1. Juli 2017

Sieglinde Bottesch: Bilder vom Werden und Vergehen

Im Rahmen des Heimattages 2017 wurde die Ausstellung „Sieglinde Bottesch. LEBEN. Bilder vom Werden und Vergehen“ im Kunstgewölbe in Dinkelsbühl gezeigt. Im vergangenen Jahr war der Künstlerin der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis verliehen und eine ihr gewidmete Ausstellung für den kommenden Heimattag 2017 angekündigt worden. Zur Eröffnung am 3. Juni begrüßte die Bundesvorsitzende Herta Daniel das zahlreiche Vernissagepublikum, namentlich die ausstellende Künstlerin Sieglinde Bottesch sowie den einführenden Bundeskulturreferenten Hans-Werner Schuster. Die Einführung wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben.
Vor einem Jahr wurde in der St.-Pauls-Kirche hier in Dinkelsbühl Sieglinde Bottesch mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis geehrt. Leider konnten wir ihr damals keine Ausstellung ausrichten, aus Raummangel, aber wir haben es ihr für dieses Jahr in Aussicht gestellt. Prof. Günther Köppel beendete damals seine Laudatio mit folgenden Worten: „Und so freue ich mich mit Ihnen auf die Ausstellung im nächsten Jahr. Sie werden sehen, Sieglinde Bottesch macht uns mit ihrer Kunst ein großes Geschenk. Schenken Sie ihr auch etwas, wenn Sie im nächsten Jahr wiederkommen: Aufmerksamkeit und vor allem Zeit. Zeit, die wir heute alle nicht mehr haben, die so wertvoll geworden ist und von der eine unvorstellbare Menge in den Kunstwerken steckt, die Sieglinde Bottesch geschaffen hat.“ Ich freue mich, dass so viele unter Ihnen wiedergekommen sind. (…)
Ausstellungseröffnung vom 3. Juni in Dinkelsbühl. ...
Ausstellungseröffnung vom 3. Juni in Dinkelsbühl. Von links: Rosel Potoradi, Martin Bottesch, Friedrich Gunesch, Herta Daniel, Winfried Ziegler, Sieglinde Bottesch, Dr. Bernd Fabritius. Fotos: Konrad Klein
Wer ist nun diese Sieg­linde Bottesch? Kurz zusammengefasst: 1938 wurde sie in Hermannstadt geboren – aber nicht wegen des Geburtsjahres ist sie eine Grand Dame siebenbürgischer Kunst, sie ist es wegen ihres Werkes und ebenso wegen ihrer Haltung. 1965 hat sie die Hochschu­le für Bildende Künste des Pädagogischen Institutes Bukarest absolviert und sich danach in Kirchenmalerei ausbilden lassen, hat bis 1987 in Großau und Hermannstadt als Kunsterzieherin gewirkt und nach einem Anerkennungsstudium auch in Ingolstadt, wo sie lebt und sich als Künst­lerin in den letzten Jahren schwerpunktmäßig der Objektkunst widmet, aber weiterhin auch der Zeichnung, Grafik und Malerei frönt. All das ist in dieser Ausstellung vertreten. Auch wenn die Ausstellung das künstlerische „Werden“ von Sieglinde Bottesch ahnen lässt, immerhin gibt es auch zwei frühe Werke der 70er Jahre, werden vor allem Werke der 2010er Jahre präsentiert. Sie sind Zeugnisse einer ungebrochenen Kreativität auch in fortgeschrittenem Alter, die aber in erster Linie Zeugnis ablegen von hoher künstlerischer Klasse. Dafür sprechen auch die rege Ausstellungstätigkeit von Sieglinde Bottesch, ebenso die Tatsache, dass ihre Werke in zahlreichen öffentlichen wie privaten Sammlungen zu finden sind und nicht zuletzt die Ehrungen, die ihr zuteilwurden, darunter seit 2010 der Bayerische Künstlerehrensold und letztes Jahr der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturpreis.

Eine Einführung will den Zugang zu den ausgestellten Werken erleichtern. (…) Diese Werke sprechen an, mit der gleichen Sinnlichkeit mit der sie von der Künstlerin geschaffen worden sind. Sinnlichkeit, in dem Sinne, dass sie sich ihrer Umwelt zuwendet, sich auf sie einlässt und mit allen Sinnen aufnimmt, um dann Ausschnitte daraus sich so zu eigen zu machen und mit ihrem Sinn für Form und Farbe, für Komposition und Struktur wiederzugeben – nicht spiegelbildlich, fotografisch, aber so, dass ein Betrachter die Urform ebenso erkennt, wie das von Bottesch Aufgepfropfte, oder Letzteres zumindest ahnt.

Sieglinde Bottesch mit ihrer Plastik "Quell" ...
Sieglinde Bottesch mit ihrer Plastik "Quell" (polierter Gips und Wachs).
Wenn ich vor der Tuschezeichnung „Nest“ stehe, bin ich jedes Mal versucht, dieses hingestrichelte flauschige Gebilde zu streicheln, die darin zurückgelassenen Daunenfedern wegzupusten oder das sachte zu Boden schwebende grazile Gebilde behutsam aufzufangen. Ähnlich starke Eindrücke erwecken die anderen Bilder, sofern man sich auf sie einlässt. Sie tun es, weil die Seele und das Können einer Künstlerin in ihnen stecken. Dabei ist das Fundament aller ihrer handwerklichen Fertigkeiten die Zeichnung, der Strich, den sie so gekonnt setzt, wie nur wenige, und damit in würdiger Nachfolge eines Fritz Kimm oder Friedrich von Bömches steht. Ihr gelingt es mit traumwandlerischer Sicherheit, mit ein, zwei Linien Form und Volumen ebenso zu erzeugen wie Vakuum. Anders aber als Bömches ist sie nicht von rastlosem Schaffensdrang getrieben. Sie ist siebenbürgischer, ist bedächtiger und gründlicher, und sie ist weiblicher, lässt Ideen wie auch Werken, mit denen sie schwanger geht, Zeit, lässt sie reifen.

