27. April 2015

Gefangen in der heterosexuellen Matrix

Denken Sie mal kurz nach: Sind Sie eine Frau oder ein Mann? Oder empfinden Sie diese Frage als diskriminierend, weil Sie sich einer der ca. 4000 anderen angeblich existierenden Geschlechtsvarianzen zugehörig fühlen? Schon sind wir mittendrin im Genderwahn, an dem man sich vortrefflich abarbeiten kann, und Birgit Kelle legt gern den Finger in die Wunde. In ihrem neuen Buch „Gendergaga“ nimmt sie die ganze Palette der unter dem Deckmantel des Gender Mainstreaming durchgeführten Maßnahmen aufs Korn und führt uns vor Augen, wie viel Zeit, Geld und Nerven das alles kostet, und sie tut das mit unverhohlener Ironie, denn „selten hatte eine Ideologie mit Weltverbesserungsanspruch einen derart großen Unterhaltungsfaktor. Und deswegen hat Gender Mainstreaming es verdient, als das betrachtet zu werden, was es ist: eine große Satireshow.“
Haarsträubend ist, was Birgit Kelle zu diesem Thema zusammengetragen hat. Von Ampelweibchen als Pendant zu Ampelmännchen haben wir alle schon mal gehört oder gelesen, und was es mit Gleichstellungsbeauftragten auf sich hat, ist inzwischen wohl auch hinlänglich bekannt. Interessanter wird es da schon bei den zu entwerfenden Piktogrammen für die Ampelweibchen, die ja eindeutig als Frauen zu erkennen sein müssen, aber keinesfalls mit zu weiblichen Attributen wie langen Haaren, Röcken oder gar Brüsten ausgestattet sein dürfen, denn das wäre sexistisch und zudem unfair den Frauen gegenüber, die Kurzhaarschnitt und Hosen bevorzugen. 60 Geschlechter bietet Facebook neuerdings für jeden Nutzer zur Auswahl an, über 200 Lehrstühle im deutschsprachigen Raum beschäftigen sich quer durch alle Studienfächer mit Gender Studies, und gendersensible Spielplätze schießen in letzter Zeit vornehmlich in Großstädten wie Pilze aus dem Boden, weil man festgestellt hat, dass auf schnöden Allerweltsspielplätzen mehr Jungen als Mädchen anzutreffen sind, was nur dadurch zu erklären ist, dass die weibliche Hälfte der Kinder durch die dort vorhandenen Spielgeräte diskriminiert wird. Dass die über 1900 Gleichstellungsbeauftragten im Land sich irgendwann abschaffen, wenn sie ihren Job richtig erledigen, ist da nur eine kleine boshafte Randnotiz.

Die Parade der Absonderlichkeiten geht weiter mit der gendersensiblen Sprache, der sich u.a. das Bundesverkehrsministerium angenommen hat: Die an das „Erfordernis der sprachlichen Gleichbehandlung von Mann und Frau“ angepasste Straßenverkehrsordnung ist seit dem 1. April 2013 in Kraft, und in der Schweizer Hauptstadt Bern wurde der eindeutig männliche Fußgängerüberweg durch den guten alten Zebrastreifen ersetzt, bei dem Birgit Kelle sich allerdings fragt, „ob es aus veganer Sicht in Ordnung ist, den Rücken eines Tieres zum Überqueren einer Straße zu nutzen“. Auch im Nachbarland Österreich ist einiges los in Sachen Gender Mainstreaming, angefangen beim 2012 eingeführten gendersensiblen Text der Nationalhymne („Heimat großer Töchter und Söhne“) über den ersten gendersensiblen Kindergarten bis zu Conchita Wurst, Gewinner (oder Gewinnerin?) des Eurovision Song Contest 2014 – „Damenbart ist wieder tragbar“.

In elf amüsanten Kapiteln mit so provokanten Titeln wie „Ein Puff für alle im Lehrplan“ oder „Ist Gott ein Nazi?“ führt Birgit Kelle ihre Leser durch die wunderbare Welt des Gender Mainstreaming – oder dessen, was darunter verstanden wird – und kommt zu dem Schluss: „Unbestreitbar wird im Namen von Gender Mainstreaming unfassbar viel Unfug verbreitet und noch viel mehr Geld aus dem Fenster geschmissen.“ Eine gewisse Redundanz lässt sich nicht vermeiden, wenn man ein einziges Thema so intensiv von allen Seiten beleuchtet, und dass der Verband Pro Familia „im Nebengeschäft mit Abtreibung Geld verdient“, wie Birgit Kelle lapidar formuliert, fühlt sich an, als hätte man beim Lesen in einen Weidezaun gegriffen. Doch das Buch ist flott geschrieben, wie man das von Kelles Kolumnen kennt, und mit den satirischen Überhöhungen („Muttersprache, darf man das noch sagen, jetzt, wo auch Väter vermehrt mit ihren Kindern sprechen, oder grenzt man damit nicht Millionen von Erziehungsberechtigten aus?“) löst die Autorin ihr eingangs gegebenes Versprechen von einer „großen Satireshow“ ein.

Trotz des hohen Unterhaltungsfaktors kommt man nicht umhin, sich ernsthaft zu fragen, ob wir wirklich alle in der „heterosexuellen Matrix“ gefangen sind, wie das viele Gender-Experten suggerieren, und ob die zahlreichen Maßnahmen, die Birgit Kelle vorstellt und von denen man manche nur mit Fassungslosigkeit betrachten kann, nötig sind. Wie mit ihrem ersten Buch „Dann mach doch die Bluse zu“ liefert die Journalistin auch mit „Gendergaga“ einen gewichtigen Denkanstoß, und da er nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommt, lässt man sich gerne darauf ein, um sich dann seine eigene Meinung zu bilden.

Doris Roth


Birgit Kelle: „Gendergaga“. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will. adeo Verlag, Asslar, 2015, 192 Seiten, 17,99 Euro, ISBN 978-3-86334-045-2

Schlagwörter: Frauen, Buch, Rezension, Gender, kelle

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