11. September 2018

Tobsdorfer Chorgestühl nach aufwendiger Restaurierung in Hildesheim präsentiert

Letztes Stadium der Zerstörung. Das war der Zustand des Tobsdorfer Chorgestühls, als Studierende und Professorinnen der HAWK (Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst) in Hildesheim es entdeckten. Die Restauratorinnen und Restauratoren aus Hildesheim befanden sich auf einem Ausflug und besuchten ganz zufällig die Kirchenburg in Großau, in der eben dieses Gestühl im Depot für gefährdetes Kulturgut der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien eingelagert war. Das war 2006.
Fotos, die den damaligen Fundort dokumentieren, zeigen einen verstaubten Bretterhaufen aus vielen größeren und kleineren Teilen. Eigentlich lässt sich nicht so richtig erkennen, was dort an eine Wand gestapelt liegt. Die Fachleute aus Norddeutschland jedoch untersuchten diesen Stapel und entdeckten, dass es sich um ein Chorgestühl von Johannes Reychmut aus Schäßburg handeln musste. Und zwar aus dem Jahre 1537. Schnell war klar, dass das etwas Bedeutendes war! Diese Vielzahl an Intarsien- und Schnitzdekorationen hatten die Experten zuvor schon an den Chorgestühlen in Birthälm und Schäßburg entdeckt. Dem in seine Einzelteile zerlegten Chorgestühl jedoch hatten extremer Insektenfraß und Nässeeinwirkung bereits enorm zugesetzt, so dass seine Beschaffenheit zum damaligen Zeitpunkt alarmierend war.

Die Projektleiterin der HAWK Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl erinnert sich: „Angesicht des dramatischen Zustands kam uns Restauratoren sofort der Rettungsgedanke und äußerte sich in einem spontanen: Wer, wenn nicht wir?“ Der Entschluss war gefasst: Die Restauratoren der Hildesheimer Hochschule hatten sich die Rettung des Chorgestühls auf die Fahne geschrieben. Das Chorgestühl – tatsächlich sind es zwei Möbel, ein dreisitziges und ein sechssitziges – hat nahezu 500 Jahre in der Tobsdorfer Kirche gestanden, bis es 1999 vom Bezirkskonsistorium in Mediasch aus der verlassenen und von Feuchte bedrohten Dorfkirche evakuiert wurde. Der Großteil der sakralen Gegenstände wie z. B. Altar, Taufbecken und Orgel wurden in die Margarethenkirche nach Mediasch gebracht. Das Chorgestühl allerdings wurde aufgrund seines schadhaften Zustandes in Großau eingelagert.
Das vorgefundene, in seine Einzelteile zerlegte ...
Das vorgefundene, in seine Einzelteile zerlegte Chorgestühl, gleichsam ein verstaubter Bretterhaufen: Die Projektleiterin der HAWK Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl bezeichnete den Zustand als „dramatisch“. Foto: HAWK
Die kühne Entscheidung der Hildesheimer wurde durch einen Vertrag der HAWK mit der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien flankiert, der die Restaurierung und anschließende Rückführung des Gestühls regelt. Das rumänische Denkmalamt stimmte dieser Vereinbarung zu. 2010 schließlich wurde der Abtransport der besonderen Großmöbel vorbereitet. Dabei wurden die katastrophalen Ausmaße der Zerstörung in Gänze deutlich: Große Holzteile waren herausgebrochen, andere Stellen glichen einem Schwamm, so sehr hatten Schädlinge ihnen zugesetzt und schon die bloße Berührung ließ sie zu Staub zerfallen. Der Befall durch Schimmelpilze war derart massiv, dass Atemmasken und Einweg-Overalls benutzt werden mussten. Fachgerecht verpackt konnten die vielen Einzelteile schließlich auf ihre lange Reise gehen.

In Hildesheim wurde dann in ungewöhnlich langer, achtjähriger Projektzeit das Chorgestühl wieder zum Leben erweckt. Die Arbeit, die in diese Kirchenmöbel investiert wurde, war unermesslich! Der Holzwurm musste verlässlich und gründlich bekämpft werden. Poröse Bauteile wurden in Acrylharz gebadet, um die Holzstruktur zu festigen. Anschließend wurde der Erfolg der Arbeiten anhand von Computertomografie-Aufnahmen überprüft. Völlig neue Methoden der Problemlösung wurden erdacht: Die Bruchkanten an den Standkanten des Gestühls – es fehlten bis zu 40 cm Substanz – wurden mittels 3D-Scanner erfasst und die fehlenden Teile passgenau von einer CNC-Fräse ergänzt. Blockintarsien wurden exakt nachgebaut und dann verarbeitet. Das große Loch im mittleren Rückenteil (Dorsal) des Dreisitzes wurde mithilfe unorthodoxer Lösungsansätze und modernster Technik ersetzt: hochauflösende digitale Fotografie mittels UV-Plattendrucker auf dünne Lindenholzbretter aufgedruckt. Eine Mammutaufgabe.

