24. Februar 2019

Zukunftsszenarien der Zivilgesellschaft in Rumänien

Am 8. Februar versammelten sich mehr als siebzig Teilnehmer zu einem Seminar in der Begegnungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen. „Politische Kultur, Medien und Zivilgesellschaft in Rumänien“ war das Thema. Veranstalter waren die Evangelische Akademie Siebenbürgen und der Evangelische Freundeskreis Siebenbürgen.
Zur Begrüßung wiesen Gustav Binder und Birgit Hamrich auf die Vielfältigkeit der zu behandelnden Themen hin: von Literatur hin zu Politik und Umweltschutz. Den ersten Abend eröffnete Katharina Kilzer mit dem Vortrag „Politische Texte von Ana Blandiana, Dichterin und Leitfigur der Zivilgesellschaft“. „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ fragte Ana Blandiana im Titel ihres 2018 veröffentlichten Buchs politischer Essays (Noack & Block Verlag, Berlin, übersetzt von Maria Herlo und Katharina Kilzer). Das Zitat Hölderlins aus den Brot-und-Wein-Elegien wurde zum Inbegriff ihres Schreibens im Kommunismus und nach 1989. Erst 2016 hatte Blandiana in ihrer Laudatio zur Verleihung der Doktorwürde an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg sich diese Frage gestellt. Sie hinterfragt die geknebelte Existenz ihres Volkes, aber auch den Fortbestand der Europäischen Union nach der Flüchtlingskrise. Ana Blandiana sieht sich nicht als politische Dichterin, aber ihre Rolle als Mahnerin durch Literatur hatte sie im Kommunismus bewiesen. Zur Leitfigur der Zivilgesellschaft wurde sie erst nach der Gründung der Bürgerallianz und der Gedenkstätte Memorial Sighet für die Opfer des Kommunismus und des kommunistischen Widerstands.

Ein besonderes Augenmerk legte die Referentin Kilzer auf die Kinderbücher Blandianas mit dem Kater Arpagic (Steckzwiebel), die zum dritten Veröffentlichungsverbot der Autorin geführt hatten. In dieser Zeit hatte sie auch ihren bisher einzigen Roman „Applausmaschine“ veröffentlicht, der zensiert wurde – in dieser verkürzter Form erschien er 1993 auch in deutscher Übersetzung im Steidel-Verlag 1993. Der anschließende Film über die Gedenkstätte Sighet stimmte nachdenklich, sind doch viele Aspekte des kommunistischen Terrors bis heute nicht bekannt.
Blick ins Plenum. ...
Blick ins Plenum.
Der nächste Seminartag begann mit einer Andacht von Pfarrer Hans Schneider aus Rügland. Roger Pârvu, 1978 in Kronstadt geborene, Programmleiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Neppendorf, der auch als Schauspieler arbeitete und ein Think Tank für regionale Verwaltung leitet, stellte fest: „Alle Menschen haben Furcht“ und fragte in diesem Zusammenhang nach dem Sinn und Zweck eines Rechtsstaats, der im Artikel 1.3 der rumänischen Verfassung definiert wird. Der amtierende Justizminister Tudorel Toader und das Kabinett interpretieren ihn willkürlich nach dem Motto, dass „in verschiedenen Etappen der Rechtsstaat von jedem verstanden werden kann, wie er will“. Die Missachtung des Rechtes führte vermutlich auch zu dem häufigen Ministertausch der jetzigen Regierung, die bereits 27 Minister ausgewechselt hat. Das alles schilderte Pârvu wie aus einem Stück absurden Theaters. Auch auf die schwierige Lage der Minderheiten in Rumänien ging er ein und analysierte die amtierenden Personen und ihre Ämter, beginnend mit dem Präsidenten Klaus Werner Johannis, dem "Sachsen", über den Parteivorsitzenden der PSD, Liviu Dragnea, den „Puppenspieler“, und Călin Popescu-Tăriceanu, den „Wendehals“, von ALDE bis zur Kandidatin für den EU-Generalstaatsanwaltschaftsposten, Codruța Kövesi, die als Leiterin der Antikorruptionsbehörde DNA abberufen wurde. Die Zivilgesellschaft Rumäniens sei immer noch der „schlafende Riese“, der geweckt werden müsse, so der Referent.

Diskutiert wurde auch über die Rolle der EU, die in der rumänischen Bevölkerung sehr hohen Zuspruch (80 %) findet. Die anschließenden Fragen zeugten von großem Interesse, aber auch von der Sorge um die Zukunft Rumäniens, um die Probleme der Korruption und die Rolle der Geheimdienste (etwa acht an der Zahl, die größte Anzahl in Europa), die eingedämmt werden müsste, um die Willkür der politischen Akteure zu verringern. Die Regierung agiert so, „weil wir es können“ („Pentru că putem“, so Codrin Ștefănescu, PSD), um ihre persönlichen Interessen durchzusetzen.
Das Ehepaar Diana und Cătălin ...
Das Ehepaar Diana und Cătălin Mureșan. Fotos: Dr. Egbert Schlarb
Raimar Wagner, 1976 in Reps geboren, seit 2013 Projektkoordinator der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Rumänien, sprach in seinem Vortrag „Von einzelner Unmut zur koordinierten Protestbewegung“ über die Millenials (die neue Generation). Er analysierte die Proteste junger Leute in Zusammenarbeit mit älteren, die auf der Straße Recht einfordern: 2015, als ein Polizist, Begleitperson des damaligen Premiers Oprea, verunglückte, 2016 bei dem Unfall im Bukarester Nachtclub „Colectiv“, 2017 bei den pro-europäischen Protesten und Antiregierungsprotesten in Bukarest sowie 2018 die Rezist-Bewegung der Diaspora in Bukarest. Das Gefühl der Solidarität bei den Jungen ist stark; die Straße stellt die richtigen Fragen: Wie wollen wir den Rest unseres Lebens leben? – und antwortet mit den richtigen Veranstaltungen, Protesten, Internetauftritten, Facebook-Initiativen. „Greeks for democracy“ – eine neue Protestbewegung – sorgt für Unruhe bei den Regierungsvertretern, da man ihnen ständig auf die Finger klopft. Auch die Proteste der Diaspora 2018 hatten eine große Wirkung.

