19. Oktober 2017

Alle Jahre wieder Katzendorf: Dorfschreiberpreis wurde an Dagmar Dusil übergeben

Als am Sonntag, dem 1. Oktober, die Glocken der Schwarzen Kirche zu Kronstadt die Fünfhundertjahrfeier der Reformation einläuteten, ertönte am anderen Ende des Landkreises das einsame Bimmeln der Glocke von Draas. In dieser eindrucksvollen Kirche, zerstört und verlassen durch menschliches Versagen, hatte sich eine Menschengruppe eingefunden, die ad hoc einen Gottesdienst veranstaltete, der dem Reformator der evangelischen Kirche Martin Luther gewidmet war. „Seit drei Jahren endlich wieder“, sagte bis zu Tränen gerührt die Kuratorin Ella Koscha, die letzte Sächsin vor Ort.
Die Gruppe kam aus dem benachbarten Katzendorf, wo seit 2011 ein Ereignis stattfindet, das einiges Aufsehen erregt: die Verleihung des Katzendorfer Dorfschreiberpreises. Dafür wird ein Schriftsteller ausgewählt, dem Kost und Quartier für die Dauer eines Jahres gesichert werden, wofür er ein Werk, ein Buch über Siebenbürgen verfassen soll. Der Initiator dieser ausgefallenen Idee ist selbst ein enfant terrible der rumäniendeutschen Literatur. Der gebürtige Siebenbürger Frieder Schuller, als Dichter, Dramaturg und Filmregisseur wohlbekannt, lebt in Deutschland und Siebenbürgen und hat sich durch seine Kulturinitiativen einen neuen Namen gemacht. Berlin und sein Heimatort Katzendorf sind seine Wirkungsstätten – Berlin, mit seinem breiten Kulturangebot, und Katzendorf, wo er seine Batterien auflädt. Frieder Schuller hat sich seine Schreiber nach bestimmten Kriterien selbst ausgewählt, sie müssen in sein Konzept passen. Interessant dabei ist, dass die meisten von ihnen keine Siebenbürger sind und eigentlich mit dieser Welt bislang nichts zu tun hatten. Es liegt nun an ihnen, diese unbekannte Welt zu entdecken, zu enträtseln und ihre Erfahrungen literarisch zu verarbeiten, in Büchern, Berichten, Radiosendungen usw.
Vor dem Gottesdienst in der Draaser Dorfkirche, ...
Vor dem Gottesdienst in der Draaser Dorfkirche, in der Mitte des Bildes Frieder Schuller im Gespräch mit Dagmar Dusil, die den diesjährigen Dorfschreiberpreis erhielt. Fotos: Cristian Sencovici
Der erste Autor kam 2011 aus Leipzig und hieß Elmar Schenkel. Sein Buch „Mein Jahr hinter den Wäldern“ erschien im vorigen Jahr und ist eine Fundgrube für Siebenbürgen-Liebhaber. Elmar Schenkel ist quer durch das Land gereist und hat seine Vielschichtigkeit erkannt, aufgesogen und mit viel Feinsinn und sprachlichem Können dargestellt. Dass es nicht mehr das einst sächsische Siebenbürgen ist, mag einige schockieren, die nur noch in ihren Erinnerungen leben. Aber Siebenbürgen ist anders geworden und wird es immer mehr. Schenkel sagt dazu: „Das Land der Kindheit aber, das es seit achthundert Jahren gegeben hatte, das ist nicht mehr. Es ist ein anderes Land, auch dort wird gelebt, gesungen, gehasst, geliebt, nur unter anderen Namen, in anderer Sprache.“

Das zweite Buch eines Dorfschreibers erschien in diesem Jahr und stammt von Jürgen Israel aus Westdeutschland. Dieser wiederum nimmt Katzendorf „in die Mangel“. Was schreibt man über ein ehemals sächsisches Dorf, wo nur noch zwei Sächsinnen leben, und zeitweise der ehemalige Pfarrerssohn etwas Schwung ins Dorf bringt. Denn der Großteil der Bevölkerung besteht vor allem aus Roma, die von uns und auch ihnen selbst noch immer als Zigeuner bezeichnet werden. Also versucht sich der wissensdurstige Autor an diesem Völkchen, das immer mehr zu einem Volk wird und irgendwann die Hälfte der Landesbevölkerung ausmachen wird. Und der Autor wird fündig. Sein „Katzendorfer Tagebuch“ beschäftigt sich mit Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben und doch ganz anders sind, als wir in unserer Unkenntnis behaupten. Jürgen Israel kann das bestätigen, denn er nimmt einen Wesenszug mit nach Deutschland, der ihm bislang nicht wenig gefehlt hat: die „Leichtigkeit des Seins“... Er resümiert: „Sie ist nach meiner Rückkehr in Deutschland nicht von mir abgefallen; sie hat meinen Alltag durchlässiger, luftiger gemacht.“

