20. Dezember 2016

Der Prozess Stephan Ludwig Roths

Stephan Ludwig Roth (1796-1849) gehört neben dem Humanisten und Reformator Johannes Honterus, dem Gubernator Siebenbürgens Samuel von Brukenthal, dem Bischof und Historiker Georg Daniel Teutsch sowie dem Vater der Weltraumfahrt Hermann Oberth zu den bekanntesten siebenbürgisch-sächsischen Persönlichkeiten. Er war Schulmann, Pfarrer, Publizist, Volkswirtschafter, Politiker. Über keinen anderen Siebenbürger Sachsen gibt es ein so umfangreiches Schrifttum wie über ihn. Es zählt annährend tausend Titel. Sein pulsierendes Leben und Werk hat dichterische Gestaltung gefunden in zahlreichen Gedichten und Liedern, in Erzählungen, in zwei Romanen und drei Dramen und Festspielen. Lesen Sie im Folgenden die Fortsetzung des Beitrags "Zum 220. Jahrestag der Geburt Stephan Ludwig Roths".
In der Revolution von 1848/49 wurden alle ungelösten gesellschaftlichen und politischen Probleme hochgespült. Das Zentralproblem war die von Ungarn geforderte Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn, ohne dass sie den nichtmagyarischen Völkerschaften Garantien für ihre nationale Existenz zu gewähren bereit waren.

Unter dem Druck der Revolution wurden die feudalen Standesrechte und die hörige Untertänigkeit der Jobagen aufgehoben. Die Siebenbürger Sachsen wurden 1848 nach dem Verlust ihrer Privilegien eine nationale Minderheit ohne gesetzlichen Schutz. Da sie nicht einmal auf dem Königsboden mehr die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, bemächtigte sich ihrer eine Untergangsstimmung, und der Kampf um nationale Behauptung wurde zum zentralen Anliegen ihres politischen Handelns. Stephan Ludwig Roth wies darauf hin, dass die Sachsen durch die Aufhebung des privilegierten Standes nicht nur Verluste erlitten hätten, da etwa ein Drittel der Sachsen, die auf Komitatsboden lebten, nun freie Bürger geworden seien.

In der führenden sächsischen Elite hat sich keiner so intensiv mit der drohenden, nationalen Existenzfrage wie Roth beschäftigt. Er war die führende Persönlichkeit, der allbekannte Sachsensohn. In einem längeren Aufsatz, den er am 6. August 1848 in den Kronstädter Blättern für Geist Gemüth und Vaterlandskunde veröffentlichte, schrieb er, dass sein „gutes und treues, sinniges deutsche Volk (gemeint sind die Siebenbürger Sachsen) keine andern Fehler habe, als dass es nicht zahlreicher sei“. Aus diesem „Fehler“ entsprang die Angst, sich als Deutsche nicht mehr halten zu können. St. L. Roth hat durch die Veröffentlichung von Schriften und Zeitungsartikeln sowie seinen persönlichen Einsatz seine Zeitgenossen auf die bestehenden Gefahren aufmerksam gemacht und sie aufzurütteln versucht.
Hans Guggenberger: Wanderpreis der Stephan-Ludwig ...
Hans Guggenberger: Wanderpreis der Stephan-Ludwig-Roth-Spiele, gestiftet von Samuel Karres. Bronze, montiert auf Eichenplatte (1930). Die Plakette schmückte den Festsaal jeweils jener Schule, die als Sieger der Spiele hervorgegangen war. Samml. des Landeskonsistoriums des ev. Kirche in Hermannstadt. Zeitgenössische Aufnahme, Samml. Konrad Klein
Die Errungenschaften der Revolution kamen vor allem den bis dahin rechtlosen Rumänen zugute. Sie verkündigten ihre Ansprüche auf einer großen Volksversammlung in Blasendorf, an der auch St. L. Roth teilnahm. Die Rumänen und Sachsen lehnten die von Ungarn geforderte Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn ab, da die ungarische Regierung den nichtmagyarischen Mitbürgern keine nationalen Schutzrechte zugestand. Sie unterstützen daher das österreichische Heer unter dem kommandierenden General Freiherr Anton von Puchner gegen das ungarische Heer und damit die Habsburger Monarchie, die ihnen nationale Schutzrechte versprach. Auf Vorschlag der Nationsuniversität wurde Roth von General Puchner zum Kommissär für die 13 untertänigen sächsischen Dörfer des Kokelburger Komitats ernannt, die er auf deren Wunsch den Schäßburger und Mediascher Stühlen des Königsboden anschloss. Danach wurde Roth zum Stellvertreter des provisorischen Komitatsverwalters mit dem Sitz in Kokelburg bestimmt.

