30. April 2019

Gegen das Vergessen: Michael Kroner erinnert an Carl Wolff

Vielen Siebenbürgern ist Carl Wolff (1849-1929) nur vage ein Begriff. Dabei hat der konservative Publizist, Volkswirtschaftler und Politiker die Entwicklung Siebenbürgens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zur Eingliederung Siebenbürgens in den rumänischen Nationalstaat 1918/19 und darüber hinaus entscheidend mitgeprägt.
Als Publizist war Wolff an der Neubegründung des Siebenbürgisch-Deutschen Tagesblattes beteiligt, deren langjähriger Leiter er war und in dem er sich für Belange der deutschen Minderheit innerhalb der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn eingesetzt hat. Vor allem die Verteidigung der Belange der Siebenbürger Sachsen nach der sogenannten „Zertrümmerung des Sachsenlands“ nach 1867 und die Vertretung sächsischer Interessen gegenüber der ungarischen Regierung im Parlament in Budapest lagen dem Politiker Carl Wolff besonders am Herzen. Dabei hat er zwar vor allem die Wahrung sächsischer Belange und die besondere sprachliche und kulturelle Verbindung der Siebenbürger Sachsen mit dem deutschen Kulturraum im Blick, hat aber nicht vergessen, dass in einer Region, in der mehrere Bevölkerungsgruppen nebeneinander wohnen, ein Miteinander unerlässlich ist, also die „gegenseitige Achtung nationaler Rechte“ wichtig ist. Deswegen wendet er sich auch entschieden gegen die Magyarisierungspolitik im Ungarn des 19. Jahrhunderts, die versucht hatte, in diesem Raum eine einheitliche magyarische Sprache und Nation zu erzwingen.

Carl Wolff war ein entschiedener Bewahrer und Verteidiger ererbter Rechte, aber auch ein Erneuerer im wirtschaftlich-industriellen Bereich. Durch die Gründung der Raiffeisen-Genossenschaft in Siebenbürgen und als Direktor der Hermannstädter Allgemeinen Sparkasse versuchte er die ärmere Dorfbevölkerung und Handwerker aus dem Zinswucher privater Kreditgeber zu befreien und durch den Ankauf von Adelsboden die Grundlage für eine landwirtschaftliche Entwicklung zu sichern. Durch die Binnenkolonisation, also die Neuansiedlung besitzloser sächsischer Bauern innerhalb Siebenbürgens versuchte er der Auswanderung nach Amerika entgegenzuwirken. Über die Neugründung von Weißkirch als „Beispiel einer gelungenen Binnenkolonisation“ hat Dr. Michael Kroner in der SbZ Online berichtet.

Im wirtschaftlich-industriellen Bereich hat Carl Wolff die Entwicklung vieler technischer Neuerungen angestoßen. Ihm war klar, dass Siebenbürgen den Anschluss an Mitteleuropa verlieren würde, wenn es den alten handwerklichen Traditionen und den formal aufgelösten Zünften hinterher trauern würde. Er hat ganz praktische, wegweisende technische Projekte angestoßen, wie den Bau des Elektrizitätswerks in Zoodt, der elektrischen Straßenbahn Hermannstadt – Junger Wald – Râschinar u.a. und damit der industriellen Entwicklung in Siebenbürgen den Weg geebnet.

Michael Kroners Monographie skizziert den Werdegang dieses außergewöhnlichen Siebenbürger Sachsen recht genau. Carl Wolff wurde am 11. Oktober 1849 als Sohn einer angesehenen Familie in Schäßburg geboren, der Vater war Stadtarzt, die Mutter Tochter des Pfarrers in Großprobstdorf. Er hat die Schäßburger Bergschule zu einer Zeit besucht, als diese von Größen wie Paul Binder, Michael Albert und Josef Haltrich geprägt war. Mit dem ein Jahr jüngeren Georg Daniel Teutsch, dem späteren Rektor und Bischof, verband Carl Wolff Zeit seines Lebens eine enge Freundschaft und die deutsch-konservative Grundeinstellung.
Wolff studiert in Wien und Heidelberg Rechtswissenschaften und promoviert in Heidelberg und Budapest. Über verschiedene journalistische Tätigkeiten kommt er zum Siebenbürgisch-Deutschen Tagesblatt, dessen Schriftleiter er wird und das er zum Sprachrohr für die Belange der Siebenbürger Sachsen ausbaut. Dabei vertritt er eher die konservative Haltung der sogenannten „Altsachsen“, die „für die ererbten Rechte, den Erhalt und eine sichere Zukunft des Sachsenvolkes kämpften“, während die etwas liberaleren sog. „Jungsachsen“ nach Kompromissen im ungarischen Parlament gesucht haben. Wie die meisten Sachsen orientierte sich Carl Wolff eher an Deutschland und ganz allgemein an der deutschen Kultur als an Österreich. Der Autor geht in dem Zusammenhang auf die Förderung Siebenbürgens durch den „Deutschen Schulverein“ ein, der Carl Wolff grundsätzlich positiv gegenüber stand, weshalb er dem Vorwurf der „Staatsfeindlichkeit“ bzw. der „Magyarenfresserei“ ausgesetzt war. Auf der anderen Seite wurde er wegen seiner konservativen Grundeinstellung häufig des „Opportunismus“ bezichtigt. Michael Kroner zeigt differenziert die Unterscheidung zwischen „Mutterland und Vaterland im Verständnis Carl Wolffs“, bei der Entwicklung einer Haltung zur Nationalitätenfrage, eine Unterscheidung, die sich viele Sachsen bis in die sozialistische Ära Rumäniens zu eigen gemacht haben: Man versteht sich als Bürger eines Staates, gehört aber gleichzeitig dem deutschen Sprach- und Kulturraum an.

