11. September 2018

„An der Grenze zur Restaurierbarkeit“: Susanne Karius und Christine Fiedler über ihre Arbeit am Tobsdorfer Chorgestühl

Das nachfolgende Interview mit den beiden Initiatorinnen der Ausstellung des restaurierten Tobsdorfer Chorgestühls (siehe dazu "Tobsdorfer Chorgestühl nach aufwendiger Restaurierung in Hildesheim präsentiert"), Susanne Karius und Christine Fiedler, führte Moni Schneider-Mild.
Liebe Frau Karius, liebe Frau Fiedler, Ihnen beiden ist es in besonderem Maße zu verdanken, dass es diese Ausstellung über die Restaurierung des Tobsdorfer Chorgestühls gibt. Sie haben sie maßgeblich initiiert und in die Umsetzung viel Herzblut und auch so manchen privaten finanziellen Beitrag investiert. Warum war Ihnen das so wichtig?

Susanne Karius: Ich fahre seit 2007 – damals noch als Studentin, nun als Mitarbeiterin – mit der HAWK und mittlerweile auch privat regelmäßig nach Siebenbürgen. Landschaft, Leute und Kultur begeistern mich seitdem immer wieder aufs Neue. Umso schöner war es für mich, die Nachricht zu bekommen, dass wir die Restaurierung des Tobsdorfer Chorgestühls aus Siebenbürgen übernehmen dürfen. Ein Großmöbel aus dieser Zeit, kaum überarbeitet, ist eine Seltenheit und löste sofort Begeisterung aus. Zudem habe ich damals meine Abschlussarbeit über das Intarsienwerk am Kircheninventar in Siebenbürgen geschrieben. Nach so vielen Jahren der Forschung und Restaurierung kann so ein Projekt einfach nur zu einer Herzensangelegenheit werden. Umso schöner ist es jetzt, das Gestühl wieder stehen zu sehen, für die Menschen wieder erfahrbar, als ein Teil ihrer Geschichte. Eine Ausstellung schien ein würdiger Abschluss dieser Restaurierung zu sein. Zum einen, um unseren Beruf des Restaurators mehr für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zum anderen, um das tolle Projekt mit seinen vielfältigsten Arbeiten vorstellen zu können.

Christine Fiedler: Ich gehörte zu der Studentengruppe, die 2010 den Transport des Tobsdorfer Chorgestühls von Großau nach Hildesheim durchführte, und war somit von Anfang an bei diesem Projekt dabei. Im Lauf meines Studiums habe ich viele Maßnahmen an dem Gestühl mitentwickelt und umgesetzt und sogar meine Abschlussarbeit diesem Thema gewidmet. Nach meinem Studium konnte ich meine Erfahrungen in Form von Lehraufträgen an die jüngeren Semester weitergeben. Als abzusehen war, dass sich die Restaurierung des Gestühls dem Ende näherte, kam der Wusch auf, die Ergebnisse der 8-jährigen Restaurierung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Idee, eine Ausstellung zu verwirklichen, war geboren!


Sie beide haben selbst an der Restaurierung mitgewirkt. Was genau war Ihr Themenschwerpunkt? Und wie haben Sie die Arbeit am Chorgestühl erlebt?

Karius: Zunächst oblagen mir die Verwaltung und Organisation unseres eigens gegründeten „Tobsdorfer Archivs“, da durch die Studierenden mittlerweile so viele schriftliche und digitale Arbeiten über das Gestühl vorlagen. Es galt den Überblick zu behalten, auch was die nächsten Maßnahmen am Gestühl anbelangten. Die Restaurierungsarbeiten, die ich am häufigsten durchgeführt habe, waren Reinigung, Festigung, Entschichtung, Kitten und Retuschieren. Die Arbeiten waren immer spannend, abwechslungsreich und man hat immer wieder etwas Neues am Gestühl entdeckt.

Fiedler: Meine Themenschwerpunkte lagen in der umfangreichen Holzfestigung und der Ergänzung verloren gegangener Bauteile mittels Computertechnik. In meiner Abschlussarbeit entwickelte ich ein Verfahren, um mittels Fotografie, digitaler Bildbearbeitung und modernster Drucktechnik großflächige Fehlstellen zu schließen.
Glücklich und zufrieden mit dem Arbeitsergebnis ...
Glücklich und zufrieden mit dem Arbeitsergebnis (von links): Susanne Karius und Christine Fiedler. Foto: HAWK
Was war besonders schwierig und was wird Ihnen positiv in Erinnerung bleiben?

