16. Juni 2017

Vom Evangelischwerden zum Deutschbleiben und Heimkehren

Der Heimattag 2017 stand unter dem Stern gleich zweier Jubiläen: 500 Jahre Reformation und 60 Jahre Patenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. „Die Festveranstaltung ist für mich einer der Höhepunkte“, bekennt Bundestagsmitglied Dr. Bernd Fabritius. Zum einen, weil die Reformation die beiden Säulen der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft, Schule und Kirche, hervorgebracht hat. Zum anderen, weil sich die Siebenbürger Sachsen von Anfang an in Nordrhein-Westfalen angenommen fühlten – und umgekehrt auch für das Bundesland eine Bereicherung darstellten. „Wir sind angekommen“, hieß es vor über 60 Jahren, als sie aus Österreich in größeren Gruppen umgesiedelt wurden, um im Bergbau Aufbauarbeit zu leisten.
Doch wie kam es dazu, dass über die Jahrhunderte, die seit der Auswanderung bis zur „Rückkehr“ nach Deutschland vergangen waren, die deutsche Identität bewahrt werden konnte? Den Versuch einer Antwort wagt Festredner Dr. Dr. Gerald Volkmer – er selbst Siebenbürger Sachse, 1974 in Kronstadt geboren, seit 2013 stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa an der Universität Oldenburg.



Musikalisch untermalt wurde der Festakt vom Honterus-Chor aus Drabenderhöhe in Begleitung des Klausenburger Musikwissenschaftlers Dr. Erich Türk an der Orgel.

500 Jahre Reformation

Die Geschichte der Reformation in Siebenbürgen rollt Volkmer anhand von zwölf Querschnitten auf, vorgenommen im Abstand von fünf Jahren zwischen dem Anschlag der 95 Thesen durch Luther 1517 in Wittenberg bis zum Jahr 1572. Er beginnt mit den Fragen: „Wie sähe unsere Welt aus, wenn es Martin Luther nicht gegeben hätte?“ „Säßen wir dann überhaupt als Siebenbürger Sachsen hier?“ Luthers Thesen vor 500 Jahren hatten wie ein Schneeball unzählige Lawinen ausgelöst, von denen sich eine in den Donau-Karpatenraum ausbreitete – mit bedeutenden Konsequenzen für die heutige Identität der Siebenbürger Sachsen, und zwar weit über religiöse Belange hinaus.
Der Honterus-Chor aus Drabenderhöhe mit ...
Der Honterus-Chor aus Drabenderhöhe mit Dirigentin Regine Melzer und Dr. Erich Türk an der Orgel sorgten für die musikalische Untermalung des Festakts in der St.-Pauls-Kirche von Dinkelsbühl. Im Hintergrund (erste Reihe, dritter von links): Festredner Dr. Dr. Gerald Volkmer. Foto: George Dumitriu
Der rote Faden, den der Festredner durch die Geschichte der Reformation spinnt, führt zu der Frage: Ist die deutsche Identität der Siebenbürger Sachsen ohne die Reformation überhaupt denkbar? Die Forschung ist sich zumindest darin einig, dass ohne die Konflikte zwischen Kaiser und Fürsten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und ohne die Kriege zwischen den katholischen Monarchen sowie den Vorstoß des Osmanischen Reichs nach Mitteleuropa die Reformation keine Chance gehabt hätte, sich gegen die katholische Kirche und die katholischen Herrscher zu behaupten und durchzusetzen, erklärt Volkmer. In Siebenbürgen zeigten sich der ungarische Hochadel und die sächsischen Patrizier auch aus praktischen Überlegungen an der Reformation interessiert: Die Möglichkeit, das katholische Kirchengut einzuziehen und das ­Patronat über die neuen protestantischen Landeskirchen zu übernehmen, versprach auch ­politische und wirtschaftliche Vorteile. Die Anerkennung mehrerer reformatorischer Strömungen durch den siebenbürgischen Herrscher, König Johann Sigismund Szapolyai, und den siebenbürgischen Landtag führte dazu, dass ab 1568 das Luthertum, der Calvinismus, der Unitarismus und der Katholizismus die vier „rezipierten“ Konfessionen des Landes darstellten. Bei gleichzeitiger Duldung der griechisch-orthodoxen Kirche konnte sich folglich in Siebenbürgen eine einzigartige religiöse Vielfalt herausbilden, die sogar staatsrechtlich abgesichert war.

