2. Oktober 2016

Mircea Cărtărescus neues Buch über eine Reise nach Frankreich

Der wohl bedeutendste zeitgenössische Schriftsteller Rumäniens Mircea Cărtărescu hat seine Leser schon mit etlichen Romanen verzaubert und in Welten gelockt, von denen man nur träumen konnte, doch „leichtfüßig“ waren diese Wanderungen nie, wenn auch lohnend. Nun verführt er aber mit einem locker und flockig daherkommenden Buch, in dem Klatsch und Tratsch im aktuellen Literaturbetrieb, aber auch eine gehörige Portion Selbstironie nicht fehlen dürfen.
Ernest Wichner hat das neueste Buch „Die schönen Fremden“ (Originaltitel: „Frumoasele străine“) des rumänischen Autors übersetzt; es ist nun im Zsolnay Verlag erschienen und handelt vor allem von einer Reise nach Frankreich, zu der zwölf rumänische Schriftsteller, darunter der Autor, eingeladen waren. Beigegeben sind noch eine recht kurzweilige Episode über ein eventuell mit Anthrax verseuchtes Kuvert sowie eine Reise in die Moldau in den 80er Jahren.

Schon die Anthrax-Episode erzählt mit beißender Selbstironie von dem übertrieben angsterfüllten Umgang mit einem verdächtigen Kuvert, das dann vom Autor der Polizei übergegeben wird. Die Erzählungen sind alle in Ich-Form geschrieben und autobiografisch. Die Polizei benimmt sich aber linkisch, gleichgültig und fahrlässig angesichts der drohenden Gefahr, die damit ad absurdum geführt wird. Und auch die Aufdeckung des Geheimnisses taugt bestenfalls zur Anekdote.

Den Hauptteil des Buches macht die Geschichte über die schönen Fremden aus, wobei schon die Reise nach Paris mit Hindernissen und dem Kofferverlust einhergeht.
Mircea Cărtărescu beschreibt dann einzelne Episoden, in denen er die französische Provinz beglücken darf und zugleich als Vertreter einer rumänischen Pittoreske vereinnahmt wird, die ihm eigentlich ungeheuerlich ist. „Vor unseren Augen spielte sich der Gipfelpunkt einer jahrzehntelangen Kulturpolitik ab, die nichts kennt außer Krautwickel und Maisbrei, Jauchzer und Ringelreihen, Dorfliteratur, Bauernmalerei, Bauernmusik, Bauernmetaphysik, Bauernzahnheilkunde, Bauerngynäkologie und weiß der Teufel was noch. Unsere, die nationale Eigenheit der Primitiven Europas.“ (95). Dass er nicht zur billigen Folklore dazugehört, macht er deutlich: „Tzouika, Sarmaluțe (sic!) mit Mămăliguță, Kalushari, le (sic!) flûte de Pan, les haïdouks – was hatte all dies mit mir zu tun? Wieso mussten wir immerzu schamlos unter dem Namen Nationalspezifikum jene atavistischen Attribute einer Hirtenvergangenheit ausstellen?“ (174). So beschreibt Cărtărescu, wie er von Paris aus zu Lesungen in den Süden reist, wie er es mit inkompetenten Dolmetschern und allzu freimütigen Übersetzerinnen zu tun hat. Besonders köstlich sind seine Auslassungen über ein scheußliches rumänisches Festmahl, wo er gute Miene zum bösen Spiel machen muss. Und so fühlt er sich in Frankreich wie ein „schöner Fremder“, aber nicht weil er mit der französischen Kultur und der condition humaine konfrontiert wird, sondern vielmehr weil er der rumänischen Pittoreske, so wie sie in Frankreich kolportiert wird, nichts abgewinnen kann.

Nicht minder unterhaltsam ist der Klatsch über den Literaturbetrieb. Selbstironisch und schonungslos gegen die eigene Eitelkeit beschreibt er die Lästereien über die Nicht-Anwesenden oder wie er selber mal übergangen wurde.

Der letzte Teil ist die ebenso kurzweilige wie auch unerbittlich selbstironische Reise als noch relativ unbekannter Schriftsteller in die Stadt Roman in der Moldau, wo simple Leibesbedürfnisse dem Drang nach Bekanntheit zuwiderlaufen und eine übermütige Clique überheblicher Schriftsteller ihm übel mitspielt.

Ernest Wichner hat das Buch recht unterhaltsam übersetzt, ein paar Tippfehler haben sich dennoch eingeschlichen, die bei der nächsten Ausgabe dann zu korrigieren wären. Alles in allem ist es ein geistreiches und amüsantes Bändchen geworden, das gerne zur erheiternden Urlaubslektüre verwendet werden kann und einen Einblick ins Schriftstellerleben „hinter den Büchern“ gibt.

Edith Ottschofski




Mircea Cărtărescu: Die schönen Fremden. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2016, 304 Seiten, 21,90 Euro, ISBN 978-3-552-05764-7
Die schönen Fremden: Erzählung
Mircea Cartarescu
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Schlagwörter: Cartarescu, Buchbesprechung, Literatur

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