1. Mai 2019

"Du spätgeliebtes, wundgeliebtes Mutterland": 29. Deutsche Literaturtage in Reschitza

Die größte Revelatio dieser 29. Deutschen Literaturtage in Reschitza, die vom 11.-14. April stattfanden, war der überraschende Auftritt von Joachim Wittstock, dessen Spitzname zu Recht „der Lord“ ist, in seiner gewohnt makellosen und zurückhaltenden Art als Schauspieler, genauer genommen als Erzähler, in einer szenischen Lesung seines Textes Hades.
Mit verschmitzten aber leuchtenden Augen las der Hermannstädter Schriftsteller sanft gestikulierend, auf einem hohen Stuhl in einer Ecke der Bühne positioniert, zeitgleich zu der teils wild durcheinander laufenden oder hüpfenden sowohl weiß gewandeten als auch bemalten Schauspielerschar (das Ensemble heißt Die Gruppe) von jungen Leuten, von denen sich nur die Spielleiterin und Arrangeurin Carmen Puchianu, selbst Mitakteurin, in streng schwarzen Kleidern abhob. Das zum Teil durch die Hintergrundprojektionen recht unruhig inszenierte, zuweilen auch unschlüssige Bühnengeschehen konnte aber diesem minutiös beschriebenen und dadurch kafkaesk anmutenden, unterschwellig humorigen Text nichts anhaben, ja unterstrich sogar noch seinen subtilen Elan. Der Untertitel lautete „Carpatesca cum figuris“ und so erfolgte auch die Fahrt einer Reisegruppe in die Unterwelt mit dem Fährschiff „Per Scorillo“, dortselbst wurde auf Wunsch des Präsidenten und der großen Wissenschaftlerin nach Erdöl gebohrt, wobei der Hades von untoten Lipowanern besiedelt war. Das Bühnenspiel stand durch seinen Aktionismus in offensichtlichem Widerspruch zum gemächlich dahinfließenden Text, war aber eben dadurch eine Bereicherung.
Joachim Wittstock, Dagmar Dusil, Nora Iuga und ...
Joachim Wittstock, Dagmar Dusil, Nora Iuga und Beatrice Ungar (von links) bei den 29. Deutschen Literaturtagen in Reschitza.
Begonnen hatten die Literaturtage schon am Donnerstag mit einer außerliterarischen Buchpräsentation des 7. Bandes des „Vorindustriellen und industriellen Erbes in Rumänien“ von Dr. Volker Wollmann und des „Handbuchs der Banater Berglanddeutschen“, herausgegeben von Günter König, Karl Ludwig Lupșiasca und Erwin Josef Țigla. Letzterer ist seit Jahren der geschickte Organisator der Literaturtage, getragen vom Kultur- und Erwachsenenbildungsverein „Deutsche Vortragsreihe“ Reschitza sowie unterstützt vom Demokratischen Forum der Berglanddeutschen, vom Kultusministerium, dem Departement für interethnische Beziehungen in Bukarest und vielen anderen Institutionen.

Nach einer vormittäglichen Präsentation eines Bilderbuchkinos der gebürtigen Reschitzaerin und heute in Brunsbüttel lebenden Yvonne Hergane im „Diaconovici-Tietz“ Nationalkolleg wurde die Veranstaltung an ihrem Stammplatz, in der „Alexander-Tietz“-Bibliothek, festlich eröffnet. Joachim Wittstock stellte die überarbeitete Neuauflage seines 1985 zum ersten Mal erschienenen Bandes „Ascheregen“ vor. Eine interessante Neuheit folgte, ein wiederentdecktes Werk Banater Kulturgeschichte, die zweisprachige Ausgabe von Franz Xaver Kappus‘ „Die Peitsche im Antlitz. Geschichte eines Gezeichneten“, die vom Übersetzer Werner Kremm präsentiert wurde. Verfasst mit einem ausführlichen Vorwort von William Totok, übernimmt sie die Originalausgabe getreu bis zu den Druckfehlern und der eigenwilligen Zeichensetzung, etwa des Abbrechens des Satzes, der Aposiopese. Der 1883 in Temeswar geborene Journalist und Autor starb 1966 in Ostberlin und wurde unter anderem durch seinen Briefwechsel mit Rilke „Briefe an einen jungen Dichter“ berühmt.
Joachim Wittstock (links) als Erzähler in seinem ...
Joachim Wittstock (links) als Erzähler in seinem Stück "Hades" mit dem Ensemble „Die Gruppe“ unter der Leitung von Carmen Puchianu. Fotos: Demokratisches Forum der Banater Berglanddeutschen
Anschließend las die Leiterin des Temeswarer Literaturkreises Die Stafette, Henrike Brădiceanu-Persem, zuweilen nostalgisch anmutende Lyrik vor, um danach die Bühne Hans Dama zu überlassen, der die Rolle von Adam Müller-Guttenbrunn als erstem Theaterdirektor des ursprünglichen Kaiserjubiläums-Stadttheaters in Wien aufarbeitete. Zu Sprache kamen auch seine antisemitischen Äußerungen, Hans Dama unterstrich jedoch, dass man diese nicht aus ihrem Kontext herausreißen dürfe und noch genauer analysieren müsse.

