5. Oktober 2015

Teutsch-Haus zeigt Kunstschau zur Russlanddeportation

Im Rahmen des 70. Gedenkjahrs an die Russlanddeportation der Deutschen aus Rumänien zeigt das Hermannstädter Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ die Kunstausstellung „Ein Weg wie hundert Leben“ mit Werken der Temeswarerin Renée Renard. Die Künstlerin verarbeitet mit Mitteln der Fotografie und der Grafik das Schicksal der deutschen Gemeinschaft Rumäniens im 20. Jahrhundert sowie die verheerenden Auswirkungen dieses Schicksals auf den Einzelnen. Im Fokus steht Renards eigene Familiengeschichte: Der Großvater wurde zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, die Urgroßeltern in den Bărăgan umgesiedelt, der Vater an den Donau-Schwarzmeer-Kanal verschleppt. Die Vernissage findet am Montag, den 12. Oktober, um 17 Uhr statt.
Die Inspiration für ihre künstlerische Auseinandersetzung mit diesem dreifach tragischen Thema fand Renée Renard in einer Holzschachtel, in der die Familie alte Briefe, Bilder und Dokumente aufbewahrt hatte. Die Ausstellung umfasst einen dokumentarischen Teil mit Originalfotos und Erklärungstexten, setzt sich aber vielmehr zum Ziel, die Besucher auf emotionaler Ebene zu berühren. „Ein ganzer Wandfließ, auf dem ein Wald zu sehen ist, soll zum Nachdenken anregen“, erklärt die Leiterin des Teutsch-Hauses, Gerhild Rudolf. „Wenn man sich im Wald verläuft, sieht man weder Wurzeln, noch Himmel, man befindet sich in einem Labyrinth – und genauso muss sich Renée Renard gefühlt haben, als sie die aufwühlende Geschichte ihrer Familie unter die Lupe nahm.“ Gerhild Rudolf wünscht sich, mit der zweisprachig ausgeschilderten Kunstschau auch Besucher aus den Reihen der Mehrheitsgesellschaft zu erreichen. Bilder aus diesem Projekt wurden bisher in Jassy und Arad sowie in Frankreich, Portugal, Spanien, Litauen, Griechenland und den USA gezeigt. Die gesamte Ausstellung war 2013 in Temeswar, 2014 in Sarajevo und im Frühjahr dieses Jahres in Hatzfeld zu sehen.

Außerdem widmet das Teutsch-Haus diesen Herbst eine Veranstaltungsreihe dem „Jahr der Bildung“ - dem Themenjahr 2015 der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR). Unter dem Titel „Bildung – ein Leben lang“ werden im Rahmen von Fachvorträgen „Aspekte lokaler und europäischer Bildungs- und Kulturgeschichte” – so der Untertitel - behandelt. Die ersten zwei Vorträge haben bereits im September stattgefunden, die nächsten Termine sind der 12. November mit einem Vortrag von Dr. Erika Schneider aus Karlsruhe über die Evangelische Lehrerinnenbildungsanstalt in Schäßburg, der 26. November mit einer Präsentation von Michaela Nowotnick aus Berlin über die „Erfassung und Notsicherung der in Privatbesitz befindlichen Quellen zur deutschen Literatur und Kultur in Rumänien” und schließlich der 10. Dezember mit einem Vortrag von Gerhild Rudolf und Heidrun König über das länder- und konfessionsübergreifende Erwachsenenbildungsprojekt „Sakralräume als europäische Erinnerungsorte”; hierbei handelt es sich um ein zweijähriges, von der EU finanziertes Kooperationsprojekt des Hermannstädter Teutsch-Hauses mit weiteren neun Partnern aus acht europäischen Ländern.
Gerhild Rudolf leitet seit 2012 das Begegnungs ...
Gerhild Rudolf leitet seit 2012 das Begegnungs-und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“. Foto: Christine Chiriac
Für nächstes Jahr plant die Hermannstädter Begegnungs- und Kulturstätte der EKR eine Sieglinde-Bottesch-Ausstellung mit Grafiken, welche die Künstlerin dem Archiv des Teutsch-Hauses geschenkt hat. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa in Potsdam eine Ausstellung über die Reformation in Europa entworfen werden. Pünktlich zum Reformationsjubiläum 2017 feiert das landeskirchliche Museum im Teutsch-Haus sein zehnjähriges Bestehen. Bereits seit dem Kulturhauptstadtjahr 2007 zeigt es eine Dauerausstellung über die Geschichte der EKR und das siebenbürgisch-sächsische Gemeindeleben in acht chronologisch bzw. thematisch gestalteten Räumen (Aufbruch nach Transsilvanien; Kirchenburgen; Reformation; kirchlich begleitetes Leben; Kirche und Schule; Pfarrer und Lehrer; sakrale Kunst; von der Gegenreformation bis ins späte 20. Jahrhundert). Zu sehen sind wertvolle Kunstwerke, Altäre, Textilien, Drucke, Trachten und Kirchenburgenmodelle sowie eine Schatzkammer mit Artefakten der siebenbürgischen Goldschmiedekunst. „Die Gäste unseres Hauses waren bisher begeistert und hatten viele Lobesworte für diese Ausstellung“, freut sich Gerhild Rudolf, „doch ist sie noch nicht sehr bekannt – für die nächsten Jahre wünschen wir uns, dass die Besucherzahlen steigen.“

