22. Oktober 2017

Die Bilderkraft der Beschwörung: Peter Jacobis neuer Siebenbürgen-Band

Erscheint es überschwänglich oder dem Gegenstand, um den es hier geht, angemessen, wenn bei der Betrachtung der Bilder dieses Buches und der Lektüre der erläuternden Texte festgestellt wird: Die „Botschaft“ des neuen „Siebenbürgen“-Bandes von Peter Jacobi (geb. 1935) geht ans Herz? „Bilder einer Reise II“ lautet die Fortsetzung des Titels, nachdem im Vorgänger-Band „Siebenbürgen. Bilder einer Reise“ bereits 2007 dasselbe Thema angesprochen worden war. „Wehr- und Kirchenburgen. Stillleben nach dem Exodus“ – so dieses Mal der beredte Untertitel. Den seiner Wurzeln bewussten Siebenbürger berührt der Inhalt über die Sachdokumentation hinaus auch emotional.
Das Entscheidende der Mitteilung Peter Jacobis – des vielseitigen bildenden Künstlers – ist zunächst die Dokumentation. Er suchte dafür rund 200 Ortschaften auf. Er fotografierte Mauern, Burgbasteien, alte Dachböden, Ruinen ebenso wie Erhaltenes, Verfall ebenso wie Renovierung; Menschen, aufragende und zusammengestürzte Kirchtürme, Friedhöfe, Altäre unter freiem Himmel, geborstene Glocken, verstaubte Bücherhaufen. Dann wieder mit Sorgfalt bis heute gepflegte und so vor dem Untergang bewahrte Orgeln, deren es dort in den lutherischen Gotteshäusern kostbarste alte Werke gibt – wie internationale Kenner erstaunt, ja geradezu fassungslos erst nach 1989/90 berichteten.

Wohl ist der Band, wie gesagt, Dokumentation. Zugleich aber ist er Ausdruck der Auflehnung eines Wissenden um Schwere und Ausmaß des Verlustes seiner, nein, unser aller alten Lebensdokumente, somit unserer Vergangenheit: Eines Stücks europäischer Hochkultur in einer historischen Landschaft, von der der deutsche Mitteleuropäer kaum etwas weiß. Oder wenn, dann lediglich auf denkbar peinliche und entstellende Weise: als Heimat des fingierten hohlen und geistlosen Monstrums Dracula, dessen „Erinnerung“ schlitzohrige Straßenhändler bei tumben Westtouristen mit Souvenirs wachhalten. Das genügt diesen auch. Alles weitere scheint sie zu überfordern, z.B. der hohe Standard Jahrhunderte alter Kulturmonumente in diesen Landstrichen, die uns Peter Jacobi mittels Bildern nahebringt. „Dieses Buch“, schrieb er mir im September d. J., „ist mein siebenbürgisches Testament“. Dafür sei ihm Dank!

Denn was bleibt uns Spätgeborenen Vornehmeres zu tun, als in Bild, Wort und Schrift darauf hinzuweisen, was Zivilisations- und Kulturwille und -fähigkeit einer Handvoll Menschen trotz aller zum Teil kaum fassbaren Gefahren und brutalen Unberechenbarkeiten seit dem 12. Jahrhundert im Karpaten-Becken leistete – einer Landschaft von der doppelten Ausdehnung der Schweiz, seit alters her umkämpftes Durchzugsgebiet der Völker, Volksstämme und -splitter ohnegleichen in Europa? Es zu tun, kommt auch einem Akt der Selbstachtung gleich, erst recht, da manches vom Erbe dem mählichen Verschwinden ausgesetzt ist. Wer sich nicht im Besitz erforderlicher Kenntnisse weiß, dem helfen vorzügliche Text- und Bildwerke über Vergangenheit und Gegenwart, über deren Hoch und Tief; ihre Qualität hält jedem Vergleich stand – so wie Peter Jacobis seit Kurzem aufliegende Publikation. Schönheit der Landschaft, Gediegenheit der Lebensordnung ihrer Bewohner – der Siebenbürger Sachsen, von denen hier die Rede ist –, Niveau ihres viele Jahrhunderte überspannenden Leistungsvermögens regten schon den Briten Charles Boner (1815-1870) nicht weniger als vor ihm den führenden historischen Publizisten seiner Zeit August Ludwig v. Schlözer (1735-1809) und andere namhafte Reisende aus den Ländern Europas zu respektvollen, sogar bewundernden schriftlichen Äußerungen an; aus dieser Landschaft stammt auch das älteste von Deutschen erwirkte demokratische Freiheitsdokument („Andreanum“, 1224).