Das ungarische Heer unter dem Kommando von Josef Bem besetzte 1849 ganz Siebenbürgen, das österreichische Heer zog sich in die Walachei zurück. Roths Feinde nutzen diese Gelegenheit, um sich seiner zu entledigen. Am 21. April 1849 wurde er von einem ungarischen Militäraufgebot auf dem Pfarrhof in Meschen verhaftet und einem Standgericht in Klausenburg übergeben. Seine Verhaftung war von Kossuth Lájos, Präsident Ungarns, und vom Regierungskommissär für Siebenbürgen, László Csányi, befohlen worden.

Roth hatte sich, wie im ersten Teil dieses Aufsatzes erwähnt, durch die Kritik an der Magyarisierungspolitik und die Ablehnung der von ­ungarischer Seite geforderten Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn den Hass ungarischer Elitekreise zugezogen. Durch seine Kaisertreue im Bürgerkrieg Ungarns gegen Österreich in den Jahren 1848-1849 und die Annahme von Aufträgen seitens des österreichischen Heereskommandanten, Feldmarschall Puchner, wurde der gegen ihn bestehende Hass führender ungarischer Kreise aufs Äußerste gesteigert. Das Gericht wertete die proösterreichische Haltung Roths als Vaterlandsverrat und beschuldigte ihn, walachische und sächsische Bauern gegen ungarische Grundherren geführt und deren Besitz im abgelaufenen Revolutionsjahr 1848 geschädigt zu haben. In Wirklichkeit wurde Roth wegen seines publizistischen Wirkens gegen die Magyarisierungspolitik und seiner Parteinahme für die Rumänen verurteilt. Dafür konnte er aber nicht zu Tode verurteilt werden, darum wurden sie im Prozess nicht erwähnt, dafür „Straftaten“ gesucht oder erfunden, die er angeblich während der Revolution begangen hatte. Der Prozess, der am 10. und 11. Mai 1849 stattfand, diente nur dazu, die eigentlichen Ursachen der Vorverurteilung durch einen Richterspruch zu decken. Das Urteil lautete Tod durch Pulver und Blei, zu vollziehen innerhalb von drei Stunden.
Stephan Ludwig Roth verabschiedet sich von seinen ...
Stephan Ludwig Roth verabschiedet sich von seinen Kindern. Zeichnung von Friedrich Mieß (Robert Wellmann?). Aus: Wilhelm Morres, Stephan Ludwig Roth, der Volksfreund und Held im Pfarrerrock. Kronstadt 1898. Samml. Konrad Klein
Es schmerze Roth besonders, dass er vier Kleinkinder als Waisen zurückließ, nachdem seine zweite Ehefrau 1848 ihm in den Tod vorausgegangen war. Er überreichte dem Klausenburger Pfarrer Georg Hintz, der ihn begleitet hatte, einen Brief an seine Kinder, der heute als eines der bedeutendsten und beeindruckendsten Roth-Zeugnisse gilt.

