23. November 2017

Die Welt der Heimat in einem Buch: "Hermannstadt. Fakten, Bilder, Worte"

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser Prachtband, herausgegeben von der Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt und ihrer Vorsitzenden Dagmar Zink Dusil im hora-Verlag in Hermannstadt, vereinigt auf seinen Seiten alles, was die Siebenbürger Sachsen im Gang ihrer Geschichte je „Gutes und Taugliches erfahren haben“ und was hier, zumindest für Hermannstadt, bleibend hinterlegt worden ist. Eine Anthologie, die geistig wirkt, aber auch geistig verpflichtet durch ihre teils ungewöhnlichen, aber stets sorgfältig erarbeiteten Materialien.
Folgt man den Gedankengängen berühmter Denker des guten alten Europa, so wird man erkennen, dass vom menschlichen Wissen der allergrößte Teil stets nur in den Büchern, dem „papierenen Gedächtnis der Menschheit“, existiere, so Arthur Schopenhauer. Daher seien die Bibliotheken allein das sichere und bleibende Gedächtnis des menschlichen Geschlechts.

Man könnte sich fragen, ob solche Betrachtungen nicht vom Ziel einer Rezension wegführen. Wir meinen: keineswegs. Denn gerade die Erinnerung ruft bei den Lesern Erkenntnisgewinn, aber auch Stimmung hervor. Wenn wir etwas erkennen wollen, so Platon, müssen wir „mit der Seele selbst die Dinge schauen.“

Wie anders denn als mit der Seele können wir demnach die Beiträge in der Anthologie „Hermannstadt“ lesen, die wir aus der zusammenhängenden Welt des Bandes nicht herausheben dürfen – so wie ja auch der dokumentarische Teil der Anthologie von ihrem literarischen Teil nicht getrennt werden sollte. Denn die Beiträge und Teile dieses Werkes dürfen immer nur als Ganzes erklingen, nur so stellen sie Bezug her.

Cover des hier besprochenen Buches ...
Cover des hier besprochenen Buches (Umschlaggestaltung: Chris Balthes, nach einem Foto von Konrad Klein)
So lesen wir denn von den großen, ja gewaltigen Augenblicken in der Geschichte der „Kirche Gottes der sächsischen Nation“, als welche die Kirche der Siebenbürger Sachsen von Anbeginn galt und es bis heute in Hermannstadt als ihrem Zentrum geblieben ist. Der Beitrag „Kirchen und kirchliches Leben“ von Altbischof Christoph Klein ist aber nicht nur ein Rückblick auf die Anfänge des kirchlichen Lebens in der villa Hermani, sondern auch Gedächtnis der Sakralbauten der sächsischen Gemeinschaft, aber auch der späteren Bauten der ungarischen und rumänischen Bürger und last not least der jüdischen Gemeinde der Stadt. Der zuversichtliche Ausblick des Altbischofs auf die Zukunft der Kirche evangelisch-lutherischer Konfession und deutscher Tradition in Hermannstadt ist zugleich die Antwort auf die Frage, warum man in dieser „tiefen inneren, seelischen Gemeinschaft“ zusammenbleibt: um des Herrn Willen.

Die Kirche hat ihren Dienst an den Menschen zugleich als ein Ringen um die Zukunft unserer Bildungsanstalten verstanden. So lesen wir im Beitrag „Das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen und seine Bedeutung für die Region“ von Walter König, einem der besten Kenner der siebenbürgisch-sächsischen Schulgeschichte, dass schon „Die Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen“ von 1547 „die Grundzüge einer allgemeinen Schulordnung“ enthalten hat und Ausgangspunkt für die besondere Entwicklung des Schulwesens der Siebenbürger Sachsen war. Dass die Kirche damit im „Bemühen der Reformation, allen Gläubigen den Zugang zur Quelle des Glaubens, somit zur Schrift“ eröffnete, war eine wesentliche Voraussetzung für die Leistungen und für den Fortbestand der Siebenbürger Sachsen. Ihrem Schulwesen ist bescheinigt worden, dass „die Ergebnisse des Unterrichts wohl dem Standard der Zeit“ entsprochen haben und „Vergleiche mit Regionen gleicher Struktur in Westeuropa“ zulassen in „einer der uralten Tätigkeit der Menschheit: der Mitteilung, Teilung und Vermehrung von Wissen und Gewissen, der Betrachtung von Zukunft und Vergangenheit.“

