19. März 2018

Wie Rumänien zu seinen Deutschen kam und sie (fast alle) wieder verlor

Vom 18. bis 23. Februar 2018 fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen eine Tagung statt mit rund 125 Teilnehmenden und Referierenden aus Deutschland, Rumänien, Österreich und der Schweiz zum Thema „100 Jahre modernes Rumänien und seine deutschen Minderheiten. Siedlungsgeschichte, Leidenserfahrungen und Zukunftsperspektiven“. Als Mitveranstalter traten die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien, der Evangelische Freundeskreis Siebenbürgen (EFS), die Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD sowie das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien auf. Von dort war ein Bus mit rund 40 Teilnehmenden angereist.
Die Veranstaltung wurde vom Bundesministerium des Innern gefördert. Die Beiträge werden zum Teil im Jahrbuch „Zugänge“ des EFS in gedruckter Form erscheinen.

Als Referenten konnten für die Veranstaltung namhafte Historiker, Soziologen, Journalisten, Juristen, Pfarrer und andere Fachleute aus Deutschland, Österreich und Rumänien gewonnen werden, die das Tagungsthema aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchteten: Matthias Stickler Frank-Lothar Kroll, Markus Bauer, Friedrich Gunesch, László-Zoran Kézdi, Harald Roth, Ute Schmidt, Hans-Christian Maner, Renate Weber, Mariana Hausleitner, Hans Fink, Ernst Meinhardt, Sara Konnerth und Florian Kührer-Wielach. Außerdem wurde der Dokumentarfilm „Sie sollen sich nicht lassen ...“ mit Porträts von Zeitgenossen in Siebenbürgen von Manuel Stübecke (Ratingen) in Anwesenheit des Regisseurs gezeigt.
Die Teilnehmer des Seminars „100 Jahre modernes ...
Die Teilnehmer des Seminars „100 Jahre modernes Rumänien und seine deutschen Minderheiten“ in Bad Kissingen.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich auf alle Beiträge einzeln einzugehen. Daher der Versuch einer Synthese: 2018 jährt sich zum 100. Mal das Ende des Ersten Weltkrieges, der Europas Staatenwelt bis heute verändert hat. Insofern war es richtig, sich bei der Tagung auch mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges und den Hauptakteuren zu beschäftigen. Infolge des Zerfalls der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, des russischen Zarenreiches, des Osmanischen Reiches sowie von Gebietsabtretungen des Deutschen Reiches entstanden neue Nationalstaaten bzw. Nationalitätenstaaten (Polen, die Tschechoslowakei, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen und Großrumänien). Das Königreich Rumänien, das erst 1916 in den Krieg auf Seiten der Entente eingetreten war und zunächst Teile Siebenbürgens einnahm – was aber nicht lange währte und zur Besetzung Bukarests und der Walachei durch deutsche Truppen führte –, zählte nach Kriegsende zu den (wenigen) Gewinnern des Ersten Weltkrieges, der eigentlich nur Verlierer kannte. Es verdoppelte sein Territorium. Von Ungarn erhielt es Siebenbürgen und große Teile des Banats (flächenmäßig erhielt Rumänien von Ungarn ein größeres Gebiet, als Ungarn verblieb!), von Österreich die Bukowina, von Russland Bessarabien und von Bulgarien Teile der Dobrudscha. Etwa ein Drittel der Landesbevölkerung gehörte nationalen Minderheiten an.