Das Todesurteil wurde am 11. Mai nachmittags 14 Uhr verkündet und drei Stunden danach vollzogen. Die Exekution durch Pulver und Blei erfolgte öffentlich in einer Schanze des Klausenburger Schlossberges inmitten einer großen, gaffenden Volksmenge. Sowohl Freund als auch Feind waren aufs tiefste beeindruckt von der Ruhe, mit der der Verurteilte den Tod annahm. Pfarrer Georg Hintz und Roths Biograph Andreas Gräser verdanken wir die Beschreibung des Exekutionsgeschehens, das wir wortwörtlich wiedergeben: „Auf dem Executionsplatz angekommen, übergab Roth dem Pfarrer Hintz ein Schnupftuch mit der Bitte: ‚Lieber Bruder! Tauchen Sie, wenn ich gefallen bin, dies Tuch in mein Herzblut und überschicken Sie es an meine älteste Tochter.‘ Hierauf wurde Stille geboten und einer der Blutrichter verlas den Urteilsspruch, bei dessen Beginn Roth zu Hintz sprach: ‚Hören Sie jetzt das Lügengewebe.‘ Und als der Richter die Stelle las: ‚Der Verurteilte hat die Heilige Schrift mit dem Schwert vertauscht‘, rief er: ‚Es ist nicht wahr, ich habe nie ein Schwert geführt.‘ Da alle Hoffnung auf Begnadigung geschwunden, ließ sich Roth aufs Knie nieder und betete ein Vaterunser. – Hierauf seinen Hut rückwärts werfend, sprach er zum kommandierenden Offizier sich wendend: ‚Nun stehe ich zu Ihrem Befehle, Herr Hauptmann:‘ Die Anordnung, dass ihm die Augen mit einem weißen Tuch verbunden würden, wies er ernst mit den Worten zurück. ‚Verzeihen Sie, Herr Hauptmann, auch als zum Tode Verurteilter habe ich das Recht darüber zu bestimmen. Ich werde die Augen ohnehin bald auf immer zumachen, bis dahin aber will ich die schöne Welt Gottes schauen, so lang es mir möglich ist. Wohin soll ich mich stellen.‘ Auf dem angewiesenen Platze stand der edle Mann mit über der Brust gekreuzten Armen, mit verklärtem Blicke gegen Himmel schauend – ein Anblick, der selbst bei seinen Feinden Achtung und Bewunderung hervorrief. – Nun erscholl das schreckliche ‚Feuer‘ und in kurzen Zwischenräumen auf einander folgend, fielen drei Schüsse. Der erste traf den rechten Oberarm, den der Unglückliche sogleich sinken ließ, ohne im Übrigen seine Stellung auch nur im Geringsten zu verändern. Der zweite Schuss traf die linke Seite in der Lendengegend. Jetzt sank Roth auf‘s Knie und bedeckte mit der linken Hand die Wunde, und in dem Augenblicke fuhr die dritte Kugel durch das teure Haupt, und da lag der große und geliebte Mann seines Volkes in seinem Blute. – Lautlose Stille herrschte, nachdem das Opfer gefallen, bei der unabsehbaren Volksmenge, da trat der kommandierende Hauptmann, hingerissen von der Größe des Augenblicks, von der Seelengröße des gefallenen Mannes, vor und rief mit bebender Stimme: ‚Soldaten! Lernt von diesem Manne, wie man für sein Volk stirbt.‘“

Franz Oberth, der zweite bedeutende Biograph Roths, fügt hinzu: „Die Kugeln, welche Roth durchbohrten, haben ihm Unsterblichkeit verliehen. So lange ein sächsisches Herz schlägt, wird sein Name unvergessen sein. Sein Denkmal von Erz kann verrosten und in Staub zerfallen, sein Nachruhm wird es überleben. Mit ungeschwächter Bewunderung hängt das Sachsenvolk an dem Andenken dieses Mannes. Über seine Bedeutung gehen die Meinungen nicht mehr auseinander, wie es einst der Fall war. Nein, das Verständnis seiner Wirksamkeit war zwar so lange er sie hätte sehen können, nicht groß. Doch am Ende erreichte er das Höchste: Einen ehrenvollen, vom Glanze der Unsterblichkeit verklärten Tod als Märtyrer seiner Idee, seines Volkes. Denn er ist nicht wegen irgendwelcher persönlicher, strafbarer Handlungen erschossen worden. In ihm wurde nicht die Person, sondern der Vorkämpfer des Sachsenvolkes zum Tode durch Pulver und Blei verurteilt. Viel zu schnell pflegen nachgeborene Geschlechter sonst das Wirken und die Arbeit treuer Vorkämpfer zu vergessen. Er ist nicht vergessen worden. Seine Gestalt ist für uns keine tote. Sie lebt unter uns. Seine Gedanken sind neu und kräftigend auch für die Gegenwart. Sein Bild tritt bei jeder tiefgehenden Bewegung unter und immer wieder vor das geistige Auge.“ Der Leichnam Roths wurde ohne Sarg im Garten des Klausenburger Schlossberges, an der Stelle, wo er gefallen war, verscharrt. „Die Kürze der Zeit vor seiner Hinrichtung machte es mir unmöglich, einen Sarg herbei zu schaffen; übrigens wäre das auch nicht gestattet worden“, berichtet Pfarrer Hintz. Nach der Hinrichtung Roths bewilligte Kaiser Franz Josef seinen hinterbliebenen, unmündigen Waisen als Belohnung für seine Kaisertreue einen jährlichen Erziehungsbeitrag von 200 Gulden bis zum 24. Lebensjahr.