Mit dem Innovationsverbot von 1572, das die Anerkennung neuer konfessioneller Strömungen in Siebenbürgen untersagte, und der Annahme des Augsburger Bekenntnisses wurde der reformatorische Prozess bei den Siebenbürger Sachsen formell abgeschlossen.

Daraus ergaben sich folgende konkrete Konsequenzen: Unabhängigkeit durch die Gründung einer Landeskirche mit eigenem Bischof, den die sächsischen Pfarrer wählen; ein unmittelbarer Bezug des Volks zur christlichen Lehre durch Gottesdienste auf Deutsch oder Sächsisch; ein intensiver und ständiger Austausch mit lutherischen Kirchen Deutschlands, vor allem durch das Studium der Pfarrer an deutschsprachigen Universitäten oder die Einführung kirchlicher Sozialfürsorge und des deutschsprachigen Schulwesens in kirchlicher Trägerschaft, verbindlich geregelt durch die Kirchenordnung von 1547. Letzteres sei das wohl nachhaltigste Ergebnis der Reformation, so Volkmer. Die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen ab 1721 bildete die Basis eines ausdifferenzierten Bildungssystems, das beiden Geschlechtern und allen sozialen Schichten offenstand. Auch der bedeutende Einfluss der evangelischen Pfarrfrauen auf das gesellschaftliche Leben der Siebenbürger Sachsen wäre ohne die Reformation nicht denkbar gewesen.

Schließlich zitierte der Referent das vom Historiker und Sachsen-Bischof Friedrich Teutsch stammende Postulat „Das Siebenbürger Sachsenvolk wäre nicht deutsch geblieben, wäre es nicht evangelisch geworden“, nicht ohne es augenzwinkernd mit dem Hinweis zu hinterfragen, die Siebenbürger Sachsen hätten bereits im Mittelalter über eine weitreichende Autonomie innerhalb der katholischen Kirche verfügt.

60 Jahre Patenschaft

Das zweite Thema der Festrede betrifft die eingangs erwähnte Patenschaft. Der Historiker Dr. Dr. Gerald Volkmer stellte klar, dass die Beziehung der Siebenbürger Sachsen zu Nordrhein-Westfalen jedoch mindestens sechs Jahre früher begann. 1951 wurden die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen des heutigen Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland gegründet und erste Überlegungen angestellt, die in Österreich lebenden Siebenbürger Sachsen – vorwiegend aus Nordsiebenbürgen – geschlossen nach Deutschland umzusiedeln. Dies wurde an die Bedingung geknüpft, im Steinkohlebergbau in Nordrhein-Westfalen eingesetzt zu werden, die wegen der schlechten Chancen auf Arbeit im Österreich der Nachkriegszeit akzeptiert wurde. 1953-1954 kam es zur Gründung der sächsischen Siedlungen Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und Setterich. 1955 wurde die Umsiedlung mit der Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft abgeschlossen. Für die Siebenbürger Sachsen war das wichtigste Signal: Ihr seid keine Bittsteller, sondern als Aufbauhelfer willkommen.

Dies, aber auch die Erkenntnis, dass ein großer Teil der mutmaßlichen „Urheimat“ der Siebenbürger Sachsen im heutigen Nordrhein-Westfalen liegt, war schließlich der Anlass, 1955 den Antrag für die Übernahme einer Patenschaft für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland zu stellen, der am 17. Januar 1957 von der Düsseldorfer Landesregierung einstimmig angenommen wurde. Der Verband wurde in den folgenden Jahrzehnten politisch und materiell unterstützt, vor allem in der Kulturförderung. „Es ist soweit. Wir sind daheim!“ drückte Robert Gassner, der „Vater“ von Drabenderhöhe, der weltweit größten geschlossenen Siedlung der Siebenbürger Sachsen, bei deren feierlichen Eröffnung aus. Dieser Satz habe bis heute seine Bedeutung nicht verloren, betonte Volkmer am Ende seiner Festrede, die in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 11 vom 5. Juli 2017, im Wortlaut dokumentiert wird.

Nina May

Schlagwörter: Heimattag 2017, Festakt, Reformation, Reformationsjubiläum, Patenschaft, Nordrhein-Westfalen, Volkmer

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