Anschließend amüsierte Balthasar Waitz das Publikum – soweit es den Humor goutierte – mit einer Fortsetzung seiner Geschichten aus dem Banat, einem Manuskript, das sich jetzt auf Marienfeld lokalisierte, bevor Carmen Puchianu zum krönenden Abschluss aus ihrem neuen, im Pop Verlag erschienenen Band „Die Professoressa. Ein Erotikon in gebundener und ungebundener Rede“ eindrucksvoll las. Darin stilisierte sie den Tod zum Liebhaber, filterte, so die Autorin, sinnliches Erleben durch den Geist.

Am nächsten Tag meditierte Horst Samson über die Kunst des hohen C, in seinem „Diskurs des Dichters“, einem Essay über seine Motivation des Schreibens, und stellte später sein Buch „Heimat als Versuchung – Das nackte Leben“ sowie den Essayband von Ana Blandiana „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ vor. Der aus Siebenbürgen stammende und jetzt in Backnang lebende Hellmut Seiler las augenzwinkernd „Unddingedichte“ vor, neuere, sowie einige aus seinem Gedichtband „Dieser trotzigen Ruhe Weg“. Edith Ottschofski referierte ihrerseits über den von Michèle Mattusch herausgegebenen Band „Kulturelles Gedächtnis – ästhetisches Erinnern“, einem Sammelband über Literatur, Kunst und Film in Rumänien aus dem Blickwinkel des kulturellen Gedächtnisses. Der Tag ging mit der Präsentation des verdienstvollen Verlegers Traian Pop zu Ende, der neben Eginald Schlattner, Johann Lippet, Dieter Schlesak auch zahlreiche der anwesenden Autoren verlegt. Pop hat sich auf rumäniendeutsche Literatur sowie auf rumänische und georgische Literatur in Übersetzungen spezialisiert und gibt auch zwei Zeitschriften, Matrix und Bawülon, heraus.
Gruppenfoto mit den Teilnehmern der Literaturtage ...
Gruppenfoto mit den Teilnehmern der Literaturtage in Reschitza, jeweils von links nach rechts: Erwin Josef Țigla, Beatrice Ungar, Stefanija Korponai, Hannelore Neurohr, Veronika Haring, Carmen Puchianu, Éva Seiler, Johann Schuth, Werner Kremm, Edda Samson; zweite Reihe: Arnold Schlachter, Benjamin Neurohr, Balthasar Waitz, Edith Guip-Cobilanschi, Edith Ottschofski, Nora Iuga, Aleš Tacer, Joachim Wittstock, Horst Samson; dritte Reihe: Simion Dănilă, Dagmar Dusil, Carol König, Hellmut Seiler, Ivan Korponai: im Hintergrund: Traian Pop.
Der Nachmittag war nach der Lesung des jetzt in Wien lebenden Hans Dama und seines Übersetzers Simion Dănilă den slowenischen Teilnehmern Veronika Haring, Aleš Tacer mit ihrer Anthologie und Ivan Korponai mit seinem Buch „Ein Hauch von Ewigkeit“ gewidmet, bevor es dann ins Theater ging. Am Sonntag wurde die Vernissage mit dem Verband Ungarndeutscher Künstler und Autoren unter dem Titel „Gestern – Heute – Morgen“, eine vielseitigen Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst, u.a. von Ingo Glass, effektvoll von einem Geiger in Szene gesetzt. Das Bonbon der Literaturtage war wie stets die Lesung von Nora Iuga, die nach ihren surrealistischen Gedichten in der Übersetzung von Georg Aescht auch ein auf Deutsch geschriebenes Gedicht vorlas, mit dem Heine-Vers als Titel „Denk ich an Deutschland“. Dieser wurde sogleich ironisch gebrochen von der Aussage: „denk ich an nichts“, um aber in einer finalen Liebeserklärung: „du spätgeliebtes, wundgeliebtes mutterland“ zu münden. Mit Zitaten aus der Literatur, Versatzstücken und surrealistischen Einsprengseln „wie blei, wie fisch im monat mai“ hob es die Stimmung der Zuhörerschaft, die teilweise ihretwegen gekommen war.

Alsdann verortete die Dorfschreiberin aus Katzendorf 2017, Dagmar Dusil selbst Rapunzel zur Entlausung im siebenbürgischen, mittlerweile schon zu einem gewissen Renommee gelangten Örtchen, in ihrem Band „Auf leisen Sohlen. Annäherungen an Katzendorf“, der von Joachim Wittstock vorgestellt wurde. Ein neues Werk von Edith Guip Cobilanschi bezog sich auf das Staunen über Gott und die Welt. Hernach versuchte sich Yvonne Hergane auf dem Terrain des Romans. Ihr „Mutter-Miniaturen“-Manuskript war durch eine deftige Sprache gekennzeichnet, die neben der Bissgurke und dem Deifibratzen auch Banater Wortschöpfungen wie gselchtes Fleisch und Lakl integrierte. Zu guter Letzt stellte Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, den Erzählband von Alexander Hausvater vor, den sie übersetzt hatte und der mit einer bewegenden Geschichte eines Juden als Täter und Opfer zugleich diese durch das opulente Programm zum Teil auch anstrengenden aber nicht zuletzt ertragreichen 29. Literaturtage beendete.

Die Jubiläumsausgabe im nächsten Jahr wird schon Ende März stattfinden und hoffentlich auch wieder Revelationes und Bonbons enthalten.

Edith Ottschofski

Schlagwörter: Literatur, Literaturtage, Wittstock, Reschitza, Lesungen

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