28. September 2017

Zwei Bücher, viele Geschichten: "Zwischen den Welten" und "Deutsch-Kreuz"

Die Geschichte liebt die Menschen nicht immer, doch Menschen lieben Geschichten. Wenn sich Geschichten zu Geschichte verdichten, geschieht etwas Wunderbares: Für den Erzähler ist es wie eine Aussöhnung mit dem Schicksal, das nicht umsonst gelebt wurde. Für den Leser ein Gleichnis, aus dem man gefahrlos lernen, die Dinge verstehen lernen kann. Eine Zeitreise, aus der man zwischendurch aussteigen kann, wie aus einer zu schnellen Achterbahn. Nur so lässt sich wohl erklären, dass Menschen über Krieg und Deportation, über das Unrecht der kommunistischen Zeit, über gefundene und verlorene Liebe trotzdem gerne lesen.
Ein Leseereignis mit ebendiesem Hintergrund bereiten zwei Bücher von Ruxandra Hurezean, herausgegeben von der Michael Schmidt Stiftung, vorgestellt am diesjährigen Sachsentreffen in Hermannstadt und auf der Haferlandwoche in Deutsch-Kreuz. In „Zwischen den Welten“ und „Deutsch-Kreuz“ erzählen Siebenbürger Sachsen ihre Geschichten – Erzählfäden, die sich zu einem lebhafteren, bunteren Bild verweben, als es trockene Geschichtsbücher jemals vermitteln könnten …

„Zwischen den Welten. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben erzählen“: Beginnen wir mit der Lektion, die Johann Schaas aus Reichesdorf erteilt: Warum die Sachsen ausgewandert sind, illustriert er anhand der Fabel vom Fuchs und dem Dachs. Der Dachs gräbt einen Bau, doch der Fuchs setzt ihm immer wieder einen Haufen davor – bis es dem Dachs zum Himmel stinkt und er den Bau verlässt. „Der Fuchs ist die Geschichte, liebe Frau“, versucht Schaas der Autorin die Augen zu öffnen. „Die Geschichte, die sich an vielen Morgen vor der Türe der Sachsen entleert hat …“.
Buchvorstellung während des Sachsentreffens in ...
Buchvorstellung während des Sachsentreffens in Hermannstadt im Hof des Brukenthalmuseums, von links: Andrei Pleșu, Michael Schmidt, Catrinel Pleșu, Sofia Folberth, Ruxandra Hurezean, Beatrice Ungar, Benjamin Józsa. Foto: George Dumitriu
Wie schwierig trotzdem Fortgehen sein kann, illustriert die Geschichte von Paul Hemmerth, der bereits als Kind nach Deutschland kam. „Er ging durch die Straßen und sah überall bläuliche Lichter in den Fenstern: die Deutschen sahen fern. Abends schlossen sich alle in ihren Häusern ein und saßen vor dem Bildschirm“, schreibt Hurezean. Hemmerth kehrt schließlich nach Reichesdorf zurück. Kauft Häuser und renoviert sie. Beginnt, sein Dorf mit Freunden zu bevölkern. Innerhalb einiger Jahre ziehen Menschen aus 13 Ländern dorthin. Auch für seine Mutter hat er ein Haus hergerichtet: „Roswitha kehrte in jenes Land zurück, aus dem sie in einer Valentinsnacht mit vier Kisten und zwei Kindern in eine Welt gezogen war, an die sich noch nicht einmal ihre Gene erinnerten. Heute pflegt sie zu sagen, das Leben sei ein Kreis, ‚man muss ihn ganz durchlaufen‘.“

Dass das Universum voller Netzwerke ist, wie ein riesiges Spinnennetz, mit unsichtbaren Verbindungen zwischen all dem, was geschieht, davon ist Sofia Folberth aus Deutsch-Kreuz überzeugt. Erschüttert musste sie als Kind beobachten, wie ihre Mutter das erste selbstgebackene Brot nach dem Krieg an einen Fremden „verfütterte“. Ein Heimkehrer von der Front, der zu Kräften kommen sollte, um weiter in sein Dorf zu gelangen. Was wird Vater sagen, bangte das Mädchen. Doch die Mutter erwiderte nur, sie hoffe, dass auch ihr Sohn, verschollen und totgesagt, von irgendjemandem in der Fremde ein lebensrettendes Stück Brot bekäme. Georg, der Totgesagte, lag unterdessen in einem Lager in Russland, die Beine von Wundbrand befallen. Er wusste: Wer es am Morgen nicht schafft, aufzustehen, werde für tot erklärt und lebendig begraben. Vor Angst fing er an zu weinen. Da wühlte ein Mitinsasse unter seiner Decke ein Stück Brot hervor, das er ihm Klümpchen für Klümpchen in den Mund steckte, damit er zu Kräften käme. Auch Georg schaffte es, heimzukehren. Es ist nicht die einzige unglaubliche Geschichte aus Sofias Leben, die vermittelt, wie wunderbar das Leben trotz aller Härte sein kann. In „Deutsch-Kreuz. Geschichte, Geschichten und Leben eines siebenbürgisch-sächsischen Dorfes“ erzählt sie ihre Lebensgeschichte. Auch das Erlebnis von der Uhr, Geschenk eines späten Geliebten, die für immer stehen blieb, nachdem er diese Welt verlassen hatte … Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, schreibt Emil Hurezeanu im Vorwort. Nach der Lektüre beider ­Bücher ist es ein ganzes Stück vertrauter geworden.

Nina May

Ruxandra Hurezean: „Zwischen den Welten“, ins Deutsche übersetzt von Beatrice Ungar, mit einem Vorwort von Anneli Ute Gabanyi, Honterus Verlag, Hermannstadt, 2017, 8,00 Euro, ISBN 978-606-5873-81-6.

Ruxandra Hurezean: „Deutsch-Kreuz“, ins Deutsche übersetzt von Catrinel Pleșu, mit einem Vorwort von Emil Hurezeanu, Honterus Verlag, Hermannstadt, 2017, 14,00 Euro, ISBN 978-606-8573-84-7.

Zu bestellen (nur Postversand) bei der Michael Schmidt Stiftung, Nymphenburger Str. 20 A, 80335 München, Telefon: (0040) 755-545029, E-Mail: Office [ät] fundatia-michael-schmidt.org, Internetseite: http://www.fundatia-michael-schmidt.org/de/comanda/

Schlagwörter: Buchpräsentation, Deutsch-Kreuz, Sachsentreffen, Hermannstadt

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