30. Juli 2018

„Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“

„Es ist ein großer Schatz, den wir hier in Siebenbürgen noch haben“, begeistert sich Caroline Fernolend, Vorsitzende des Kronstädter Kreisforums (DFDKK), bei der Vorstellung des Bildbands „Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“ von Martin Rill und Georg Gerster vor der Bogeschdorfer Gemeinschaft. Anlass der lang erwarteten Buchpräsentation war das 500. Jubiläum des spätgotischen Flügelaltars, zu dem sich die Heimatortsgemeinschaft erstmals wieder vor Ort versammelt hatte (siehe Siebenbürgische Zeitung vom 20. Juni 2018, Seite 2 und 22). Das Zwischenkokelgebiet sei reich an spätgotischen Altären, von deren Existenz jedoch nur wenige wüssten, klärt Festredner und Pfarrer Dr. Rolf Binder auf.
Abhilfe – nicht nur in Bezug auf Altäre – schafft der Bildband „Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“ mit Texten von Martin Rill und Luftaufnahmen von Georg Gerster. Auf 324 Seiten mit 800 Farbabbildungen und 36 Ortsgrundrissen wird darin ein umfassendes Bild des Kulturraums zwischen der Kleinen und Großen Kokel gezeichnet. Drei Jahre dauerte die Vorbereitung, die dem Historiker Rill etliche Dokumentationsreisen abverlangte. Dieser erklärt: „Das Zwischenkokelgebiet ist eine Kulturlandschaft von besonderer Art. Geprägt von dem jahrhundertelangen Zusammenleben der deutschen, rumänischen und ungarischen Bevölkerung und deren wechselseitigen Beziehungen, bewahrt es ein vielfältiges kulturelles Erbe, das in Europa wenig bekannt ist, obwohl es historisch zu Mitteleuropa gehört. Der Bildband zeigt die Orte des deutschen Siedlungsgebietes mit ihren hervorragenden Denkmälern, die im Kontext ihrer regionalen und ethnischen Umwelt untersucht und dargestellt wurden.“

Nach 1300 siedelten die Sachsen nördlich der Großen Kokel vor allem auf Komitatsboden. Im Zwischenkokelgebiet gründeten sie ca. 40 Ortschaften, die meisten in adeligen Grundherrschaften. Nur acht Orte lagen auf Königsboden, wie Bogeschdorf, wird im Kapitel „Geschichtliche Entwicklung“ verraten. Schon ein Jahrhundert später wurde das Zwischenkokelgebiet zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort: „Fässer voller Wein nahmen den Weg nach Westen und wurden auf den süddeutschen Märkten versteigert“, schreibt Rill. Einen wirtschaftlichen Höhepunkt erlebte die Region im 15. und 16. Jahrhundert: Stattliche Kirchenburgen entstanden und so manche Gemeinde leistete sich Kunsthandwerker von Rang und Namen. Auf die Bedeutung des Weinbaus verweisen unzählige Stilelemente: In Bogeschdorf zieren Weinblätter Konsolen und Eingangsbögen der Kirche, in Baaßen überwuchern Rebenranken die Sakramentsnische, die Felldorfer Sonnenuhr ist von üppigen Trauben umrahmt, die auch den spätmittelalterlichen Taufstein zieren. Die Chance, durch Weinbau zu Wohlstand zu gelangen, scheint man heute wieder zu suchen, schreibt Hans Gärtner im Vorwort: „Viele seit Jahren brachliegende Hänge wurden neu bepflanzt, sodass man der Verkehrsroute den touristischen Zunamen ,Weinstraße‘ zugesprochen hat.“
In Bogeschdorf kann man sich von der hervorragenden Qualität des Kokelweißweins überzeugen: Im Weingut Terra Regis, 2006 vom nach Deutschland ausgewanderten Bogeschdorfer Helmuth Gaber gegründet, werden neben internationalen Sorten auch traditionelle Trauben wie Königsast (Fetească Regală) und Riesling wieder angebaut.

