24. September 2016

Siebenbürgisch-sächsisches Schulwesen mit Vorbild-Charakter

Die 16. Jahrestagung der Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL) fand am 2. Juli im Haus des Deutschen Ostens in München statt. Wie auch bei früheren Tagungen standen Berichte und Mitteilungen auf dem Programm, die Aspekte der Schulvergangenheit aus verschiedenen Zeiträumen beleuchten. Die Tagung begann mit einem Nachruf auf den verdienten Pädagogen, Gründungsmitglied des Arbeitskreises für Siebenbürgischen Landeskunde, Dr. h.c. Walter König (verstorben am 9. September 2015). Die Bayerische Staatsregierung förderte auch dieses Jahr die Veranstaltung aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
Vielleicht ist dies das signifikanteste Merkmal der siebenbürgisch-sächsischen Schulen: Dass sie unter unterschiedlichen historischen Bedingungen ihre eigene Identität zu erschaffen hatten und den veränderten Gegebenheiten stets optimal anzupassen wussten. Den pädagogischen und allgemeinen Diktionen der jeweiligen Zeit, des jeweiligen politischen Rahmens hellhörig gegenüber zu stehen und in der Diskussion schulischer Belange am Puls der Zeit zu sein, garantierte die Qualität der Ausbildung und damit ein solides Fundament für das Fortbestehen der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft.

So ist nachzuvollziehen, weshalb gegenwärtig in Rumänien die Ausbildung an deutschen Schulen nicht nur aus sprachlicher Hinsicht überaus gefragt ist. Es geht um ein Konzept von Bildung, das zur Gemeinschaft führt. In diesem Sinne waren die Vorträge der 16. Jahrestagung der Sektion Schulgeschichte durchaus nicht nur als Aufarbeitung historischer Verhältnisse zu verstehen, sondern auch als aktuelle Auseinandersetzung mit einem sehr lebendigen Bildungswesen, dessen Traditionen, Werten und seiner Zukunftstauglichkeit.

Den Auftakt bildete ein Vortrag von Waltraud Hermann, der gewissermaßen einen Leitsatz für die diesjährige Tagung formulierte: „Chancen für eine humanere Gesellschaftsentwicklung am Beispiel des humanpädagogischen Erbes der Siebenbürger Sachsen“. Die Referentin, die dieses Thema auch in ihrer Masterarbeit an der niederländischen Martin Buber University behandelt, sieht die Gemeinschaftstraditionen der Siebenbürger Sachsen zukunftsweisend in deren pädagogischem Konzept widergespiegelt, das im gesamten Fächerkanon auch auf die Vermittlung von gesellschaftsrelevanten Werten und einer humanitären Grundeinstellung ausgerichtet war. Anhand der drei Pädagogen Johannes Honterus, Stephan Ludwig Roth und Dr. Franz Oberth erläuterte Waltraud Hermann, wie sich in der Schulgeschichte der Siebenbürger Sachsen deren Formen des Miteinanders (z.B. Selbstverwaltung, Gemeinschaftsgedanke, religiöse Prägung etc.) im Bildungswesen niederschlugen und wie die daraus entwickelten Modelle für zukünftige Schulkonzepte musterbildend sein könnten.

Ähnliche Gedanken formulierte Gudrun Schuster im Vortrag „Zur Geschichte des Bildungsbegriffes in Siebenbürgen / Rumänien“. Einer allgemeinen Einführung zur terminologischen Verwendung des Begriffes „Bildung“ im literarischen, politischen oder gesellschaftlichen Kontext folgte ein detaillierter Streifzug durch die „Bildungs“-Ansätze, die dem sächsischen Schulwesen durch jeweils unterschiedliche politische Rahmenbedingungen vorgegeben wurden. Auch dieser Vortrag kam zu dem Fazit, dass die siebenbürgisch-sächsische Schultradition die Identität ihrer Minderheitenstellung in unterschiedlichen „politischen Wetterlagen“ gerade dadurch wahren konnte, weil sich ihr Bildungsbegriff auch einer quasi humanistischen Tradition verpflichtet sah, die mit einem demokratischen Grundverständnis des Gemeinschaftslebens, einer relativ stabilen Bindung an Religion und Kirche und einem Plus an Bildungsangeboten (Musik, Theater, Sport, Sprachen) einher ging.

Dr. Heike Lammers-Harlander beschrieb in ihrem Vortrag „Johann Michael Salzer als Lehrer am Mediascher Gymnasium“ die berufliche Station des bekannten Birthälmer Pfarrers am Evangelischen Gymnasium in Mediasch. Der Vortrag machte anhand der biografischen Skizze Veränderungen des siebenbürgischen Schulwesens deutlich, die sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund des „Entwurfs der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich“ seitens des Österreichischen Ministeriums für Cultus und Unterricht vollzogen. Der Vortrag bestätigte die vorangegangenen insofern, als er die eigenständige und identitätsbildende Ausrichtung der evangelischen siebenbürgischen Gymnasien und ihres Wertekanons hervorhob. Gleichzeitig zeigte die Referentin auf, wie die Lehrerelite Siebenbürgens auch außerhalb der Schulen im gesamtgesellschaftlichen Rahmen politisch und kulturell bildend agierte.

