3. Februar 2016

„Zu Hermannstadt gehört deutsche Kultur“

Daniel Plier ist längst ein Name, der aus der Hermannstädter Theaterszene nicht wegzudenken ist. Der Schauspieler und Regisseur ist am Radu-Stanca-Nationaltheater seit der Spielzeit 2010/2011 im Festengagement und leitet die deutsche Abteilung seit März 2015. Zurzeit ist er u.a. in „Tattoo“ von I. Bauersima und R. Desvignes, „Amadeus“ von Peter Shaffer und „Die Goldberg-Variationen“ von George Tabori zu sehen, als Regisseur inszenierte er „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ von N. Gogol, „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ von A. Long, J. Winfield und D. Singer, „Ossi’s Stein“ von Frieder Schuller und „Panik“ von M. Myllyaho. ­Daniel Plier ist 1968 in Luxemburg geboren und studierte Schauspiel am Conservatoire de Luxembourg und an der École Supérieure d’Art Dramatique Pierre Debauche. Es folgten zahlreiche Theaterengagements in Luxemburg und Frankreich und Filmrollen in französisch­sprachigen Produktionen, bevor er 2007 das Hermannstädter Theater entdeckte. Mit Daniel Plier sprach unsere Korrespondentin Christine Chiriac.
Herr Plier, was bringt einen luxemburgischen Schauspieler nach Hermannstadt?

Ich bin sozusagen die fleischgewordene Weiterführung des Kulturhauptstadtjahres. Soweit ich weiß, ist die Zusammenarbeit des Radu-Stanca-Theaters mit dem Théâtre Municipal d’Esch-sur-Alzette in Luxemburg eines der wenigen Kulturhauptstadt-Projekte, die seit 2007 weiterbestehen. Das sind immerhin neun Jahre, was sehr erfreulich ist, wenn man bedenkt, wie viele dieser internationalen Verbindungen nach kurzer Zeit eingehen. Das Hermannstädter Ensemble habe ich dank der luxemburgisch-rumänischen Produktion „Metamorphosen“ in der Regie von Silviu Purcărete kennengelernt. Dabei habe ich mich selber völlig „metamorphosiert“ und bin seit 2010 in Hermannstadt zu Hause.


Wie haben Sie sich hierzulande eingelebt?

Die Arbeit in der deutschen Abteilung macht mir großen Spaß und ich kann sagen, dass ich zurzeit mehr Freiraum habe, neue Projekte zu entwickeln, als ich vielleicht in Luxemburg hätte. Außerdem ist es von Vorteil, dass meine Frau (Schauspielerin Mariana Mihu; die Redaktion) ebenfalls im Theater arbeitet. Nachteile sehe ich hierzulande keine. Rumänien ist in der Lebensart etwas „mediterran“, aber dadurch, dass ich lange Zeit in Frankreich gelebt habe, finde ich gewisse Parallelen. Je nachdem, woher man kommt, kann man sich über einiges in Rumänien wundern, aber es ist wichtig zu verstehen, warum es so ist, wie es ist. Es gibt eine Unart, die mich ein wenig stört: die Tendenz, die manche Leute haben, sich beim Schlangestehen nach vorne zu arbeiten. Gewiss sind die Rumänen von früher „schlangegeschädigter“ als die Westeuropäer, aber es ist trotzdem rücksichtslos. Ansonsten bin ich der Meinung, dass man flexibel bleiben muss, wenn man im Ausland lebt – man kann eben nicht alles haben, was man aus der Heimat kennt.


Wie gestaltet sich konkret die luxemburgisch-rumänische Theaterzusammenarbeit?

Zum Beispiel hat der Leiter des Escher Stadttheaters, Charles Muller, mehrere Stücke in der rumänischen Abteilung in Hermannstadt inszeniert, zuletzt „Marat/Sade“ von Peter Weiss.
Der Schauspieler und Regisseur Daniel Plier ist ...
Der Schauspieler und Regisseur Daniel Plier ist seit 2010 in Hermannstadt zu Hause. Foto: Adi Bulboaca, TNRS (Radu-Stanca-Nationaltheater Hermannstadt)
Natürlich haben wir uns gewünscht, dass er auch in der deutschen Abteilung ein Stück inszeniert, was uns in dieser Spielzeit mit den „Goldberg-Variationen“ gelungen ist. Besonders kommt uns zugute, dass Herr Muller über langjährige Erfahrung als Schauspieler und Ausbilder an der Hochschule in Stuttgart verfügt. Unsere Ensemblemitglieder können mit ihm am Wort, am Satz, an der Intonation arbeiten, was eine Bereicherung für uns darstellt. Wir sind eine bunte Truppe von Muttersprachlern aus unterschiedlichsten Gegenden: Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien, Schauspieler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg sowie Rumänen oder Ungarn, die Deutsch gelernt haben, deshalb ist es für uns unheimlich wichtig, die Bühnensprache zu vereinheitlichen. Von daher war es für uns auch ein wichtiger Schritt, als wir mit Hilfe des Instituts für Auslandsbeziehungen einen Sprecherzieher, Herrn Tim Schüler, ans Haus holen konnten. Herr Schüler hat intensiv mit den Schauspielern der deutschen Abteilung und den deutschsprachigen Studenten der Schauspielklassen der Lucian-Blaga-Universität gearbeitet und in den knapp drei Monaten, die er hier verbracht hat, hat die Truppe beachtliche Fortschritte gemacht. Die Kollegen waren begeistert und es hat ihnen sehr gut getan.


