über den Porträtierten hinaus auf den besonderen historischen Hintergrund seiner Existenz hinweist. Da heißt es: „In Anbetracht unserer schlichten Lebensverhältnisse (in Siebenbürgen; der Verf.) mit der sprichwörtlichen ausgedünnten Personaldecke“ stelle er sich der Aufgabe, die ihm weder durch Ausbildung noch durch schriftstellerische Präferenz zufalle. Doch er, Joachim Wittstock, übernimmt die Aufgabe, weil kein anderer (mehr) dafür da ist ... In der kargen Andeutung erkenne ich, konzentriert, Joachim Wittstocks Persönlichkeit: Es geht nicht um mich, scheint er zu sagen, es geht um das, was in meiner Lebensstunde getan werden muss. Es ist eine Lebensdevise abseits aller ebenso verlogenen wie marktschreierischen Attitüde gewisser Zunft- und Zeitgenossen.
Joachim Wittstock in seinem Arbeitszimmer (2009). ...
Joachim Wittstock in seinem Arbeitszimmer (2009). Foto: Konrad Klein
Ich bezeuge meinen Respekt, vor dem Menschen Joachim Wittstock, den ich als Verkörperung dieser Erkenntnis kennenlernte. Jahre der Kraft und der Erfüllung seien ihm von Herzen gegönnt!

Hans Bergel

Schlagwörter: Wittstock, Schriftsteller, Hermannstadt, Jubliar, Geburtstag, Bergel

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