21. Mai 2017

„Luther hatte auch dunkle Seiten“ - Martin Eichler spricht über seinen berühmten Vorfahren

Dass der in siebenbürgischen Kreisen bekannte und geschätzte Fotograf Martin Eichler aus der ehemaligen DDR stammt, wissen wohl einige; dass er vor seiner Karriere als Fotograf Theologie studiert und auch in diesem Bereich gearbeitet hat, dürfte eher weniger bekannt sein; und dass er ein Nachkomme des Reformators Martin Luther ist, hängt er ohnehin nicht an die große Glocke. Grund genug, im Jubiläumsjahr der Reformation mit ihm über Familie, Glauben und die Lutheriden-Vereinigung, deren stellvertretender Vorsitzender er ist, zu sprechen. Das ­Interview führte Doris Roth.
Wann haben Sie erfahren, dass Sie ein Nachfahre von Martin Luther sind? Hat dieses Wissen Ihr Leben beeinflusst bzw. Ihre Entscheidung, Theologie zu studieren?
Wann ich erfahren habe, dass ich zur Nachkommenschaft Martin Luthers
Martin Eichler ...
Martin Eichler
zähle, kann ich nicht genau sagen. Ich kann mich aber erinnern, dass ich schon als Kind, so mit zehn, zwölf Jahren, im „Nachkommenbuch“ gestöbert habe und von den Namen meiner Vorfahren fasziniert war. Der Zweig meiner Stammlinie entspringt bei Luthers Tochter Margarethe, verheiratete von Kunheim. Dann ging es weiter über von Saucken, von Wegner, von Lettow-Vorbeck zu meinem Großvater Lutschewitz, der Missionar in China war, insgesamt 14 Generationen. Wissentlich beeinflusst hat das Wissen darum mein Leben wohl nicht. Wenigstens hatte meine Entscheidung, Theologie zu studieren, mehr mit den Zuständen in der damaligen DDR zu tun als mit Martin Luther, meinem Vorfahren.


Heißen Sie Martin nach Ihrem berühmten Vorfahren? Wird der Vorname in der Familie – auch in der weiblichen Variante – weitergegeben?
Ja, tatsächlich haben mir meine Eltern den Namen Martin nach Martin Luther gegeben. Ich weiß aber nur von einem Martin in der vorherigen Generation. Es gibt da also keine lange Tradition.


Wie feiern Sie und Ihre Familie das Reformationsjubiläum 2017?
Als Familie feiern wir im weiteren Sinne. Es gibt die Lutheriden-Vereinigung e.V. Das ist der Familienverband der Nachkommen Martin Luthers. Wir feiern in diesem Jahr unseren „Familientag“ natürlich in Wittenberg. Da kommen im September so annähernd 100 Luthernachkommen zusammen. Das ist natürlich nur ein Bruchteil der geschätzt fast 6000 Nachkommen, die weltweit leben. Viele von denen wissen aber selbst kaum, dass sie zur Nachkommenschaft zählen. Das ist eine Zahl, die sich aus den Stammbüchern ergibt, die von der Lutheriden-Vereinigung gepflegt werden.
Ausschnitt aus dem Buch „Die Nachkommen des ...
Ausschnitt aus dem Buch „Die Nachkommen des Reformators Martin Luther“ (2015) mit dem Eintrag von Martin Eichler.

Gibt es eine Veranstaltung im Lutherjahr, die Sie den Lesern besonders ans Herz legen möchten?
Da sind natürlich die vielen Veranstaltungen in diesem Jahr in Wittenberg zu nennen. Einen Überblick bekommt man auf der Webseite www.lutherstadt-wittenberg.de. Für die Münchner ist vielleicht eine Ausstellung in der Staatlichen Münzsammlung in der Residenz interessant. Da wird am 4. Juli um 18.00 Uhr die Ausstellung „Luther imagines 17“ feierlich eröffnet, in der Münzen und Medaillen mit Lutherdarstellungen im Wandel der Jahrhunderte gezeigt werden. Bei der Gelegenheit werde ich auch ein Grußwort sprechen. Am 8. Oktober führt der Kantatenchor München um 19.00 Uhr das Oratorium „Luther“ in der Kirche St. Johannes am Preysingplatz auf. Und wen sein Weg nach Hermannstadt führt, dem sei wärmstens die Ausstellung im Friedrich-Teutsch-Haus „REFORMATIO TRANSILVANIAE 500 – Sakrale Räume und Symbole im Wandel“ empfohlen. Diese Ausstellung ist noch bis 10. November zu besichtigen.


