28. Juni 2015

Richard Wagner in der Zeitschrift "Matrix"

Matrix. Zeitschrift für Literatur und Kunst. Nr. 2/2015 (40). Eine Veröffentlichung des Pop-Verlags, Herausgeber: Traian Pop. In Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, München, ISSN: 1861-8006, Preis: 12 Euro.
Der Verleger und Dichter Traian Pop war sich, wie er bekennt, seinerzeit durchaus bewusst, dass er mit der geplanten Herausgabe einer neuen Zeitschrift für Literatur und Kunst ein Wagnis einging. Doch er nahm die Herausforderung an, und seit 2005, dem Jahr, in dem er auch mit seinem Verlag startete, lässt er im baden-württembergischen Ludwigsburg unter dem Titel Matrix seine der „europäischen Idee“ verpflichtete Publikation erscheinen. In dem Jahrzehnt, das inzwischen vergangen ist, kamen jährlich vier Hefte mit jeweils rund 170 Seiten heraus. In dem ehrgeizigen Projekt geht es darum, zeitgenössischen Autorinnen und Autoren des deutschen Sprachgebietes ein (weiteres) Veröffentlichungs- und Diskussionsforum zu bieten, wobei weitgehend auch fremdsprachige Literaturen regelmäßig berücksichtigt werden. Es sind Zielsetzungen, an denen sich übrigens auch Pops sehr umfassendes Verlagsprogramm orientiert.

Ein besonderes Augenmerk richtet die Zeitschrift auf die Literatur ost- und südosteuropäischer Länder und Regionen und hier auf Dichter und Schriftsteller aus Rumänien, wobei neben einer starken rumäniendeutschen Präsenz deutschsprachige rumänische Autorinnen und Autoren sowie Übersetzungen aus dieser Sprache Beachtung finden. Das ist kein Zufall, sondern hat sicherlich mit dem biografischen Hintergrund des Herausgebers Traian Pop und etlicher seiner engen redaktionellen Mitarbeiter zu tun (Francisca Ricinski-Marienfeld, Edith Konradt, Horst Samson, Dieter Schlesak). Zu den herausragenden Initiativen der Zeitschrift gehört es auch, in Schwerpunktheften das Werk bedeutsamer Gegenwartsautorinnen und -autoren zu würdigen, so die aus Rumänien stammende deutsche Nobelpreisträgerin Herta Müller oder Friederike Mayröcker, die große alte Dame der zeitgenössischen österreichischen Literatur. (Inzwischen gibt es unter dem Titel Bawülon auch eine „süddeutsche Matrix“. Sie hat über rumäniendeutsche Autoren des Pop-Verlags wie Johann Lippet, Julia Schiff und Horst Samson Hefte herausgebracht.)
In ihrer in diesem Frühjahr erschienenen neuesten Ausgabe, ihrem 40. Heft seit der Gründung, wendet sich Matrix (Nr. 2/2015) nun dem Werk eines Autors zu, der, zur Generation der nach dem Krieg Geborenen gehörend, nicht nur für die Entwicklung der neueren deutschen Literatur aus Rumänien von grundsätzlicher Bedeutung war, sondern als vielseitiger Schriftsteller und meinungsstarker Publizist, als einer, der sich einmischt, auch in der zeitgenössischen deutschen Medienlandschaft und Öffentlichkeit eine beachtete und deutliche Stimme ist: Rund 150 Seiten von Matrix sind dem Schwerpunktthema „Richard Wagner und die Folgen“ gewidmet. Von Werk und Wirkung des Autors, geboren 1952 im Banat, wird ein lebendiger Eindruck vermittelt, dabei finden die Periode in Rumänien wie auch die fast drei Jahrzehnte umspannende Zeit seines Wirkens nach der 1987 erfolgten Ausreise aus dem kommunistischen Land Beachtung. (Gemeinsam mit seiner damaligen Frau Herta Müller ließ sich Wagner danach in Berlin nieder, wo er auch heute als freier Schriftsteller und Publizist lebt.) Die Zeit in Rumänien und Wagners Rolle als „literarischer Herzschrittmacher“ rückt einführend Horst Samson ins Blickfeld, der sich laut Editorial auch um die Zusammenstellung des Schwerpunktes in diesem Heft, einschließlich des reichhaltigen Bildteils, gekümmert hat. Er zeigt in nuce auf, wie Wagner und die von ihm in Temeswar moderierte „Aktionsgruppe Banat“ gemeinsam mit wichtigen Impulsgebern aus Siebenbürgen die deutsche Literatur des Landes radikal erneuerten. Neben der Banater Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, aus dem Umfeld der „Aktionsgruppe“ kommend, und dem siebenbürgischen Autor Franz Hodjak, so Samsons Fazit, zähle Richard Wagner heute zu den „bedeutendsten Exponenten“ der rumäniendeutschen Literatur.