Und nun gibt es seit Kurzem eine neue Dorfschreiberin, der die Gipskatze mit der Feder für ein Jahr übergeben wurde. Es ist wieder eine besondere Auswahl. Dagmar Dusil ist eine Hermannstädter Schriftstellerin mit Wohnsitz in Deutschland, also die erste Siebenbürgerin, die hüben und drüben lebt. Schon ihr erstes Buch „Blick zurück durchs Küchenfenster“ war ein Bestseller und wurde auch ins Rumänische übersetzt, desgleichen die „Hermannstädter Miniaturen“. Sie ist eine sensible Dichterin, hat das Hermannstädter Buch zusammengestellt und kümmert sich um den „Hermannstädter Heimat-Boten“. Eine Frau voller Ideen und Initiativen, die sich auf die stille Zeit im Wohnturm des Pfarrhauses freut. Die Stille wird einkehren, wenn die vielen Gäste Katzendorf verlassen haben und jene kreative Atmosphäre einkehrt, die Frieder Schuller immer wieder in sein geliebtes Pfarrhaus zurückbringt. Dass er dieses Gefühl des Wohlseins auf seine Freunde und Gäste übertragen kann, das ist das Wundersame an diesen Treffen. Einige kommen schon das fünfte Mal, andere das zweite oder erste Mal, doch man hat den Eindruck, dass sich alle schon längst kennen. Man schläft im Pfarrhaus, bei den Nachbarn oder nebenan in der Büffelfarm des Inders Krishan, man isst gemeinsam im Haus oder im Hof.
Lilian Theil (2. von links) stellte ihre Bilder ...
Lilian Theil (2. von links) stellte ihre Bilder in Katzendorf aus, links von ihr Frieder Schuller und Dagmar Dusil.
Das Programm war diesmal so eingeteilt, dass viel Zeit zum Plaudern und Gedankenaustausch blieb. Der Höhepunkt der Preisverleihung wurde von weiteren ergänzt. Aus Schäßburg kam die 85-jährige Lilian Theil mit ihren einzigartigen genähten Bildern, die großflächig Mauern und Wände im Pfarrhof bedeckten. Am Abend kamen die Dichter zu Wort. Frieder Schuller ließ es sich nicht nehmen, seine Schubert geweihten Gedichte auch hierzulande bekannt zu machen, begleitet am Klavier von Otto Rampelt. Der Sonntag begann mit dem beeindruckenden Gottesdienst in Draas, den Angelika Beer aus Berlin und Ioana Crăciunescu aus Paris/Bukarest gestalteten. Ein Grußwort seitens der anglikanischen Kirche überbrachte Ernest H. Latham Jr., ehemaliger Botschafter der USA in Berlin und Bukarest. Auch das Picknick im Eichenhain bei Streitfort, wo tausendjährige Eichen stehen, wurde durch Poesie verschönert. Dagmar Dusil hatte ihre Übersetzerin Iona Ieronim eingeladen, deren Buch „Triumful paparudei“ über ihre Kindheit in Rosenau nun auch in der deutschen Fassung Dusils vorliegt. Der Kronstädter Lesenciuc stellte seine Abhandlung über Interkulturelle Kommunikation in den rumänischen Dörfern vor, wo auch Katzendorf behandelt wird. Im Pfarrhof erfolgte dann die offizielle Übergabe des Preises durch die Berliner Literaturkritikerin Michaela Nowotnick. Danach bot Dagmar Dusil eine Kostprobe aus ihrem geplanten Roman, worin Katzendorf auch seinen Platz haben wird. Inzwischen waren von Kronstadt letzte Gäste eingetrudelt, darunter Marianne und Heinz Acker. Dadurch wurde die Abschiedsstimmung überspielt, denn aus dem hellerleuchteten Pfarrhaus drangen fröhliche Musikklänge in die Abendstille.

Christa Richter

Schlagwörter: Katzendorf, Dorfschreiber, Dagmar Dusil, Draas

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