19. Dezember 2017

Nora Iuga erhielt Lyrik-Sonderpreis der Zeitschrift Spiegelungen

Gewiss, Lyrik ist nicht jedermanns Sache. Zumal die moderne Lyrik, die sozusagen verschlüsselt sein mag. Soll sie auch „Uneingeweihten“ schmackhaft gemacht werden, kommt es zuweilen sehr auf das Wie und auch auf das Wo an. In München gibt es dafür schon seit zwei Jahren das „Lyrik-Kabinett“ in der Amalienstraße, unweit der Universität. Eine angenehme Einrichtung in einem Innenhof, bestehend aus mehreren türlos ineinandergeflochtenen Räumen, deren Atmosphäre von Intimität geprägt ist, obwohl in einer Ecke neben dem Podium – wieso? – ein gewichtiger, mit ungarischen Texten beschrifteter Boxsack hängt ...
Nun ja, die Lyrik ist vielgestaltig und – soll sie bei einem breiteren Publikum ankommen, muss man das geschickt angehen. An diesem Mittwochabend – es war der 6. Dezember, also auch Nikolo – aber Sankt Nikolaus war nicht dabei –, der Zuhörerraum voll besetzt und das Münchener IKGS (Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München) konnte in bestem Ambiente erstmalig den Lyrikpreis seiner Zeitschrift Spiegelungen verleihen. Die Zeitschrift dieses Namens erscheint halbjährlich und erfreut sich in Deutschland sowie in einigen osteuropäischen Ländern, zumal in Fachkreisen, einer guten Aufnahme.

Nach der Begrüßung durch Florian Kührer-Wielach, den Institutsdirektor und Chefredakteur, wurden zunächst als Gewinner des Preisausschreibens zwei Dichter ausgezeichnet: Kristiane Kondrat für ihr Gedicht „Ufer“ und Lothar Quinkenstein für die Gedichte „Die Brücke aus Papier“, „März“ und „Jenseits des Flusses“. Insgesamt 260 Bewerbungstexte waren eingegangen, zehn davon für den Publikumspreis ohne Nennung der Autoren ins Internet gestellt worden, so dass auch Beurteilungen aus dem Leserpublikum bei der Entscheidung über Preiswürdigkeit in Betracht kamen.

Die mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Autorin Kristiane Kondrat, 1938 in Reschitza geboren, seit 1973 in Deutschland lebend, war Kulturredakteurin bei der Süddeutschen Zeitung und hat außer Lyrik 1997 auch ihren ersten Roman publiziert. Die bekannte Graphikerin Sieglinde Bottesch hat passende Illustrationen zu den Gedichten beigesteuert.

Nora Iuga, die unermüdliche Botschafterin des ...
Nora Iuga, die unermüdliche Botschafterin des rumänisch-deutschen Kulturaustausches. Foto: Hans-Werner Schuster
Der Gewinner des Spiegelungen-Preises für Lyrik, Lothar Quinkenstein, wurde zwar in Bayreuth geboren, sein Inspirationsfeld liegt aber in Mittel- und Osteuropa – wobei er Polen in Mitteleuropa ansiedelt – sowie in Israel. In der Laudatio auf sein literarisches Schaffen wurde auch an jüdisches Leid erinnert. Ein vom Preisträger verfasstes Gedicht, das vorgetragen wurde, heißt „Alte Kleider“.

Zwischen den Gedichtvorträgen und den Ansprachen der Laudatoren sowie der feierlichen Übergabe von Urkunden und Preisen erklangen kurze Musikeinlagen – Liszt, Chopin und schließlich ein Notturno von Edvard Grieg als Überleitung zum Sonderpreis der Redaktion, mit dem die aus Bukarest angereiste Schriftstellerin und Dichterin Nora Iuga ausgezeichnet wurde. Zwei ihrer in rumänischer Sprache verfassten Gedichte wurden in der deutschen Übertragung von Georg Aescht vorgetragen. Nora Iuga sagte im weiteren Verlauf des Abends, sie sei neidisch auf Georg Aescht, weil die deutsche Fassung ihrer Texte ihr besser gefallen hat als ihre rumänischen Originale …

In seiner hervorragend formulierten Laudatio begann der aus Hermannstadt angereiste Schriftsteller Joachim Wittstock mit der Feststellung, dass schon einiges zusammenkäme, wenn „Veröffentlichungen in den verschiedenen Gattungen, Lesungen im großen Rahmen und in überschaubarer Runde, Auftritte auf Buchmessen, Gespräche im Hörfunk und Fernsehen sich nach und nach zu einer ansehnlichen Bilanz summieren“. Und für Überraschungen, für Beweise ungewöhnlicher Lebensenergie und kunstgerechter Konzentration sei allemal gesorgt, „denn Nora Iuga ... ist mit Leib und Seele dabei, solange die Kräfte reichen“. Die Dame hat immerhin schon ihren 86. Geburtstag gefeiert und immer wieder durch ihren lebendig sprühenden Geist beeindruckt.

35 Bücher (Klassiker und neuere Romane) hat Nora Iuga aus dem Deutschen ins Rumänische übersetzt und viele eigene literarische Werke verfasst, darunter eine respektable Anzahl Romane. In „Die Sechzigjährige und der junge Mann“ schildert sie ihr Leben. – „Dem Drang, sich einstiger Erlebnisse und Erfahrungen zu vergewissern, verdankten sich ebenfalls die vielen Interviews, diese weit ausholenden, in leidenschaftlichem Ton oder auch in gelockertem Konversationsstil gebotenen Darlegungen, welche Nora Iuga meist jüngeren Schriftstellerinnen, jüngeren Publizisten gewährte.“ (Zitat Joachim Wittstock)

Am Ende der Laudatio wird gesagt: „Nora Iuga geht unbeirrt ihren Weg, und das heißt: Sie verknüpft im Versgebilde Zeitstimmung mit Weltgeschehen, sie notiert Beobachtungen im Übergang von Nachtruhe zum Erwachen, sie lässt sich von frappanten Wortkombinationen und kuriosen Sinnverquickungen überraschen, sie erkennt Differenzen zwischen Anschein und Wirklichkeit, zwischen Alltagsbanalität und Sinnbild.“

Die kurze, humorvoll vorgetragene „Dankrede“ der Gefeierten löst Heiterkeit und viel Beifall aus. Alle Anwesenden freuen sich, diese geistreiche und liebenswerte, gar nicht so „alte Dame“ erlebt zu haben, diese bedeutende Botschafterin der rumänischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts und des rumänisch-deutschen Kulturaustauschs, deren noch gar nicht abgeschlossene Lebensleistung zu bewundern ist.

Übrigens hat der Verfasser dieser Zeilen mit ihr auch eine ehemalige Kollegin begrüßt. Vor mehr als 60 Jahren waren wir beide in der Bukarester Redaktion der Zeitung Neuer Weg tätig. Als junge Absolventin der Bukarester Germanistikfakultät schrieb sie über Außenpolitik, ich – einige Jahre später Absolvent der gleichen Fakultät in der Strada Pitar Moș – über Landwirtschaft. Eigentlich wollte sie Schauspielerin werden, und ich Förster, aber im Leben kommt es dann oft anders ...

Wir verneigen uns vor Nora Iuga und ihrer Leistung. Im „Lyrik-Kabinett“ München war es ein tadellos durchkomponierter, ein schöner, ein wort- und gefühlsreicher Abend.

Ewalt Zweyer

Schlagwörter: Lyrik, Preisverleihung, Iuga, Spiegelungen, München

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