Hohe Vollständigkeit – kaum bekannte Details

Die 36 beschriebenen Gemeinden – Baaßen, Belleschdorf, Bonnesdorf, Bogeschdorf, Bulkesch, Durles, Elisabethstadt, Felldorf, Großalisch, Großprobstdorf, Halvelagen, Hohndorf, Irmesch, Johannisdorf, Kirtsch, Kleinalisch, Kleinblasendorf, Kleinlasseln, Kleinprobstdorf, Langenthal, Maldorf, Maniersch, Marienburg, Michelsdorf, Nadesch, Pruden, Puschendorf, Reußdorf, Rode, Schmiegen, Schönau, Seiden, Wölz, Taterloch, Zendersch und Zuckmantel – erschließen sich nicht nur über ihre Kirchenburgen. Das Bild ergänzen Dorfhäuser, Rathäuser, Schulen und Pfarrhäuser, Gemeindebauten, Schlösser und Kirchen anderer Konfessionen.

In den sächsischen Kirchen wird auf architektonische Details, Fresken, Inventar und bewegliches Kulturerbe großes Augenmerk gelegt – Gebetsteppiche, Glocken, Abendmahlskelche, Uhrwerke, Sonnenuhren ... Dabei steht nicht die künstlerische Darstellung im Vordergrund, sondern das sachliche Erfassen und Beschreiben, im Detail sowie im Kontext. Luftaufnahmen erschließen interessante Zusammenhänge: In Halvelagen „blicken“ alle Häuser in Richtung Kirchenburg; in Bogeschdorf verbindet ein überdachter Gang das Pfarrhaus mit dem Bering.

Was den Bildband auszeichnet, ist ein hoher Anspruch an Vollständigkeit, aber auch die Fülle an Details, die man, in dieser Konzentration zusammengetragen, wohl kaum in anderen Quellen findet. Beispiel Durles: Wer kennt schon das Relief des thrakischen Reiters, das dort aus der Kirchenwand ragt? „Eine lokale Gottheit, die während der römischen Epoche auch in Siebenbürgen verehrt wurde“, erfährt man im Text darunter. Oder das Fragment einer römischen Minotaurus-Darstellung, oft als moldauisches Wappen fehlgedeutet. Erstaunlich auch die Wandmalerei, die wohl auf einen in der Moldau geschulten Meister zurückgeht: Die Kleider von Kaiser Konstantin erinnern an die eines moldauischen Fürsten. Einem „richtigen“ moldauischen Auerochsen kann man in Bonnesdorf begegnen. Die Erklärung: Um 1488 verlieh König Matthias I. Corvinus die Kokelburg samt Bonnesdorf dem Fürsten der Moldau, Stefan dem Großen. Kostproben für weitere Besonderheiten, wahllos herausgegriffen: die liebevoll ausgeführten Gewölbeschlusssteine in Kirtsch – Rosette, Jesusgesicht und Pelikan, der sich die Brust aufreißt, um seine Jungen zu nähren; die hölzerne, bemalte Kassettendecke in Langenthal, wo es auch einen bemerkenswerten Doppelnischenteppich aus Westanatolien gab, der heute in Mediasch aufbewahrt wird. Großprobstdorf brilliert mit einem der schönsten Renaissance-Pokale Siebenbürgens und einem der prächtigsten Flügelaltäre (1480), heute im Brukenthalmuseum zu sehen. Im Bukarester Nationalen Kunstmuseum kann man den vorreformatorischen Flügelaltar aus Schmiegen bewundern, der vor 1956 aus der dortigen Kirche entfernt und an Schäßburg verkauft wurde, um in der Bergkirche aufgestellt zu werden. Einen weiteren vorreformatorischen Flügelaltar (1508) gibt es noch in Taterloch, während sich Reußdorf mit einem ebensolchen Nikolaus-Altar (1520) von Johannes Stoß rühmen darf.

Nina May




„Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“, Georg Gerster und Martin Rill, 324 Seiten, 800 Farbfotos, 36 Ortsgrundrisse, 1 Übersichtskarte, ISBN 978-3-00-059307-9.

Schlagwörter: Buchbesprechung, Bildband, Zwischenkokelgebiet, Kokel, Gerster, Rill, Geschichte, Kirchen

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