Karius: Besonders schwierig war es, immer wieder neue Lösungen für die verschiedensten Problemstellungen einer so umfangreichen Restaurierung zu finden und den Überblick bei der Größe des Projektes zu behalten. Das Chorgestühl lag an der Grenze zur Restaurierbarkeit. Am positivsten wird mir die erstmalige Wiederaufstellung nach sieben Jahren Arbeit in Erinnerung bleiben und die zu Tränen gerührten Siebenbürger beim Anblick des stehenden Chorgestühls. Das werde ich nicht vergessen. Alleine dafür hat sich die Arbeit gelohnt.

Fiedler: Die Frage, ob es überhaupt möglich ist, ein Objekt mit derart gravierender Schädigung zu erhalten, stellte die größte Herausforderung dar. Besonders der massive Abbau der Holzsubstanz im Inneren der Bauteile ließ zu Beginn des Projekts daran Zweifel aufkommen. Es gab keine Patentlösung für dieses Problem und es war klar, dass viel Entwicklungsarbeit notwendig sein würde. Die Kombination aus einer Volltränkung mit Acrylharz und die Rekonstruktion der Standkanten mittels fortschrittlichster Digitaltechnik stellte die Lösung dar. Diese Methode ist so überzeugend und innovativ, dass ich sie als Highlight des Projekts bezeichnen möchte. Meine persönlich schönste Erfahrung bezieht sich allerdings auf die Reaktion ehemaliger Tobsdorfer, die das Gestühl noch aus Kindheitstagen kannten. Die Rührung und Ergriffenheit, die beim Anblick des wieder aufgebauten Gestühls in ihren Gesichtern zu erkennen war, stellt für mich den schönsten Augenblick dar.


Nun, da dieses Projekt beendet ist, was steht für Sie als nächstes im Fokus?

Karius: Der nächste Fokus liegt darauf, letzte kleine Restaurierungsarbeiten am Gestühl zu vollenden und es dann sicher und wohlbehalten wieder zurück nach Siebenbürgen zu transportieren.

Fiedler: Das Ende eines Projekts hat immer zwei Seiten. Nach acht Jahren fällt eine Trennung nicht leicht und wird von etwas Wehmut begleitet. Allerdings überwiegt die Freude, dass wir es geschafft haben, das Gestühl zu erhalten und für zukünftige Generationen erfahrbar zu machen. Die nächsten Projekte warten schon. Ob es sich um siebenbürgische Objekte, neue digitale Techniken der Restaurierung oder einer Kombination aus beidem handelt, wird die Zukunft zeigen.


Anfang November heißt es dann, von dem langjährigen Studienobjekt Abschied zu nehmen. Wird es ein Wiedersehen geben?

Karius: Mir wird das Tobsdorfer Chorgestühl wirklich sehr fehlen. So schnell werden wir nicht wieder ein so tolles und einzigartiges Großmöbel aus der Spätgotik in unserer Werkstatt haben. Ein Wiedersehen wird es auf jeden Fall geben! Beruflich und privat.

Fiedler: Mit dem Abschluss der Restaurierung ist unsere Arbeit noch nicht beendet. Ein Monitoring, also das Beobachten von Veränderungen im Laufe der Zeit, gehört mit dazu. Wir wollen natürlich wissen, ob sich die durchgeführten Maßnahmen bewähren. Es wird also ein Wiedersehen geben.


Gibt es einen Wunsch, den Sie diesem außergewöhnlichen Möbel auf den Weg mitgeben?

Karius: Mein Wunsch ist es, dass das Gestühl noch lange, lange erhalten und für die Menschen erfahrbar bleibt, denn es stellt in meinen Augen ein sehr wertvolles und interessantes Zeitzeugnis dar.

Fiedler: Ich hoffe, dass das Gestühl als positives Beispiel verstanden wird und das Interesse am Erhalt weiterer siebenbürgischer Objekte geweckt und gefördert wird.


Herzlichen Dank und alles Gute für Sie!

Schlagwörter: Tobsdorf, Chorgestühl, Restaurierung, Projekt, Hildesheim, Mediasch, Kirche

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