Zwei junge Vertreter der neuen rumänischen Partei, der USR (Union zur Rettung Rumäniens), die in kurzer Zeit mehrfach von sich reden machte, bei den letzten Wahlen 9 % erzielte und mit 40 Abgeordneten im Parlament vertreten ist, Diana und Cătălin Mureșan, beide 1988 in Mediasch geboren, referierten über Entstehung, Erfolge und Ziele der USR: die Erneuerung der politischen Klasse Rumäniens – von der Zivilgesellschaft in die Parteipolitik. Die Mitglieder sind aktiv bei Debatten, hinterfragen und gehen auf die Straße. Die Partei organisiert zum Beispiel täglich einen schweigenden Protest in Hermannstadt vor der PSD-Zentrale unter dem Motto: „Wir sehen euch!“ (Vă vedem!). Presse und Medien sind in Rumänien nicht mehr frei. Daniela Boltres stellte in ihrem Vortrag die Aktionen der Diaspora vor, die im Ausland aktiv ist mit verschiedenen Aktionen wie der „Rezist“-Aktion des Streiks gegen Korruption und willkürliche Gesetzgebung der jetzigen Regierung, der so genannten Lumpendiaspora. Boltres ist mit „Rezist“ hauptsächlich in der Schweiz aktiv.

Der letzte Seminartag wurde mit einer Andacht von Pfarrer Kurt Boltres aus Neustadt feierlich eröffnet. Missstände aufdecken, politische Ungerechtigkeiten anprangern, Plagiate enttarnen, Umweltschutz und vieles mehr möchte Hans Hedrich, Umwelt- und Bürgerrechtsaktivist sowie im Bereich Dokumentarfilm und investigativer TV-/Radio-Reportagen vor allem in Sachen Wälder, Umwelt, Denkmalschutz tätig, Gründungsmitglied des Vereins „Neuer Weg“ mit Sitz in Fogarasch. Er erläuterte anhand einer sehr interessanten Präsentation Plagiatsenttarnungen von Persönlichkeiten, Denkmalschutz, Umweltschutz und was sie durch ihre Aktionen bisher erreicht haben: die Arbeiten im Schiltal gestoppt, die Abholzung in Frage gestellt, den Dracula-Park verhindert, den Zyanidunfall in Baia Mare aufgedeckt. Die „Mutter aller Proteste“ sei das so genannte Goldprojekt in Roșia Montană. Durch Mobilisierung der Zivilgesellschaft, durch nationale Proteste gelang es, das Projekt zu stoppen. Aber auch das Nationalitätenproblem steht auf dem Programm des Vereins. So erklärte Hedrich, dass die Ungarn und Deutschen in Rumänen allgemein zu Feinden erklärt werden durch Verbreitung von Fake-News. Sei es der Kampf gegen Korruption, Misswirtschaft, Plagiat, Verschmutzung der Umwelt, Gewässer, Abholzung der Wälder usw. – wie der Referent bildlich vorführte, sind die Aktionen dieses kleinen Vereins beispielhaft für das, was man bewirken kann, wenn man ernsthaft auf der Spur der Demokratie schreitet und kämpft. Es machte Hoffnung, diesen jungen Leuten zuzusehen, wie sie unerschrocken in Rumänien ihr demokratisches Recht anwenden, auch wenn ihnen dies oft Unannehmlichkeiten bringt wie Anklagen, Verfolgung, aber ein Zukunftsszenario nach dem Motto „Schönheit durch Gleichgewicht“ hat Chancen.

Die zahlreichen Fragen und Statements des Publikums zeugten davon, dass diese Arbeit geschätzt und als notwendig erachtet wird. Abgesagt hatten leider zwei wichtige Vertreter der Zivilgesellschaft in Rumänien: Dr. Dan Cărămidariu aus Temeswar, tätig als Anwalt und Professor, sowie das Mitglied des Europäischen Parlaments Siegfried Mureșan, 1981 in Eisenmarkt (Hunedoara) geboren.

Gustav Binder vom Heiligenhof begleitete die Vorträge als Moderator, Koordinator und guter Organisator des Ablaufs für die Interessenten während dreier interessanter Tage in Bad Kissingen. Die Tagung wurde vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert.

KK

Schlagwörter: Seminar, Rumänien, Zivilgesellschaft, Politik, Bericht

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