Seine Betrachtungen über „Die ‚Haupt- und Hermannstadt‘ der Siebenbürger Sachsen im Wandel der Zeiten“ setzt der Historiker Konrad Gündisch mit der Ansiedlung zur Zeit des Königs Geisa II. (1141-1162) an, das Ende seiner Ausführungen hingegen mit der Gründung und der zentralen Bedeutung, die das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien hier nach der Wende 1989 gewonnen hatte. Hermannstadt sei schon früh bestrebt gewesen, eine „einige Gemeinschaft“ der Siebenbürger Sachsen zu schaffen, was der Stadt mit der Gründung der Sächsischen Nationsuniversität 1486 gelang; und abermals als Sitz des Demokratischen Forums, das das ethnische Identitätsbewusstsein der Siebenbürger Sachsen aufrechterhält und gegen Beengungen und Radikalisierungen verteidigt.
Das Verleger-Ehepaar Dr. Maria Roth-Höppner und ...
Das Verleger-Ehepaar Dr. Maria Roth-Höppner und Dr. Wolfgang Höppner beim Redigieren des Hermannstadt-Bandes, aufgenommen kurz vor seiner Drucklegung (Juni 2017). Foto: Konrad Klein
Aus Hans Kleins Beitrag „Das Hermannstädter Forum und die Lokalpolitik“ geht hervor, dass sich die sozialen und politischen Zustände seit 1989 in einer unaufhaltsamen Bewegung befinden. Der Autor stellt überzeugend fest, dass die deutsche Bevölkerung in Hermannstadt mit ihrer Lebens- und Denkungsart die Mehrheitsbevölkerung der Stadt bestimmt hat, die Verantwortung für ihre Zukunft durch die Wahl von Klaus Johannis zum Bürgermeister in die Hände der deutschen Minderheit zu legen (2000, 2004, 2008, 2012). So war es auch möglich, den Wählern bei den Präsidentschaftswahlen vom November 2014 in der Polarität Johannis – Ponta die historische Alternative anzubieten, sich mit der Wahl des neuen Präsidenten Klaus Johannis für den „Vollender der antikommunistischen Revolution vor 25 Jahren“ zu entscheiden. So Anneli Ute Gabanyi in ihrer Hommage auf den aktuellen Präsidenten („Klaus Johannis – vom Hermannstädter Bürgermeister zum rumänischen Staatspräsidenten“).

Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum Hermannstadt den politischen und kulturellen Dialog mit Partnern und Städten aus dem Ausland anstrebt. Ziel der Zusammenarbeit ist es, „die freundschaftlichen Beziehungen im Geiste echter Verbundenheit zu vertiefen, den Austausch auf jedem Gebiet zu fördern, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.“ So Dorith Wegmann in „Landshut – Hermannstadt: ‚Abenteuer Städtepartnerschaft‘“ und Christopher Moss in „Städtepartnerschaft Marburg – Sibiu / Hermannstadt“.

Was wir als charakteristisch für unsere Gemeinschaft betrachten („Nationalcharakter“ als soziales Konstrukt), geben uns Manfred Wittstock und Irmgard Sedler in ihren Beiträgen zu bedenken: Manfred Wittstock, der hochgeschätzte Kunsthistoriker, der über einen gegliederten Weg Hermannstadts „Vom Straßendorf zur Haupt- und Hermannstadt. Bildende Kunst und Kunsthandwerk“ die Geschichte und das Kunsthandwerk dieser Zeit als Ganzes erfasst. Und Irmgard Sedler, die „Vom Standesgewand des Mittelalters zur Patriziertracht und zur Bürgertracht in Hermannstadt“ alles Relevante zu diesem Thema gewohnt kundig schildert.

Aus den wunderbar zu lesenden Beiträgen von Heinz Acker („Aus der Musikgeschichte Hermannstadts“), Erika Schneider („Gärten, Parkanlagen, Wälder, Wiesen und Wasser. Historisches und Gegenwärtiges zu Hermannstadts Natur- und Kulturlandschaft“), Herbert Horedt („Hermannstadt und die Südkarpaten“) und Rudi Klubitschko („Sport in Hermannstadt“) geht hervor, dass die Seele der Siebenbürger Sachsen nicht nur in der Musik, sondern auch in der Gestaltung der Natur- und der Kulturlandschaft sowie in den Bergwanderungen und im Sport ihren Ausdruck gefunden hat. In der Musik durch die Hingabe der einheimischen Komponisten und Musiker – große Namen, eindrucksvoll durch ihre Zahl – sowie der Gesangsvereine und Chöre, die auch über düstere Zeiten hinweggerettet werden konnten; in der Natur- und Kulturlandschaft, deren Schönheit bewusster wahrgenommen werden sollte; und im Bergwandern und Sport durch die Absicht, sich selbst zu erkennen und immer „höhere und deshalb immer schwerer erreichbare Ziele“ zu erkämpfen. Eine Geschichte anderer Art bieten die Beiträge von Olivia Spiridon: „Entwicklung der Literaturszene in Hermannstadt“ und Frieder Schuller: „Deutsches Theater in Hermannstadt“. Zunächst stellen wir fest, dass es beiden Autoren um die je eigene Dimension des Kulturbegriffs geht: Olivia Spiridon um die philologische Dimension, wonach Literatur „in deutlich abgegrenzten Geschichtsabschnitten“ verstanden wird. Und Frieder Schuller um die kunst-, theater- und musikwissenschaftliche. Beide, Literatur und Theaterkunst, haben das Stadtleben entscheidend mitgeprägt.