Peter Jacobis Bilder beschwören zu später Stunde den – sichtbaren – Reichtum dieses Erbes. Seine Schöpfer verließen zum weitaus größten Teil die Landschaft ihres Wirkens, getrieben – wie ihre Vorfahren im 12. Jahrhundert – vom Impuls, den ihr Bischof und Historiker Georg Daniel Teutsch (1817-1893) vor 92 Jahren in die Formel fasste: Aufrechte „Menschen haben von jeher die Freiheit dem Vaterlande vorgezogen“ („Geschichte der Siebenbürger Sachsen“, Band I, Seite 16). Jacobis Fotografien sind weitaus mehr als nüchterne Bestandsaufnahme: Der Künstler Peter Jacobi „schoss“ Kameraaufnahmen, deren ästhetische Kraft die Betrachtung zur Faszination werden lässt. Wenn er z.B. einen verlassenen Raum des Gemeindehauses der Ortschaft Halvelagen fotografiert, wird das weinrot und silbergrau irisierende Farbengewoge der schadhaften Wände, Dielenbretter und Decke zu dem über die vordergründige Mitteilung hinausreichenden aufwühlenden Ereignis (S. 397). Wenn er den aufgelassenen Friedhof in Thalheim zum Gegenstand macht, werden die zubetonierten Grabstätten zur gespenstischen Totenlandschaft (S. 363). Nicht anders die Wehrturm-Interieurs in Reußmarkt, Hahnbach und Frauendorf mit den geisterhaften Lichtrefexen (S. 106/107). Ebenso die zerfallenen Fresken in der Apsis des freistehenden Senndorfer Glockenturms (S. 60) oder der nackte Bretterboden mit dem darauf liegenden geöffneten ärmlichen Koffer nebst chaotischem Inhalt im leeren evangelischen Pfarrhaus des Dorfes Rätsch (S. 25).

Alle diese z.T. erschütternden Momentaufnahmen sind fast zur Gänze übertragbar auf das Gesamtbild der bis 1989/90 hier lebenden Menschen. Besitzerlos gewordene Hauser, Kirchen, im Einzelfall sogar geleerte Ortschaften. Peter Jacobis Dokumentation ist nicht das Fazit im Krieg durch Bomben und Artilleriegeschoss vernichteter Ortschaften. Sie ist das Fazit einer anderen Form – teilweiser – historischer Zerstörung, die das 20. Jahrhundert für viele seiner Menschen und seiner Menschengruppen bereithielt. Trotz der in dem Bildband ebenso gezeigten „Inseln“ intakt gebliebener oder mit Hingabe erhaltener oder restaurierter, mit viel Liebe wiederbelebter geschichtlicher Zeugnisse wurde das Buch summa summarum zu dem in Bildern formulierten elegischen Nachgesang, ja, zur Klage.

Verdienstvoll – und nicht zu vergessen – die Texte von Peter Jacobi, Konrad Gündisch, Dorothée Bauerle-Willert, Ioana Vaslui, Manfred Schmalriese, Liviana Dan, gefolgt von Ausstellungs-, Gastvorlesungs-/Workshop- und Werkverzeichnis Jacobis mit reduzierter Auflistung seiner in öffentlichem Besitz befindlichen Werke. Die grafische Gestaltung des Bandes wurde vom Autor, von Vera Bott, Alexander Kloos und Anselm Roth wahrgenommen.

Es gibt keine zweite diesem Buch vergleichbare Bilddokumentation zum Thema „Siebenbürgen“.

Hans Bergel


Peter Jacobi: Siebenbürgen. Bilder einer Reise II. Wehr- und Kirchenburgen. Stillleben nach dem Exodus. Schiller Verlag, Hermannstadt-Bonn, 2017, Großformat 28,5 x 26,5 cm, Harteinband, 423 Seiten, 632 Farbfotos, 29,90 Euro, ISBN 978-3-944529-875, erhältlich im Buchhandel und direkt beim Schiller-Verlag, deutsche Festnetznummer: (02 28) 90 91 95 57

Schlagwörter: Jacobi, Bildband, Fotografie, Besprechung, Bergel

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