27. Mai 2018

„Diese Kraft ist über Generationen erfahrbar“ - Christa Wandschneider spricht an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen über Begegnungen

Ein langer Fackelzug erhellte am Pfingstsonntagabend die Straßen Dinkelsbühls. Ziel der von der Knabenkapelle Dinkelsbühl angeführten Prozession war die vor mehr als 50 Jahren errichtete, den Opfern von Krieg, Verfolgung, Flucht und Vertreibung geweihte Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in der Lindenallee der Alten Promenade. Dort hielt die Bundesfrauenreferentin Christa Wandschneider, auch Frauenreferentin des Landesverbandes Bayern, die traditionelle Rede an der Gedenkstätte - ein Programmbeitrag des den Heimattag 2018 mitausrichtenden Landesverbandes Bayern. Die Ansprache wird hier im Wortlaut wiedergegeben.
Höhepunkte in unserem Leben haben immer mit Begegnungen zu tun! Freundschaften, Nachbarschaften, Gemeinschaften – immer beginnen sie mit Begegnungen. Sie sind Beginn und Basis jeder menschlichen Beziehung. Menschen zu begegnen – Meinungen, Gedanken und Ansichten mit ihnen zu teilen, bereichern uns ungemein. Begegnungen geben unserem Leben Magie und Inspiration, sie hinterlassen Spuren, die nie ganz verwehen. Eine dieser ganz wichtigen Begegnungen im Gesellschaftsleben der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ist der jährliche Heimattag zu Pfingsten in Dinkelsbühl, wo sich Freunde, Nachbarn und Bekannte, Alte und Junge, sowie Gäste von nah und fern treffen.

Wer könnte das besser nachempfinden als wir, die wir langersehnte Begegnungen gerade hier wieder genießen und wiederum die Erfahrung machen konnten, wie überraschend und bereichernd Begegnungen sein können. Ich hoffe sehr, dass Sie alle dies in den vergangenen Tagen erfahren durften! Es ist immer wieder berührend, Menschen zu begegnen, sie wiederzutreffen oder neu kennenzulernen, aber besonders schön ist es, sich bei Begegnungen heimisch zu fühlen und nichts oder fast nichts erklären zu müssen.

Das Motto vom Sachsentag in Siebenbürgen 2017 hätte es nicht besser ausdrücken können: „In der Welt zu Hause, in Siebenbürgen daheim“ – hier in Dinkelsbühl waren und sind wir für ein paar Tage daheim. Mit den symbolischen Worten „Die Stadt sei euer“ übergab Oberbürgermeister Dr. Hammer uns seine Stadt Dinkelsbühl zu treuen Händen. In dieser alten und ehrwürdigen Stadt, die uns mit ihren Mauern an unsere alten Kirchenburgen in Siebenbürgen erinnert, fühlen wir uns willkommen und angenommen. Mit dem diesjährigen Motto unseres Heimattages: „Kultur schafft Heimat und Zukunft“ besinnen wir uns besonders auf die Verwurzelung in unserer kulturellen Heimat, auf diesen Schatz siebenbürgischer Kulturleistungen, aus dem wir reichlich schöpfen können. Wer denkt dabei nicht an die verschiedenen Kultursparten, die sinngebend, heimatbildend, emotional auffangend wirken. Ohne Dichter, Schriftsteller, Denker, Musiker, Maler und andere Kulturschaffende aus Wissenschaft, Forschung, Kunst, um nur einige zu nennen, hätte unser Leben keine gemeinschaftliche, verbindende Prägung.
Die in Großpold geborene Bundesfrauenreferentin ...
Die in Großpold geborene Bundesfrauenreferentin Christa Wandschneider hält die Rede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Foto: Christian Schoger
Stellvertretend für die verschiedenen Kultursparten stellen wir uns die Frage:
Was wäre die siebenbürgische Gesellschaft ohne - Johannes Honterus, siebenbürgischer Humanist, Universalgelehrter und Reformator der Siebenbürger Sachsen, der einen bedeutenden Einfluss auf das Schulwesen und die Kirche in Siebenbürgen hatte und somit in der Entwicklung der siebenbürgischen Kultur und Gesellschaft prägend war.

Was wäre das siebenbürgische Gesellschaftsleben ohne - Literatur, das geschriebene Wort, welches anregend, meinungsbildend, aufbauend, tröstend, lehrend, manchmal auch aufrüttelnd wirkt;

- die Musik mit unserem spezifischen Liedgut, das uns so nahe am Herzen liegt und mit einer einzigen Lied- oder Textzeile, ob nun durch „Der Owne kit erun“, „Angderm Luirber soß ech iest“, „De Astern blähn insem am Guerten“ oder viel andere, unser Heimatgefühl hervorzaubert;

- die Orgelmusik in unseren Kirchen sowie unsere Chortradition, die unsere Seele zum Schwingen bringt und uns stark macht; die unsere kulturellen Wurzeln gefestigt hat und immer noch festigt.

- Die Architektur mit den prägenden Kirchenburgen, die schutzgebend waren und immer noch identitätsstiftend sind; diese architektonischen Kleinode sollten es uns wert sein, geschützt und bewahrt zu werden, bergen sie doch so viele Ereignisse, die uns als Gemeinschaft geprägt und erhalten haben.