Als krönender Abschluss des „Dokumentarischen Teils“ wirkt der von einer lebendigen Darstellung geprägte und reich illustrierte „Abriss der Hermannstädter Film- und Kinogeschichte“ von Konrad Klein; so wie ja auch die übrige, teils von ihm stammende Bilddokumentation mit ihren informativen Bildtexten hohe Maßstäbe setzt. Mit erstaunlicher Leichtigkeit erzählt Klein die Hermannstädter Filmgeschichte, indem er sie augenzwinkernd „Zwischen Hollywood und Hermannstadt“ verortet. Um sie dann im Untertitel („Vom Zeltkino auf dem Hermannsplatz zur Festivalstadt des Dokumentarfilms“) dergestalt abzustecken, dass deutlich wird, dass das Medium Film nicht nur als Quelle der Volksbelustigung, sondern eben auch der Erkenntnis und der Kulturgeschichte behandelt werden muss. Eine akribisch recherchierte „Zeittafel zur Kino-, Film- und TV-Geschichte von Hermannstadt“ enthält eine wertvolle Aufstellung von „bislang unveröffentlichten Daten und Fakten zur Hermannstädter Kino- und Filmgeschichte“.

In eine nach ihrer inneren Ordnung aufgebaute Folge haben die Herausgeber den „Literarischen Teil“ der vorliegenden Anthologie gegliedert. Im Formenreichtum der erzählenden, essayistisch-betrachtenden und bekenntnishaften, lyrisch-nostalgischen und hymnischen Texte offenbart sich „Natur und Geist, Sitte und ­Gefühl“ der schreibenden Elite der Hermannstädter. Man möchte meinen, dass sie ihre Seele der „inneren Wirklichkeit der Dinge“ öffnet und ihr Gefühl durch Erinnerung an die zur Seelenlandschaft gewordene Stadt artikuliert. Zur Orientierung seien hier einige der Namen angeführt: Joachim Wittstock, Oskar Pastior, Franz Hodjak, Christian Maurer, Monika Kafka, Dagmar Dusil, Liliana Ursu, Dietfried Zink und Emil Hurezeanu. Somit ist diese Textsammlung keine Betrachtung oberflächlicher Lebensäußerungen, sondern eine kraftvolle Bestätigung der Erkenntnis, dass „die Stadt der Geburt dem Leben als etwas Einzigartiges“ anhängt „wie die Herkunft von der leiblichen Mutter“ (Albert Einstein). So nachzulesen in Dagmar Zink Dusils Einleitung zu diesem Heimat-Buch, dessen Geist und Schönheit jeder einzelne auf seine Art lesen und verinnerlichen möge. Eine schnelle und überaus nützliche Orientierungshilfe bietet das Personen- und Ortsregister am Ende des Bandes.

Die ureigenste Absicht dieser Festschrift liegt freilich und letztendlich in der Erhaltung der Kontinuität der Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt, vor allem aber auch des „neuen Gleichgewichts zwischen Alt und Jung, zwischen Hier und Dort im Kontext des neuen Europas“, wie Jürgen Schuster in seinem Rückblick „Aus der Geschichte der Heimatgemeinschaft“ abschließend notiert. Sein Wort in Gottes Ohr und Chapeau für die Macher dieses wertvollen Buches.

Gerhard Konnerth


Prof. Dr. Gerhard Konnerth (geb. 1938), 1962 bis 1971 Gymnasiallehrer in Heltau und Hermannstadt, ab 1971 Mitglied des Lehrstuhls für Germanistik der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, 1973-1976 Prodekan und 1976-1984 Dekan der Fakultät für Philologie und Geschichte. Nach 1989 Lehrstuhlinhaber und Prodekan der Philologischen Fakultät. 2006 Emeritierung. 1982-1990 Schriftleiter der Zeitschrift „Forschungen zur Volks- und Landeskunde“

„Hermannstadt. Fakten, Bilder, Worte.“ Herausgegeben von Dagmar Zink Dusil. Hora Verlag, Hermannstadt, 457 Seiten, 21,99 Euro, ISBN 978-606-8399-13-3

Schlagwörter: Rezension, Hermannstadt, Kultur, Literatur, Fotogeschichte

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