Dabei sei es keine unüberwindbare Herausforderung, junges Publikum ins Haus zu bringen, so Rudolf. Jeden Sommer etwa veranstaltet das Teutsch-Haus einen beliebten Büchermarkt sowie ein Sommerfest mit Tanzabend, wo es an jugendlichen Gästen nicht mangelt. „Bei einem kirchlichen Kulturhaus denkt man vielleicht nicht sofort an eine volle Tanzfläche, aber wir verstehen uns vor allem als Begegnungszentrum - und Tanz ist eine sehr lebendige Art der Begegnung“, erklärt die Leiterin. Abgesehen davon bringen Partner wie das Institut für Ökumenische Forschung und das Erasmus-Büchercafé, die hier Räumlichkeiten nutzen, regelmäßig junge Besucher ins Haus.

Neben den erwähnten Projekten beherbergt das Teutsch-Haus auch das Landeskirchliche Zentralarchiv mit den Kirchenarchiven aus über 200 siebenbürgischen Gemeinden. Die meisten dieser Bestände sind bereits erschlossen worden und werden von Ahnenforschern und Wissenschaftlern regelmäßig aufgesucht. Auch stellt das Archiv Nachweise über die Russlanddeportation aus. Die Bibliothek des Begegnungs- und Kulturzentrums umfasst eine Transilvanica-Sammlung mit rund 20 000 Publikationen aus und über Siebenbürgen, außerdem gibt es eine Schulbuchkollektion und eine Periodika-Abteilung. Schließlich verleiht die kleine, malerische Johanniskirche dem Gebäudekomplex eine ganz besondere Stimmung. In den vergangenen drei Jahren wurde sie von der Hermannstädter Kirchengemeinde als Gottesdienstkirche genutzt. Seit der Wiedereröffnung der Stadtpfarrkirche nach dem Abschluss der Renovierungsarbeiten kommt die Johanniskirche wieder vermehrt für Musik- und Kulturveranstaltungen zum Einsatz.

Die Ausstellung Renée Renard, „Ein Weg wie hundert Leben“ ist bis zum 15. Januar 2016 im Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Hermannstadt, Fleischergasse/Mitropoliei 30, zu sehen. Öffnungszeiten: Montag-Freitag, 10-17 Uhr, geschlossen an Feiertagen. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen: Telefon (00 40-269) 206730, E-Mail casa.teutsch[ät]gmail.com, Website: www.teutsch.ro.

Christine Chiriac

Schlagwörter: Teutsch-Haus, Hermannstadt, Kust, Ausstellung, Deportation

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