1517 hat Luther seine 95 Thesen angeschlagen, 1521 – auf dem Reichstag in Worms – brachte sein Widerstand den reformatorischen Durchbruch. Manche Theologen plädieren daher für 2021 als Jubiläumsjahr. Wie stehen Sie dazu? Könnte man jetzt vier Jahre durchfeiern?
Da würde ich schon eher das Jahr 1520 nehmen. Denn das war das Jahr, in dem Luther mit seinen reformatorischen Hauptschriften „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (Sommer 1520), „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ (Oktober 1520) und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (November 1520) an die Öffentlichkeit trat. In diesen drei Schriften definiert sich „Reformation“ im lutherischen Sinn. Insofern gibt es natürlich Anlässe, sich in den nächsten Jahren auch weiter mit dem reformatorischen Impuls zu beschäftigen.

Die Lutherrose ist nicht nur das Wappen Martin ...
Die Lutherrose ist nicht nur das Wappen Martin Luthers, sondern vielfach Symbol evangelisch-lutherischer Kirchen. Die Lutherrose ist auch das Zeichen der Lutheriden-Vereinigung. e.V. Das Foto zeigt einen Wandbehang mit neun Variationen zur Lutherrose, geschaffen von einem Frauenkreis unter Leitung von Ilse Philippi, Hermannstadt. Fotos: Martin Eichler
Sind Sie mit allem einverstanden, was von Luther überliefert ist? Wie gehen Sie mit der heutigen Kritik an Luther um, Stichwort: Antisemitismus?
Das ist eine Frage, die man zum 400. Jubiläum 1917 bestimmt nicht gestellt hätte. Heute sind wir einen Schritt weiter und sehen Martin Luther nicht mehr als „Nationalheiligen“. Wenn man das Wirken des Reformators verfolgt, stellt man fest, dass es – vereinfacht gesehen – drei Phasen gibt: die des reformatorischen Eifers vom Turmerlebnis 1515 bis zur Übersetzung des Neuen Testaments 1522; die Phase der Etablierung der Reformation, der Heirat mit Katharina von Bora; und die späte Phase, in der Luther von zahlreichen Krankheiten gepeinigt und enttäuscht von Rückschlägen zunehmend verbittert war. Das schlug sich auch in seinen Äußerungen nieder, die überliefert sind. Man muss Luther allerdings als einen Menschen seiner Zeit verstehen. Er hat die Tür zur Neuzeit aufgestoßen, stand aber mit seinen Füßen noch im Mittelalter. Das entschuldigt aber nicht seine Ausfälle gegenüber den Juden. Man muss sich damit abfinden, dass Martin Luther auch seine dunklen Seiten hatte.


Welche Relevanz hat Luthers Vermächtnis heute – für Sie persönlich und die Gesellschaft?
Persönlich ist für mich natürlich bedeutsam, dass Luther dafür gesorgt hat, dass im Verhältnis des Glaubenden zu Gott viel Ballast abgeworfen wurde. Seine Grundsätze „sola scriptura“, allein durch die Schrift, also die Besinnung auf den biblischen Text, „sola gratia“, allein durch die Gnade – und nicht durch gute Taten oder Ablass, also die Rückbesinnung auf Gottes bedingungslose Gnade, und „sola fidei“, also allein durch den Glauben, sind Grundwerte für mich als evangelischen Christen. Im Blick auf die Gesellschaft, also losgelöst vom Kontext Glaube und Kirche, halte ich für bedeutsam, dass wir uns vom Wirken Martin Luthers ermutigen lassen sollten, über Dinge genau nachzudenken, uns nicht unreflektiert von der üblichen Meinung beeinflussen zu lassen und dann klar Stellung zu beziehen, im Sinne des ihm zugeschriebenen „hier stehe ich, ich kann nicht anders“.


Vielen Dank für das Gespräch, Herr Eichler.

Schlagwörter: Luther, Interview, Martin Eichler, Reformation

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