Im November 2017 war endlich Richtfest! Das Chorgestühl wurde in der HAWK erstmals aufgebaut und der überwältigende Erfolg der jahrelangen Forschungs- und Restaurationsarbeit von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Projekts gefeiert.
Wie Phoenix aus der Asche: das restaurierte ...
Wie Phoenix aus der Asche: das restaurierte Tobsdorfer Chorgestühl. Foto: HAWK
Dieses wunderbare Ergebnis jahrelanger Mühen sollte auf jeden Fall auch der Öffentlichkeit publik gemacht werden, dachten sich Susanne Karius und Christine Fiedler, die selbst von Anfang an dabei sind. Sie machten sich nach intensiven Restaurierungsarbeiten am Chorgestühl zusätzlich an die Konzeption und Umsetzung einer Ausstellung. Rasch verfassten sie ein kurzweiliges Begleitheft, strukturierten die Ausstellung ansprechend, druckten Flugblätter und Einladungen. Parallel mussten sie auch noch Sponsoren für die anstehenden Kosten finden. Unterstützt wurden die beiden Wissenschaftlerinnen und mittlerweile Co-Werkstattleiterinnen hier von Prof. Dr. Gerdi Maierbacher-Legl und dem Werkstattleiter Dr. Ralf Buchholz.

Am 28. Juli um 11 Uhr wurde die bis zum 3. August an der HAWK gezeigte Ausstellung eröffnet: Rund 80 Gäste waren ins Auditorium der HAWK gekommen, darunter etliche Fachleute vom Berufsverband der Restauratoren, Sponsoren, wie z. B. die Stiftung Kirchenburgen aus Hermannstadt und das Möbelhaus Ikea sowie Abgesandte der HOG Tobsdorf. Prof. Dr. Maierbacher-Legl begrüßte die Anwesenden sehr herzlich, bevor sie das Mikrofon dem Studiendekan, Prof. Dr. von der Goltz, überließ. Dieser hob in seinem Grußwort die internationale Ausrichtung der HAWK hervor, die europäisch übergreifend und im besten Sinne global agiere und sich durch eine hohe Praxisnähe auszeichne. Er lobte die „großartige, uneigennützige Teamarbeit der sieben Jahrgänge an Studierenden, die oftmals über Fakultätsgrenzen hinweg mit Durchhaltevermögen und gänzlich ohne Überdruss hin zu einem spektakulären Ergebnis gewirkt haben“.

Maierbacher-Legl machte in ihrer Präsentation eine kurze Exkursion zum Vorgängerprojekt, den „Henndorfer Truhen“, und verortete somit das nunmehr schon seit dem Jahr 2000 bestehende Engagement der HAWK für den Erhalt siebenbürgisch-sächsischen Kulturguts. „Ich bin nur derjenige, der die Highlights präsentiert – das ist mir ganz wichtig!“, begann Dr. Ralf Buchholz seinen Vortrag und hob seinerseits den besonderen Zauber des gemeinsamen Wirkens an diesem Forschungsobjekt hervor. Anschließend präsentierte der Fachmann dem Auditorium einige Besonderheiten der aufwändigen Restaurierungsarbeiten, wobei schnell deutlich wurde, dass im Grunde alle Stationen das Zeug gehabt hätten, als Glanzlicht bezeichnet zu werden.

Anschließend ging es zum kulinarischen Teil des Rahmenprogramms, zum Mittagsbuffet, das Studierende, passend zum Thema, aus einer Vielzahl köstlicher Balkangerichte liebevoll zusammengestellt hatten. Frau Maierbacher-Legl hatte ihrerseits das in der siebenbürgischen Küche omnipräsente Auberginenmus (Vinete) beigesteuert. Wer mochte, konnte zur Feier des Tages mit einem Gläschen Sekt auf den einmaligen Restaurierungserfolg anstoßen und sich in lockerer Runde mit den Fachleuten austauschen.

In dem Nachbargebäude wurde bald darauf die Ausstellung eröffnet. Eine bunte Mischung unterschiedlicher Präsentationstechniken – leicht verständliche Infotafeln, didaktische Kurzfilme, haptisch erfahrbare „Handson-Stationen“ – führen leichtfüßig durch das spannende und interessante Thema. In der Restaurierungswerkstatt zu guter Letzt dann die beeindruckende Begegnung mit dem Original: Das schon fast verloren gewähnte Gestühl, das in neuem Glanz erstrahlt – ein Phoenix aus der Asche! In heimeliger Atmosphäre konnten interessierte Gäste sich noch mit Fragen an die Ausstellungsmacherinnen Karius und Fiedler oder an die Projektleitung wenden.

Das gerettete Tobsdorfer Chorgestühl sowie die Ausstellung können anlässlich des „Europäischen Tages der Restaurierung“ am 14. Oktober noch einmal an der HAWK besucht werden (www.hawk.de/bauenunderhalten). Danach werden die beiden Großmöbel aus der Spätgotik vom Campus in Hildesheim verabschiedet und am 4. November ihr neues Zuhause in der Mediascher Margarethenkirche beziehen. Die übereinstimmende Meinung aller Projektbeteiligten lautet: „Wir werden es vermissen!“

Moni Schneider-Mild




Lesen Sie dazu das Interview mit den Restauratorinnen Susanne Karius und Christine Fiedler: „An der Grenze zur Restaurierbarkeit“

Schlagwörter: Tobsdorf, Chorgestühl, Kirche, Restaurierung, Mediasch, Hildesheim, Projekt

Bewerten:

19 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.