Die persönliche und politische Entwicklung Carl Wolffs bettet der Autor Michael Kroner in den historischen und situativen Kontext ein. Er erinnert in wenigen Strichen an die geschichtliche Entwicklung in „Siebenbürgen vom 11. Jahrhundert bis zum österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867“ und legt den Schwerpunkt auf die Epoche der „Doppelmonarchie Österreich-Ungarn 1867-1918“. Hier geht er vor allem auf die Zeit der Magyarisierungspolitik Ungarns ein, mit der sich Carl Wolff so intensiv als Publizist und als Politiker auseinandergesetzt hat.

Nach der biographischen Darstellung des Werdegangs Carl Wolffs erläutert der Autor eingehend neben den „publizistischen Veröffentlichungen“ die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder des Politikers und Volkswirtschaftlers. Er stellt eingehend die Bedeutung und das Wirken der Raiffeisenvereine, der Banken und Kreditgenossenschaften, des Bodenkaufs und der Binnenkolonisation und der Gründung von Industriebetrieben vor. Er belegt diese Ausführungen mit der Abbildung mehrerer Aktien aus dieser Zeit. Er beschreibt die „Beschäftigung Carl Wolffs mit der Elektrizitätsfrage“ und der „Modernisierung Hermannstadts“, dem Bau des Elektrizitätswerks im Zoodt-Tal und der Elektrischen Straßenbahn in Hermannstadt – schöne Schwarzweißfotos der Technischen Anlagen der ­Zentralen Zoodt I & II und einer „Elektrischen“ im Erlenpark veranschaulichen das.

Im letzten Teil der Monographie geht Kroner auf Wolffs Haltung im Ersten Weltkrieg, die „Haltung der Sachsen zum Anschluss Siebenbürgens an Rumänien“ (1918/19) und auf Wolffs Lebensabend ein.

Die Argumentation wird durch eine Vielzahl umfangreicher Zitate belegt. Dabei würde man sich, wie auch bei der Bevölkerungsstatistik genauere Quellenangaben wünschen, um die Zitate noch besser zeitlich einordnen zu könne. Es wird aber nicht immer sorgfältig genug zitiert: In einer Charakterisierung Siebenbürgens als Vielvölkerregion durch G. A. Schuller 1910 kann unmöglich eine Aussage darüber stehen, dass eine „Volksgruppe (...) zum weitaus größten Teil nach dem zweiten Weltkrieg ausgewandert“ sei (S. 12). Die sprachliche Darstellung ist weitgehend anschaulich, lässt aber manchmal den trockenen Ton des Geschichtswissenschaftlers durchscheinen. Etwas befremdlich mutet es an, wenn der Autor Begriffe wie „Volksgruppe“, „völkisch“ oder „Volksgemeinschaft“ in der eigenen Darstellung verwendet. Diese waren im 19. Jahrhundert allgemein gebräuchlich, heute wirkt die Verwendung des historisch vorbelasteten Vokabulars allerdings eher störend. Zahlreiche Schwarzweißfotografien unterstützen die Anschaulichkeit der Monographie.

Im Anhang veröffentlicht der Autor Auszüge aus „Karl Wolff. Schriften und Reden“, die Michael Kroner selbst bereits 1976 im Bukarester Kriterion Verlag herausgegeben hatte. Er macht dadurch dem Leser im letzten Drittel dieses Bandes Originaltexte Carl/Karl Wolffs – es sind beide Schreibweisen gebräuchlich – (erneut) zugänglich.

Die Monographie wendet sich an Leser, die sich eingehend für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Siebenbürgens im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts interessieren und einen bedeutenden konservativen Publizisten, Politiker und Ökonom dieser Zeit kennenlernen wollen – wahrlich einen bedeutenden Siebenbürger, der zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten ist. Der Autor Michael Kroner hat wiederholt auf die Bedeutung dieser Persönlichkeit hingewiesen, von Aufsätzen und Publikationen noch im sozialistischen Rumänien bis zu mehreren umfangreichen Artikeln in der Siebenbürgischen Zeitung. Er hat darüber hinaus eine persönliche Motivation für seine wiederholte intensive Beschäftigung mit Carl Wolff. Michael Kroner ist in Weißkirch bei Schäßburg geboren und hat wie Wolff in Schäßburg die Schule besucht. Er hat bis 1958 in Klausenburg Geschichte studiert und in Bukarest 1972 über Stephan Ludwig Roth promoviert, der in Wolffs Geburtsjahr hingerichtet wurde – und Michael Kroner hat 2015 die Carl-Wolff-Medaille des Verbands der Siebenbürger Sachsen erhalten.

Klaus M. Groß


Carl Wolff: „Siebenbürgisch-sächsischer Publizist, Politiker und Volkswirtschaftler“ (Geschichte der Siebenbürger Sachsen). Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2018, 183 Seiten, 14,20 Euro, ISBN 978-3-946-954-255, zu bestellen im Buchhandel oder beim Schiller Verlag, deutsche Festnetznummer: (0228) 90919557, Internet: www.schiller.ro.

Schlagwörter: Carl Wolff, Monographie, Porträt, Publizist, Politiker, Geschichte, Besprechung

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