Um die Malerei der Sieglinde Bottesch – hier in der Ausstellung vor allem als Mischtechnik präsent – und ihre Qualität zu würdigen, will ich mit Blick auf den einen Gestalter dieses Heimattages, die Ev. Kirche A.B. in Rumänien, nur darauf verweisen, dass drei der Portraits der Bischofsgalerie im Hermannstädter Bischofspalais (Friedrich Teutsch 1985, Christoph Klein 2011 und sein Vorgänger Albert Klein 1987) von ihr stammen – eine Ehre, die keinem anderen Künstler zuteil wurde.
Sieglinde Bottesch mit ihren Exponaten im ...
Sieglinde Bottesch mit ihren Exponaten im Kunstgewölbe in der Dr. Martin-Luther-Str. (hier vor der Plastik "Ei-Sprung").
Den sieben hier ausgestellten plastischen Ar­beiten und der Objektkunst von Frau Bottesch werde ich ein paar Sätze mehr widmen. Diesem Gebiet der bildenden Kunst hat sich die Künstlerin erst im reifen Alter zugewandt und es zu erstaunlicher Meisterschaft gebracht. Warum? Weil sie sich treu bleibt, kann man mit Prof. Köppel antworten, der weiter ausführt: „Technisch brillant begegnet sie der Realität mit neuen Mitteln. Sie schafft – nein, sie erfindet für sich neue Daseinsformen, gibt Ideen Gestalt in prezioser und vor allem humorvoller Weise. Jedes ist ein Kunst-Stück, eine Wirklichkeit aus der Retorte, virtuos kreiert, geformt, bemalt und schön ,fertig gemacht‘.“

Besser kann man es nicht sagen. Man kann nur schauen und sich nicht satt sehen an diesen so eigenen künstlichen wie natürlichen Formen, man kann der haptischen Versuchung nicht widerstehen, immer wieder tastend die Fingerkuppen darüber gleiten zu lassen, und man kann nicht aufhören, sich zu fragen: Wie hat sie das gemacht?

Die Kreativität eines Künstlers zeigt sich einerseits in der Idee und andererseits in deren Umsetzung. Auch bei Letzterem kennt der Erfindungsreichtum von Sieglinde Bottesch keine Grenzen. Sie experimentiert mit unterschiedlichsten Materialien – bei den hier ausgestellten Plastiken z. B. handelt es sich nicht um Marmor oder sonst einen Naturstein, sondern um Gips oder Keraquick (ein schnell härtender Gusstein). Es sind kleine und mittlere Formate. Die Verhältnismäßigkeit hat es nicht erlaubt, z. B. den lebensgroßen „Stier“, der vor zwei Jahren Aufsehen erregt hat, für zwei Tage nach Dinkelsbühl zu bringen. Gerade mit dem „Stier“ gibt sie wieder ein Beispiel ihrer Erfindungsgabe. Diese Plas­tik, gewissermaßen eine Inkarnation all dessen, was ein Stier ist und sein kann, hat ein „Skelett“ aus Styropor. Auf diese Styropor-Grundform hat sie Keraquick als „Fleisch“ draufgepackt und bearbeitet, poliert, geritzt, und poliert, geritzt, bis es wurde, was es werden sollte. Mich hat er in der Einfachheit und Klarheit seiner Linienführung wie in seiner Expressivität an die Illustrationen siebenbürgisch-sächsischer Sagen und Sprichwörter erinnert, mit denen die Künstlerin am Beginn ihrer Karriere weit über den Kreis von Kunstfreunden hinaus bekannt wurde. (…)

Möge Ihnen, sehr geehrte Frau Bottesch, die Inspiration und Schaffenskraft noch lange erhalten bleiben, damit wir uns, wer weiß, vielleicht auch noch an Video-Kunst „Made by Bottesch“ oder, was näher liegt, an Wortkunst erfreuen. Wortkunst in dem Sinne, dass Wort und Wortsinn ins Bild gesetzt werden à la Jenny Holzer – und nicht so dezent, wie Sie es schon jetzt machen mit Bildtiteln oder deren Erweiterung – z. B. bei der Tuschezeichnung „Nest“. Dort präzisieren Sie, dass es sich bei dem Nest, diesem Urzeichen für Geborgenheit und Heimat, um ein verlassenes Nest handelt. Ob Sie aber mit der Ergänzung „Auch kein Nestbeschmutzer“ auf die durch den Umzug der bekannten und geliebten Menschen steril gewordene Heimat hinweisen oder aber die Idealisierung aufs Korn nehmen, die wir Ausgeflogenen mit unserem nostalgischen Blick zurück nicht nur beim Heimattag betreiben, das mag jeder Betrachter für sich entscheiden.

Schlagwörter: Bottesch, Künstlerin, Ausstellung, Heimattag 2017, Dinkelsbühl

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