Erst nachdem das ungarische Heer von einem russischen Heer, das den Habsburgern zu Hilfe gekommen war, geschlagen sich aus Siebenbürgen zurückzog und Ruhe ins Land eingekehrte, konnte die Familie Roths 1850 die Gebeine des Verstorbenen exhumieren lassen, am 17. April nach Mediasch überführen, wo am 19. April im so genannten Schülergarten vor dem Stadtfriedhof unter großer Teilnahme die feierliche Beisetzung stattfand. Am 20. Mai 1853 ein großer, schwarzer, gusseiserner Obelisk über dem Grab aufgestellt, der durch Spenden aus dem ganzen Sachsenland gestiftet worden war und auch jetzt noch über der Grabstätte wacht. Der Sockel des Obelisk trägt auf der der Stadt zugekehrten Seite in erhabenen Buchstaben die Inschrift: „Dem Andenken Stephan Ludwig Roths das Sachsenvolk“. Auf der entgegengesetzten Seite des Sockels stehen die Worte: „Gestorben am 11. Mai 1849“.

An dieser Stätte fanden und finden, soweit sie nicht verboten wurden, Gedenkfeiern zu Ehren des großen Sachsensohnes statt. Roth war jedenfalls Jahrzehnte nach seinem Tod, wie Franz Obert feststellte, „das öffentliche politische ­Gewissen des Sachsenvolkes“. Er hat sich auch gegen eine Auswanderung angesichts Magyarisierungs- und „Verwalachungs“-Gefahr ausgesprochen, weil er der Meinung war, dass aus eigener Kraft und zwar durch Bekenntnis zum Deutschtum und eigenem Volk sowie Loyalität gegenüber dem Vaterland die Gefahr gebannt werden könnte.

Hier müsste nun ein Kapitel über die Ehrung Roths seit seinem Tod bis in unsere Tage folgen. Aus Platzmangel muss drauf verzichtet werden. Wir weisen darauf hin, dass in der soeben erschienenen Biographie „Stephan Ludwig Roth – Lebenswerk eines namhaften Siebenbürger Sachsen“ von Michael Kroner (Schiller Verlag, 206 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 9-783-94452-998-1) diesem Aspekt die gebührende Aufmerksamkeit gewährt wird. Ein anderer Aspekt verlangt eine Antwort. Wie hat unsere Generation das Vermächtnis Roths von Heimattreue befolgt, nachdem als Folge der Aussiedlung nur ein Rest des Sachsenvolkes in Siebenbürgen verblieben ist? Wir glauben, dass auch Roth sich angesichts der sozialistischen Nachkriegsverhältnisse in Rumänien, wo die Siebenbürger Sachsen enteignet, deportiert, verfolgt wurden und ihre ethnische Existenz in Gefahr war, sich nicht gegen die Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen hätte. Die Sachsen fühlten sich ihrem rumänischen Vaterland nicht mehr verbunden, dafür suchten sie in der Bundesrepublik Deutschland als Mutterland, das sich seiner auslanddeutschen Kinder annahm und ihre Freiheit und Aussiedlung mit hohen Freikaufgeldern erzielte, eine neue Heimat. Ihrer Treue zum Deutschtum opferten die meisten Sachsen die Heimat, um durch ihre Aussiedlung „als Deutsche unter Deutschen“ zu leben.

Sie sind nun Deutsche unter Deutschen mit einem doppelten Bekenntnis: Sie betrachten sich als Angehörige des deutschen Volkes und bekennen sich auch zur ihrer siebenbürgisch-sächsischen Eigenart und Herkunft, wie gerade auch der Heimattag 2016 in Dinkelsbühl mit dem Leitwort „Ich gehöre dazu! Du auch?“ gezeigt hat. Die Sachsen sind also, um Roth zu zitieren, geblieben, was sie immer waren – Deutsche.

Das reiche Schrifttum, das Roth hinterlassen, ist zugleich sein geistiges Erbe. Es ist eine unversiegbare Quelle zum Erhalt und zur Stärkung des sächsischen Nationalgefühls. Es hat an Aktualität, abgesehen von den zeitgebundenen Ereignissen, nichts verloren und empfiehlt sich als aussagekräftige Lektüre auch dank der kunstvollen Sprache.

Michael Kroner

Schlagwörter: Stephan Ludwig Roth, Geschichte, Kroner

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  • 20.12.2016, 16:11 Uhr von bankban: Jede Zeit hat und gebiert offenbar "ihren" Roth. [weiter]

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