Unter dem Titel „Vergessene Schulen der Siebenbürger Sachsen“ verwies Odette Fabritius auf die Vielzahl von Schultypen, deren Erforschung trotz guter Quellenlage ein Desiderat der Forschung darstellt. Im Besonderen stellte sie das Lehrerinnenseminar Schäßburg vor. Unter Heranziehung von Archivalien, Jahresberichten und mehreren Aufsätzen des langjährigen Direktors der Anstalt Dr. Heinz Brandsch zeichnete sie das Bild eines Schultypus, der auf seine Weise dazu beigetragen hat, die Rechte der Frauen – auch im Hinblick auf die siebenbürgisch-sächsische Gesellschaft – zu stärken und auszubauen. Ihr Vortrag beschrieb den schwierigen Weg von der Schulgründung mit zwei Klassen über die erfolgreiche Ausbildung von rund 1000 Lehrerinnen bis hin zur Verstaatlichung und Vereinigung mit dem Lehrerseminar in Hermannstadt. Der Vortrag schloss mit der Anregung, die Beteiligung von Frauen im gesellschaftlichen Leben, beispielsweise als Autorinnen oder in Frauenvereinen, zukünftig stärker in den Fokus der Forschung zu rücken.

Christine Chiriac vom renommierten Georg-Eckert-Institut – Leibnitz-Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig referierte über „Darstellungen der deutschen Minderheit in rumänischen Geschichtsschulbüchern von 1910 bis 2013“. Im Vortrag – ein Auszug aus ihrer Magisterarbeit „Darstellung von ‚Deutschen‘ in rumänischen Geschichtsschulbüchern von 1910 bis 2013“ – erläuterte die Referentin anhand von sechs rumänischen Geschichts-Schulbüchern der Oberstufe ein derzeit europaweit in der aktuellen Schulforschung vieldiskutiertes Phänomen: die Bildung und Weitergabe des Konstruktes „Nationale Geschichte“ im Schulunterricht und damit die Instrumentalisierung des Faches Geschichte zur Identitätsbestimmung. Die im Vortrag gezeigten Diagramme, die Christine Chiriac aus qualitativen und quantitativen Inhaltsanalysen entwickelt hatte, führten sehr anschaulich vor Augen, dass die wechselnden Darstellungen der deutschen Minderheit stets auch dazu dienten, das eigene rumänische Selbstbild im Kontrast zu dem Fremdbild des/der „Deutschen“ differenzierter positionieren zu können. Gleichzeitig machte der Vortrag deutlich, auf welche Weise Konstruktionen von „fremden“ Minderheiten im schulischen Geschichtsunterricht mit wechselnden politischen Rahmenbedingungen eines Staates korrelieren und ihrerseits zur Verstärkung und Verdichtung von gesellschaftlichen Abläufen beitragen.

Den Abschluss bildete der Vortrag des Tagungsleiters Dr. Erwin Jikeli, der die Frage beantwortete: „Waren die siebenbürgisch-sächsischen Lehrer im ausgehenden 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schulmärtyrer und Bettler?“ Der Referent umriss abschließend in seinem Vortrag noch einmal die Vorzüge und Nachteile des siebenbürgischen Schulwesens, so, wie sie in historischen Sichtweisen mehrfach kontrovers diskutiert worden waren. Dabei spannte sich der Bogen von durchaus polemischen Beschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts, die dem siebenbürgischen Schulwesen zahlreiche Unzulänglichkeiten attestierten (schlechte Besoldung, fehlende Möglichkeiten zur universitären Ausbildung im eigenen Land, fehlende staatliche Unterstützung, Verschuldung für die Ausbildung, die Lehrerposition als Durchlaufstelle auf dem Weg zum Geistlichen etc.) bis hin zu den Gegenmaßnahmen, die immer wieder ergriffen wurden, um die Qualität des Schulalltags zu heben und zu sichern (Einrichtung von Bibliotheken, Ausstattung mit Sachmitteln etc.). Auch dieser Vortrag machte abschließend noch einmal deutlich, dass zu allen Zeiten das Schulwesen in Siebenbürgen im Fokus der allgemeinen Diskussion stand, eben weil es eine überragende Bedeutung für die sächsische Gesellschaft im Sinne der Ausbildung von deren Identität einnahm. Ein gemeinsames Abendessen in der gastfreundlichen Atmosphäre des Hauses des Deutschen Ostens bot ein weiteres Mal die Möglichkeit zu angeregten Gesprächen.

Dr. Heike Lammers-Harlander

Schlagwörter: Schulgeschichte, AKSL, Tagung, HDO

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