Wagners Weg zur und in der Literatur kann im Heft in exemplarischen literarischen Texten und Statements des Autors nachvollzogen werden, darunter Gedichte aus in Rumänien erschienen Bänden, heute kaum noch greifbar, und Essays wie „Sprachdesaster und Identitätsfalle. Der Schriftsteller als Rumäniendeutscher“, seinerzeit, 2004, vorgetragen auf einem internationalen Kolloquium über Geopolitik und Minderheitenliteratur in Paris. Unter den Beispielen aus Wagners neuester Lyrik, die der Schwerpunkt, neben Prosa, ebenfalls präsentiert, seien Gedichte wie der geschichtsphilosophische „Bamberger Engel“, die bedeutsame „Banater Elegie“ sowie die ihr gedanklich und emotional nahestehenden Texte „Gesichter“ und „Die Tauben“ hervorgehoben. Mit besonderer Eindringlichkeit charakterisiert der Autor den eigenen Werdegang in einem aus aktuellem Anlass geführten Interview Edith Ottschofskis („Bei der Literatur war ich immer“). Die Journalistin sprach mit Wagner, dem im Oktober 2014 im Auftrag von Bundespräsident Joachim Gauck das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für sein bedeutendes literarisches Lebenswerk und für sein mutiges Engagement in der rumänischen Opposition überreicht worden war. Vom Aufbruch im Banat bis nach Berlin heute reicht die Spannweite der erörterten Fragen. Wagner äußert sich dabei auch über seine Krankheit und sein in diesem Frühjahr im Knaus Verlag erschienenes neues Buch „Herr Parkinson“, in dem er sich literarisch damit auseinandersetzt. Für die Wahrnehmung der Persönlichkeit und des Werkes von Wagner bezeichnende Beiträge runden das gebotene Bild ab und nuancieren es. So etwa die Einlassungen von Studenten eines von Olivia Spiridon geleiteten germanistischen Seminars an der Universität Tübingen, die Themen wie „Beheimatung, Zugehörigkeit und Migrantendasein“ aufgrund von Wagners Roman „Habseligkeiten“ und seines Artikels „Heimat“ (in dem Erfolgsbuch „Die deutsche Seele“, gemeinsam mit Thea Dorn) vielstimmig diskutieren. Dem gleichen Buch, „ein Standardwerk“, widmet Franz Heinz den einsichtigen Essay „Die Wiederentdeckung der Innerlichkeit“ und plädiert dafür, dessen Erträgnisse für „neue, ergänzende Interpretationen und Sinnfindungen“ nutzbar zu machen. Zum Schluss ist es der Romancier György Dalos, im Kommunismus Mitbegründer der ungarischen Opposition, heute ebenfalls in Berlin lebend, der Wagner und dessen Werk neidlos-bewundernd, geistvoll und mit dem ihm eigenen Witz würdigt. Dass im gleichen Heft, im „Atelier“, drei Schriftsteller aus der ehemaligen rumäniendeutschen Szene, Wagners Generationskollegen Johann Lippet, Horst Samson und Hellmut Seiler, mit neuen Texten, Prosa und Lyrik vertreten sind, passt zu dem Schwerpunkt.

Eduard Schneider

Schlagwörter: Richard Wagner, Literatur, Zeitschrift

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