27. Januar 2019

Landler Familienchronik

Die Familienchronik „Daheim in der Fremde. Die Geschichte der Familie Beer/Penonre aus Neppendorf“, aufgezeichnet von Samuel Beer, wird eine Vielfalt von Lesern erreichen. Und es wird sich zeigen, dass ein jeder von ihnen etwas ganz Bestimmtes sucht. Der eine möchte vermutlich wissen, was sich hinter der anscheinend widersprüchlichen Behauptung im Titel verbirgt. Denn als zunächst allgemeine Inhaltsangabe weist dieser auf eine historische Wirklichkeit hin, auf die das Leben der im Titel genannten Mitglieder der Familie gewiss eine Antwort gefunden hat. Andere Leser werden in den sich ausschließenden Begriffen „daheim“ und „Fremde“ wohl nach dem Weltgefühl der Mitglieder der Familie Beer suchen, von dem dieses Buch zeugt. Sowohl die einen wie auch die anderen werden mit dem Licht und den Freuden des Buches sicherlich zugleich auch den Frieden und die Geborgenheit dieser Welt – „daheim in der Fremde“ – atmen.
Samuel Beer übernimmt im Unterschied zur traditionellen Gattung der historischen Dokumentation die Rolle des Erzählers als ein Chronist, der dem dargestellten Geschehen nahe steht und sich den historischen Ereignissen immer wieder – erklärend oder erläuternd – nähert. Dies geschieht durch Einschübe, die sich zu selbstständigen epischen Kleinformen verdichten und mitunter als anekdotenhafte Geschichten einen Augenblick oder gewisse Merkwürdigkeiten erfassen oder tiefere Zusammenhänge der dargestellten Lebens- und Zeitabläufe enthüllen. Man möchte meinen, dass die Chronik seiner Familie auf diese Weise zum „Spiegel seines eigenen Geistes“ geworden ist, die er aus einem „überschauenden, besinnlichen Abstand“ darstellt. Allerdings aus keinem „altersreifen Abstand“, wenn auch im Buch „Je älter desto besser. Überraschende Erkenntnisse aus der Hirnforschung“ von Ernst Pöppel nachzulesen ist: „Im Alter können wir 300 Jahre historische Präsenzzeit erreichen. Wir sind in einem lebendigen Geschichtsbuch verankert.“
Eine solche historische Präsenzzeit erreicht auch bei Samuel Beer eine Zeitspanne von fast 300 Jahren. Etwa so viele Jahre sind vergangen, seitdem sich 1734 die Landler in Neppendorf niedergelassen haben und sich die sachlichen und ursächlichen Zusammenhänge der Ereignisse in Samuel Beers Familienchronik in ihrer Chronologie herstellen lassen. Dem Autor – selbst ein Neppendorfer – gelingt es, in seinem Buch diese fast 300 Jahre seiner Familiengeschichte lückenlos wiederzugeben, beginnend mit seinem Urahnen Andreas Beer (1701-1774) – von dem der von Neppendorfern als „Penonre“ (Peer On = Andreas) benutzte „Nebenname“ stammt –, als der mit seiner Frau Maria, geborene Lichtenegger, sein Haus am Kogl in Goisern 1735 verlassen musste und in Neppendorf angesiedelt wurde. Über die äußere stoffliche Gliederung dieser Familiengeschichte hinaus möchten wir an dieser Stelle zugleich auf die innere Gliederung des Stoffes hinweisen. Die Darstellung des „bescheidenen Leben(s) unserer Vorfahren, eingerahmt von Ereignissen aus der Dorfgemeinschaft und der Kirchengemeinde, ja sogar der großen Politik“, lässt „historische Ereignisse mit privaten, profanen Erlebnissen, mit Ritualen des Kirchenlebens sowie volkskundliche Einlassungen“ verschmelzen, um – so der Autor im Vorwort – „ein möglichst plausibles Bild unserer Ahnen zu zeichnen“. Auf diese Weise wird bei Samuel Beer der historische Nachvollzug der Wirklichkeit in seiner „Geschlechterchronik“ zum „Mittel der künstlerischen Weltaneignung“ und der Realismus als Stilmittel zur „überzeitlichen Konstante“. Denn, so Beer: „Der Familienrückblick verknüpft Geschichte mit Geschichten und will keine historisch-wissenschaftliche Abhandlung sein.“

Das Zusammenwirken der Angehörigen der Gemeinde wird anschaulich auch durch die Schilderung von Einzelschicksalen der Familienmitglieder sowie durch die Analyse des Bewusstseins der wichtigen geschichtlichen Ereignisse der Zeit: des Toleranzedikts von Joseph II. wie auch der Situation Siebenbürgens im Österreichischen Kaiserreich und später in Österreich-Ungarn und ebenso des Anschlusses an Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg und der Schicksale durch Enteignung und Deportation nach Russland nach dem Zweiten Weltkrieg, gefolgt von der Auswanderung nach Deutschland Ende des 20. Jahrhunderts. Man möchte meinen, dass es jedoch in jedem einzelnen Fall darum ging, was Karl Jaspers in seinem Buch „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“ als die an die großen Geister aus Politik und Wirtschaft gerichtete Frage formuliert hat: um die auch in dieser Geschlechterchronik von allen „mit vollkommener Einmütigkeit ... von allen Völkern, Menschen, politischen Regimen“ verlangte „Freiheit“ sowie um die Sorge „um die menschliche Freiheit“, die „verloren gehen kann“.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass durch die Beschreibung einzelner Arbeitsvorgänge wie des „Hanf-und Flachsanbaus“, der „Getreideernte“ und des „Seifensiedens“, die für Siebenbürgen typisch waren, die Geschichte der Familie Beer/Penonre auch ethnographisch interessant wird. Denn man kann die Gewissheit gewinnen, dass die Chronik der Familie auch als monographische Kulturforschung verstanden werden kann, aus der die einzelnen Anekdoten aus der Familiengeschichte nicht fehlen, die den Leser erheitern und gleichfalls dazu beitragen, die eigene Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Sara Konnerth


Samuel Beer: „Daheim in der Fremde. Die Geschichte der Familie Beer/Penonre aus Neppendorf“. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2018, 190 Seiten, reich bebildert, 19,90 Euro, ISBN 978-3-946 954-37-8. Das Buch kann auch beim Autor unter Telefon (0711) 446346 bestellt werden.

Schlagwörter: Landler, Familienchronik, Buchbesprechung, Neppendorf

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