Heute hat sich die Lage durch die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten in unserem Leben verändert. Einige kulturelle Örtlichkeiten haben sich verlagert; ich denke hier vor allem an Schloss Horneck in Gundelsheim, das als Begegnungsstätte und Kulturzentrum geschaffen wurde, um weiterhin Identität, Kontinuität, Aktualität und Zusammenhalt weiterzugeben und für die nächsten Generationen zu erhalten.

Ein Besuch – vor Ort oder über diverse Medien – ist eine der vielen Möglichkeiten, um Zugang zu unserem kulturellen Erbe zu finden. Ich lege es Ihnen allen besonders ans Herz, unseren neu geschaffenen Begegnungsort anzunehmen, zu fördern und ihn mit Leben zu füllen. Gerade unsere Kulturschaffenden leisten in diesem Bereich Hervorragendes und Zukunftsträchtiges.

Es ist Zeit, diese Leistungen und jedes geistige Erbe in den Mauern unseres Schlosses zu würdigen, sind sie doch die Bindestelle zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem.

Begegnungen fußen auf einem Zusammenwirken mehrerer Sichtweisen, wobei der diesjährige Heimattag den Begriff Kultur besonders hervorhebt. Gerade in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung, sprich Virtualisierung, definiert sich Heimat weniger nach geografischen Grenzen; vielmehr nach geistigen Gemeinsamkeiten. Kultur ist am Puls der Zeit und verändert sich somit ständig. Die größten Veränderungen erleben wir gerade in unserer schnelllebigen Zeit, wo vieles auf unmittelbarer Erreichbarkeit, rascher Information, und Konsum basiert.

Gehen wir zurück zu direkten Begegnungen: zu Menschen, die mit Rat und Tat, je nach Begabungen und Fähigkeiten, am Zusammenhalt unserer Gemeinschaft großen Anteil haben und denen wir viel verdanken. Ich denke hier an die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, an die Jugend mit ihrem mitreißenden Elan und an die vielen Unterstützer, die zum Gelingen eines Heimattages beitragen. Ihnen allen gilt unsere besondere Aufmerksamkeit und unser Dank. Wir wären heute nicht hier, noch voll von Erlebtem und Gehörtem, wenn nicht Menschen diesen Heimattag auf ihre ganz eigene Art und Weise bereichern und prägen würden. Die Liebe und Verbundenheit zu unserer siebenbürgischen Heimat, unsere Traditionen und Bräuche, unsere Eigenheiten, aber auch unser geistiges Leben können wir an diesem Ort pflegen und gestalten; dafür sind wir dankbar.

An der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen hier in Dinkelsbühl „im Lindendom“ findet der feierliche und krönende Abschluss dieser Veranstaltung, dieser Begegnungen statt. Unser Denkmal ist sicherlich für viele mit Namen und Gesichtern verbunden, Menschen, die dieser Gemeinschaft den Grundstein gelegt und Kraft gegeben haben - zu ihrem ehrenden Gedenken stehen wir hier! Wir denken an die Impulse und Aufträge, die uns von unseren Vorfahren mitgegeben wurden; an ihre Stärke, an die Kraft der Überwindung, an ihren Gestaltungswillen in der alten wie auch in der neuen Heimat. Wir gedenken ihrer Opferbereitschaft, ihrer Mühsal und ihres Mutes. Diese Kraft ist über Generationen erfahrbar und das Gedenken derer, die nicht mehr unter uns weilen, ist zu einem Bedürfnis geworden, das wir an weitere Generationen weitergeben wollen, auch wenn das Andenken nicht mehr konkret mit Gesichtern verbunden ist. Es ist das Vermächtnis, das durch Begegnungen in Gesprächen, in Erinnerungen sowie in Dokumentationen weitergegeben wird. Auch dafür stehen wir heute hier!

Reich beschenkt verlassen wir diese Stätte der Erinnerung und des Gedenkens und kehren zurück in unseren Alltag mit all seinen Herausforderungen. Was uns niemand nehmen kann, ist die Rückschau und das Erinnern an das Erlebte und Gelebte in diesen Tagen. Wir können diese Begegnungen mitnehmen und sie weiter pflegen; sie bereichern und tragen uns fort bis zu den nächsten Begegnungen, die aber nur gelingen, wenn es eine Grundlage an Solidarität und Engagement unter uns gibt. Die Stadt Dinkelsbühl ist Ausdruck der unverbrüchlichen Solidarität mit uns Siebenbürgern, unser Dank geht somit an die Stadt Dinkelsbühl, Oberbürgermeister Dr. Hammer und die Knabenkapelle Dinkelsbühl für die würdevolle Umrahmung zum Abschluss des Heimattages. Die Stadt war für drei Tage Heimat der Siebenbürger Sachsen.

Es liegt an uns, wie an der gemeinsamen Geschichte weiter geschrieben wird, ob und wie wir mit unserem kulturellen Erbe umgehen und ob und wie wir das Thema des diesjährigen Heimattages erfüllen. Es liegt an uns, die Grundlagen weiterhin dafür zu legen, dass Kultur Heimat und Zukunft schaffen und bewahren kann. Ich schließe mit einem Wort Petrarcas: „Man kann sich Vergangenes oder Zukünftiges wünschen, aber man muss das Gegenwärtige nutzen“.

Schlagwörter: Heimattag 2018, Dinkelsbühl, Rede, Gedenkstätte, Opfer, Wandschneider, Bundesfrauenreferentin, Landesfrauenreferat, Bayern

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