Großrumänen hatte nur bis 1940 Bestand, als es durch sowjetische Ultimaten, den Zweiten Wiener Schiedsspruch (in rumänischer Diktion „Diktat“) und den Vertrag von Craiova Gebiete an die Sowjetunion, Ungarn und Bulgarien abtreten musste. Lediglich die Abtretungen an Ungarn wurden nach dem Zweiten Weltkrieg rückgängig gemacht.
Der Hauptanwalt der EKR, Friedrich Gunesch ...
Der Hauptanwalt der EKR, Friedrich Gunesch (links), mit dem Heltauer Stadtpfarrer László-Zorán Kézdi. Foto: Lukas Geddert
In (fast) allen diesen Gebieten und im rumänischen Altreich gab es historische deutsche Minderheiten, die vorher untereinander kaum in Beziehung gestanden hatten. Für sie wurde der Sammelbegriff „Rumäniendeutsche“ geprägt. Ihre Zahl betrug damals rund 700 000. In Großrumänien lebten damals rund ein Dutzend deutsche Siedlergruppen, darunter Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben, Bessarabien-, Buchenland- und Dobrudschadeutsche sowie Landler. Sie unterschieden sich hinsichtlich ihrer Herkunftsgebiete, dem Zeitpunkt ihrer Einwanderung, ihrer Siedlungsgebiete und ihrer historischen Entwicklung. Mit dem Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939 wurde die Aufteilung Europas in deutsche und sowjetische Interessensphären und in geheimen Zusatzprotokollen die Aussiedlung der Bukowina-, Bessarabien- und Dobrudschadeutschen im Jahr 1940 vereinbart. Durch zwischenstaatliche Abkommen wurden in der Kriegszeit die wehrfähigen rumäniendeutschen Männer ab 1943 fast ausnahmslos in die Waffen-SS eingezogen. Sie kamen, sofern sie den Krieg überlebt hatten, nicht nach Rumänien zurück. 1944 mussten die zeitweilig zu Ungarn gehörenden Nordsiebenbürger Sachsen vor der herannahenden Roten Armee nach Österreich flüchten. Anfang 1945 wurden weitere rund 70000 Rumäniendeutsche zur Zwangs- und Wiederaufbauarbeit für fünf Jahre in die Sowjetunion verschleppt. Einige von ihnen wurden in die Sowjetische Besatzungszone und nicht nach Rumänien entlassen. Durch diese Ereignisse waren viele Familien getrennt. In den 1950er und 1960er Jahren fand unter humanitären Gesichtspunkten eine Familienzusammenführung dieser Kriegsfolgenschicksale statt. Ab den 1960er Jahren begann der Freikauf der Rumäniendeutschen durch die deutschen Bundesregierungen bis 1989. Ab den späten 1970er Jahren bis Ende 1989 gelangte ein jährliches Aussiedlungskontingent von bis zu 15000 Personen aus Rumänien in die Bundesrepublik. Für diese Personen wurde jeweils ein fünf- bis sechsstelliger DM-Betrag bezahlt. Die Summe dieser Zahlungen dürfte etwa die Grenze von zwei Milliarden DM erreicht haben. Von 1977 bis zum Sturz des kommunistischen Regimes war bereits die Hälfte aller autochthonen Deutschen emigriert. 1990 fand ein Massenexodus der Rumäniendeutschen statt. Gegenwärtig leben in Rumänien noch rund 30000 Deutsche; es gibt allerdings noch ein deutschsprachiges Bildungswesen (rund zehn Gymnasien, Kindergärten, Grundschulen, Studiengänge), eine Tageszeitung, drei Wochenzeitungen, zahlreiche kirchliche Publikationen, Fernseh- und Rundfunksendungen, Verlage, Buchhandlungen, Theater, Gottesdienste, Chöre, im Demokratischen Forum der Deutschen eine politische Interessenvertretung und nicht zuletzt einen Staatspräsidenten aus ihren Reihen.

In Rumänien wird der „Großen Vereinigung“ von 1918 am 1. Dezember, dem gegenwärtigen Nationalfeiertag, gedacht werden. Schon jetzt laufen die Vorbereitungen zu den Festakten sowie die Mobilisierung in den Medien (Publikationen, Sondersendungen mit historischen Rückblicken). Auch die Deutschen Rumäniens werden an mehreren Orten dieses Ereignisses gedenken. Die Tagung in Bad Kissingen beschäftigte sich in vorbildlicher Weise mit zahlreichen Aspekten und Perspektiven dieser Ereignisse und bettete sie in größtmögliche Zusammenhänge ein, die in einem bislang meist national und ideologisch geprägten Geschichtsunterricht vielfach nicht erwähnt werden. Neben den Vorträgen und Filmen gab es Gelegenheit für geselliges Beisammensein und gemeinsames Singen. Morgenandachten hielten Pfarrerin Birgit Hamrich, die Pfarrer Hans Schneider, László-Zorán Kézdi sowie der Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werkes, Enno Haaks. Die Lieder begleitete am Klavier Diakon Martin Wenzel.

G.B.

Schlagwörter: Bad Kissingen, Tagung, Großrumänien, Minderheiten

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