Sehen Sie in der Sprachvermittlung einen besonderen Auftrag Ihres Hauses?

Selbstverständlich! Neulich beim Männerfrühstück der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Neppendorf ging es um die Frage, inwiefern Hermannstadt ein deutschsprachiges Theater braucht. Für mich ist die Antwort offensichtlich: wenn man „Hermannstadt“ sagt, sagt man automatisch auch „deutsche Kultur“ und das Theater gehört dazu. Meiner Meinung nach haben wir – noch mehr als die Kollegen von der rumänischen Abteilung – die Aufgabe einer Bildungsstätte, sowohl für die deutschen Schüler, als auch für die Rumänischsprachigen, die Deutsch lernen. Aus diesem Grund ist es für uns wichtig, die bestmögliche Sprache weiterzugeben: nicht nur dass sie verständlich ist und schön klingt, aber so können wir unsere Vorbildrolle erfüllen.


Wie erreichen Sie das junge Publikum?

Vor allem dank der guten Zusammenarbeit mit den Schulen in Hermannstadt. Für die laufende Spielzeit haben wir uns vorgenommen, uns mit Lehrern und Schülern zusammenzusetzen und die Theaterbesuche vor- und nachzubereiten. Doch abgesehen von der Theaterpädagogik versuchen wir ganz allgemein Stücke zu inszenieren, die für die Menschen von heute relevant sind. Es ist uns bewusst, dass wir die Verantwortung für das Theaterpublikum von morgen tragen: Wenn man die Schülerklassen ins Theater „treibt“ und sie sich dann langweilen, werden sie freiwillig nie wieder in den Theatersaal zurückkehren.


Wenden sich die deutschen Produktionen auch an anderssprachiges Publikum?

Alle unsere Stücke werden mit rumänischer Übersetzung aufgeführt. Von der Bühne aus sieht man im Saal immer auch Zuschauer, die Kopfhörer tragen, was mich sehr freut, denn es zeigt, dass das Publikum auch außerhalb des Theaterfestivals deutschsprachige Stücke anschaut.


Gibt es hierzulande Unterschiede zur Arbeitsweise der Theaterhäuser in Westeuropa?

In Deutschland gibt es zahlreiche Ensembletheater, genau wie in Rumänien, in Frankreich aber unterhält nur die Comédie Française ein festes Ensemble. Es ist ein Unterschied, ob man über lange Zeit planen kann und die entsprechende Sicherheit hat oder eher von Projekt zu Projekt voranschreitet. In Hermannstadt haben wir den Vorteil, dass wir uns nicht sorgen müssen, was wir im nächsten Monat machen werden.


Was haben Sie sich als Leiter für die kommenden Monate vorgenommen?

Ich möchte einige Stücke mit kleinerer Besetzung im Spielplan aufnehmen. Wir sind zu zwölft im Ensemble, wobei einige Kollegen auch in der rumänischen Abteilung spielen, außerdem gibt es regelmäßig Tourneen, sodass es ein Pluspunkt wäre, flexibler zu sein und nicht in jedem Stück jedes Ensemblemitglied zu besetzten. Zudem sind wir auf der Suche nach neuen Schauspielern und internationalen Kooperationspartnern. Insgesamt befindet sich die deutsche Abteilung auf einem sehr guten Weg: Sie hat sich nach dem Schock der Auswanderung in den neunziger Jah­ren erholt, und wir können uns glücklich schätzen, dass die Stadt Hermannstadt weiß, wie sehr sich Kultur lohnt. Wenn es darum geht, Kulturprojekte durchzusetzen, ist der Theaterdirektor Constantin Chiriac für mich ein Vorbild. Als er vor bald 25 Jahren mit der Idee eines Theaterfestivals kam, glaubte kaum jemand daran. Heute ist das Festival eine Erfolgsgeschichte.


Sie sprechen akzentfrei rumänisch und bewegen sich in der siebenbürgischen Mehrsprachigkeit ganz selbstverständlich. War das so einfach, wie es sich anhört?

Nun, akzentfrei ist mein Rumänisch nicht, aber ich gebe mir Mühe. Als Luxemburger bin ich zum Glück „vorbelastet“, wenn es um Sprachenvielfalt geht: Für uns ist die Dreisprachigkeit – Luxemburgisch, Französisch, Deutsch – das Minimum, Englisch kommt oft hinzu. Mehrsprachigkeit ist für mich viel mehr als nur die Summe der einzelnen Sprachen: Ein deutsches und ein rumänisches Wort, die äquivalent sind, können ganz unterschiedliche Assoziationen hervorrufen – und das ist anregend für jemanden, der mit Sprache arbeitet.


Gibt es eine besondere Verbindung für Sie als Luxemburger zur sächsischen Gemeinschaft in Siebenbürgen?

Sicherlich. Vergangenen Sommer hat mich die Journalistin Beatrice Ungar zum internationalen siebenbürgisch-sächsischen Mundartwettbewerb in Michelsberg eingeladen, wo ich eine Fabel auf Luxemburgisch vorgelesen habe. Ich konnte mich sogar mit ein paar Teilnehmern auf Sächsisch unterhalten, das heißt ich habe Luxemburgisch gesprochen und war erstaunt, wie sehr es vor allem dem Bistritzer Sächsisch ähnelt. Das war sehr lustig!

Vielen Dank für das Gespräch!

Schlagwörter: Interview, Schauspieler, Theater, Hermannstadt

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