30. Dezember 2017

Über Hans Bergels neuestes Buch "Blick auf die Welt"

Alle Jahre wieder kommt – nicht allein das Christuskind: Kurz vor dem Reisetermin des Gottesknaben beehrte uns in Wien auch der große Sachsensohn aus dem kleinen bayerischen Gröbenzell, der uns allen wohlbekannte Schriftsteller Hans Bergel. Ihn eingehend vorstellen zu wollen, entbehrt der Notwendigkeit. Viele haben seine drei großen Romane „Der Tanz in Ketten“, „Wenn die Adler kommen“ und „Die Wiederkehr der Wölfe“ gelesen, die wie eherne Blöcke nicht nur in die deutschsprachige Literatur Siebenbürgens hineinragen.
Viele haben seine klug konstruierten Novellen und Erzählungen und seine Reisebeschreibungen verschlungen, die mit intuitiver Erfassung das Spezifische der landschaftlichen Andersartigkeit herauskristallisieren – ob es sich um Israel, Südafrika oder Neuseeland handelt. Dazu kommen seine Lyrik und die Übertragungen, hunderte von Rezensionen, Ausstellungspräsentationen, Reden unterschiedlichen Inhalts zu ­politischer, historischer oder künstlerischer Thematik, seine Jahre lang verfassten Feuilletontexte für Rundfunk und Presse.

Für mich ist Bergel auch der sublime Essayist. Mit außerordentlichem Einfühlungsvermögens, beeindruckendem Sprachreichtum, präziser Notation und feinfühligen lyrischen Passagen, mit seiner Themenvielfalt und Wissensbreite lässt er sich ohne Übertreibung zu den großen deutschen Essayisten zählen – durchaus Stefan Zweig oder Thomas Mann vergleichbar. Seine „Dunja, die Herrin“ oder „Der Tod des Hirten“ waren für mich Offenbarungen.

Nun hat Hans Bergel – mit einem für einen über Neunzigjährigen erstaunlichen Bienenfleiß – 2017 zwei weitere Essay-Bände veröffentlicht. Zu Jahresbeginn erschien das Buch „Glanz und Elend der Siebenbürger Sachsen. Rückblicke und Ausblicke eines Beteiligten“ – eine Kompilation von zehn Texten, die ausführliche und spannende Darlegungen zu Transsilvanika enthält, ob es um deutschsprachige Schriftsteller aus acht Jahrhunderten in Siebenbürgen geht, um die großen historischen Gestalten dieses Landstrichs oder um die urbanen Porträts der „Stadt im Osten“ Kronstadt, der „Civitas Cibiniensis“ Hermannstadt. Seine geliebten oft durchwanderten Karpaten werden beschworen als auch der Homo Transsilvanus, jener auf dieser von Gebirgen umzogenen Hochebene lebende Deutsche, der so ganz anders ist als deutsches Geblüt andernorts. In der den Namen des Buches tragenden Studie verwahrt sich Hans Bergel gegen die Behauptung, den Exodus der Sachsen mitangetrieben zu haben. Er unterstreicht vehement, für die Freiheit des Einzelnen während der Kommunismusjahre gekämpft zu haben, d.h. auf internationale Verträge gestützt, selbst über Bleiben oder Gehen entscheiden zu dürfen. Er hat dies in seiner berühmten Rede vor dem Kölner Dom 1982 zusammengefasst – was zum zweiten, erst kürzlich erschienenen Buch quasi überleitet: „Blick auf die Welt. Von Menschen, Masken und Mächten“.

Von Goethe bis Margul-Sperber, von Nietzsche und Bach bis Ana Blandiana, der genialen Dichterfreundin und gleichgesinnten Antikommunistin, reicht hier die Palette, von Erich Bergels revolutionierender Analyse der „Kunst der Fuge“ bis zu Walter Myß‘ großer Kulturdeutung. In der autobiografisch untermauerten Ausführung „Rot und Braun“ stellt er die zwei menschenmordenden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts einander gegenüber und kommt zu unerwartetem ­Ergebnis. In der über 40 Seiten zählenden Untersuchung „Fünfzig Jahre im Fokus der Securitate“ – einem Kerntext des Buches – erstellt er anhand seiner rund 10000 Securitate-Schriftstücke ein aufwühlendes und schockierendes Dokument jüngster siebenbürgisch-sächsischer Geschichte. Menschliche Niedertracht im engsten Freundeskreis und die Perfidie geheimdienstlicher Aktivität werden von dem mehrfach eingekerkerten Bergel mit kühlem Kopf, in klarer Sprache und mit Robespierrescher Unbestechlichkeit beim Namen genannt. Seine Bewertung durch die Securitate lautete klar: „Bergel este considerat deosebit de periculos pentru securitatea statului“, „Bergel wird als außerordentlich gefährlich für die Sicherheit des Staates erachtet.“ Dass 1974 in Bukarest erwogen wurde, ihn ins Land zu locken (er lebte seit ‘68 in München), um „ihn festzunehmen“, war die Reaktion auf sein offensives Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte in Siebenbürgen.

Bei der literarischen Begegnung am 10. November dieses Jahres in Wien stand freilich der Erzähler Hans Bergel vor dem Publikum: 1.) Ein Exil-Russe, Historiker, berichtet in Paris einem flüchtig Bekannten ein Ereignis in einem kommunistischen Ural-KZ; im Mittelpunkt der Erzählung steht eine 2500 Jahre alte Kouros-Statue. Pikant: Der Russe stammt aus Kronstadt am Finnischen Meerbusen, sein Zuhörer, ein Arzt, aus Kronstadt im Burzenland. Dabei geht es um Europas Zukunft. („Begegnung im Bistro“) – 2.) In einer schelmisch-satirischen Skizze erzählt Bergel vom kurzen Zusammenleben mit – ehemals Zigeuner genannten – Roma in einer Häftlingsbaracke an der Donau: Taschendieben. Am eigenen Leib erfahrene unglaubliche Tricks, die hierarchische Ordnung des Clans, dessen Ehrenkodex und die imposante Gestalt des Clan-Chefs – all das ist mit schmunzelnder Gelassenheit und Menschlichkeit geschildert („Der Barackentrottel“).

Nach der Lesung wurde der lebhafte Wunsch geäußert, Hans Bergel im Jahr 2018 abermals zu Gast zu haben; Zwecks literarischer Aufhellung des nebelverhangenen Herbstes.

Kurt Thomas Ziegler




Bergel, Hans: „Blick auf die Welt. Von Menschen, Masken und Mächten“. Edition Noack & Block, Berlin, 2017, 201 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 978-3-86813-053-9.
Blick auf die Welt: Von Mensch
Hans Bergel
Blick auf die Welt: Von Menschen, Masken und Mächten

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Schlagwörter: Bergel, Buchvorstellung

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