10. Juni 2018

R. G. Waldeck: Als Hitlers "Neue Ordnung" nach Rumänien kam

Rosi Gräfin von Waldeck, geboren 1898 in Mannheim, starb 1982 einsam und vergessen in den USA – obwohl die Journalistin einige Jahrzehnte zuvor unstrittig zu den schillerndsten Erscheinungen ihrer Zeit gehört hatte. Sie legte das Abitur ab, eine Seltenheit für eine Frau von damals, studierte Kunstgeschichte, liebte ältere Männer und heiratete öfters. Zunächst den Gynäkologen Ernst Gräfenberg, nach dem der „G-Punkt“ benannt ist. Als zielstrebige junge Frau ging sie später eine Beziehung mit dem verwitweten Franz Ullstein ein. Eine Liaison, die am ausgeprägten Standesdünkel der Verlagsfamilie scheiterte. Ihr blieb als Erbmasse immerhin eine fürstliche Abfindung. Später ehelichte die Jüdin, die zum Katholizismus konvertierte, in Amerika den ungarischen Grafen Armin von Waldeck.
Von Juni 1940 bis Januar 1941 weilte sie in Rumänien und schrieb für Newsweek über dieses Land. Aus den Reportagen entstand 1942 das Buch „Athénée Palace“, das jetzt neu aus dem Amerikanischen von Dagmar Dusil und Gerlinde Roth übersetzt wurde. Während des Aufenthaltes der Gräfin in Rumänien überschlugen sich dort die Ereignisse. Die Lobby mit pittoreskem Publikum im Bukarester Hotel „Athénée Palace“ wurde zum Multiplikator der Ereignisse jener Zeit. Dazu zählten die Besetzung Bessarabiens durch die Sowjetunion und die Übernahme Nordsiebenbürgens durch Ungarn. Der Leser erfuhr Einzelheiten von der Abdankung des rumänischen Königs Carol II. Das Zweckbündnis zwischen General Ion Antonescu und der Eisernen Garde beschrieb die Autorin ebenfalls; genauso die Ankunft der deutschen Militärmission. Diese „Aufbauhelfer“ sollten Rumäniens Armee auf Vordermann bringen. Aber fragil war das gesamte Land seinerzeit nicht nur durch die kosmopolitische Großwetterlage, sondern auch durch Naturereignisse wie das Erdbeben vom November 1940. Mit voller Härte bekam die genau Notierende in Rumänien die Korruption mit. Und dass Gesetze in dem südosteuropäischen Land zumeist nur auf dem Papier standen, erkannte sie bei ihren festgezurrten Innenansichten fast schon nebenbei. Politische Morde bestimmten in diesen unruhigen Zeiten genauso das Tagesgeschäft wie stets spürbare Spannungen zwischen den handelnden Akteuren. Porträts verschiedenster, damals in diesem Land handelnder Persönlichkeiten verdichten die packende Zeitreise in eine Welt voller Brüche und Veränderungen.
Gräfin Waldeck gehörte zu den letzten Zeitzeugen aus der westlichen Welt, die als neutrale Beobachterin miterlebte, wie Hitlers „Neuer Ordnung“ in Rumänien eingeführt wurde. Aufgrund der in den Reportagen erkennbaren authentischen Grundstruktur wurde das Buch schon 1942 zum Bestseller. Und es sollte noch heute mit der nun vorliegenden neuen Übersetzung zum Selbstläufer für historisch interessierte Leser werden.

Roland Barwinsky


R. G. Waldeck: „Athénée Palace. Hitlers ,Neue Ordnung‘ kommt nach Rumänien“. Mit einem Nachwort des amerikanischen Diplomaten, Historikers und versierten Rumänienkenners Ernest H. Latham, Jr. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Dusil und Dr. Gerlinde Roth. Verlag Traian Pop, Ludwigsburg, 2018, 472 Seiten, 24,50 Euro, ISBN 978-3-86356-218-2

Schlagwörter: Buch, Geschichte, Rumänien, Zweiter Weltkrieg, Reportage, Frauen

Bewerten:

99 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.