22. Mai 2014

Kirchenlenker in Zeiten des Wandels: Altbischof Christoph Klein zieht Bilanz

Nur wenige Monate nach der politischen Wende in Rumänien, am 13. Mai 1990, wurde Dr. D. Christoph Klein, zu jenem Zeitpunkt Professor für Systematische Theologie am Protestantisch-Theologischen Institut in Hermannstadt, zum Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien gewählt und am 24. Juni 1990 als solcher eingeführt. Er bekleidete dieses Amt etwas mehr als zwei Jahrzehnte, bis zum Herbst 2010, als er – knapp 73-jährig – auf eigenen Wunsch hin in den Ruhestand trat. Drei Jahre später, im Herbst 2013, hat er einen umfassenden Rückblick über die beiden Jahrzehnte seines Wirkens als „Sachsenbischof“ vorgelegt.
Es ist als ausgesprochener Glücksfall anzusehen, dass Altbischof Klein ein ausgeprägtes Verständnis für historische Zusammenhänge hat, dass er sich selber wiederholt intensiv historiographisch betätigt hat, dass er selber eine gute Feder hat und nach seiner Emeritierung über gewisse zeitliche Kapazitäten verfügt. Diesen glücklichen Fügungen ist es zu verdanken, dass er diesen Überblick über eine Zeit verfassen konnte, die für die – an Brüchen und Abgründen keineswegs arme – sächsische Geschichte einen grundlegenden Wandel bedeutete. Klein hat diesen Wandel ganz wesentlich mitgestaltet, so dass seine Ausführungen zugleich als Verständnishilfe für die jüngste Vergangenheit angesehen werden können.

Den Titel seines Buches, „Über Bitten und Verstehen“, gründet Klein auf ein Apostelwort (Epheser 3, 20): Erbitten und erhoffen konnte man nach 1990 eine Zukunft für die Kirche und für die Gemeinschaft, man konnte Ausschau halten nach Zukunft, Vertrauen und Zuversicht im Glauben findend. Ein Verstehen dessen, dass und wie es möglich war, kam erst später und sehr allmählich, nachdem das Hoffen auch verstandesmäßig durchdrungen war. „Den Visionen aus dem Vertrauen heraus müssen Konzepte und Strategien nach klaren denkerischen Überlegungen folgen. (…) Und wenn dann erfahren wird, dass letztendlich Dinge möglich werden, die über unsere Visionen und Konzeptionen hinausgehen, die das noch übertreffen, was wir erhoffen und planen, dann sehen wir als Christen Gott am Werk.“ (S. 17)

Bischof D. Dr. Christoph Klein, aufgenommen 2005 ...
Bischof D. Dr. Christoph Klein, aufgenommen 2005 auf dem Huetplatz in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Ein besonderes Augenmerk legt Christoph Klein mit zwei Kapiteln auf die Zeit des politischen Umbruchs und des Neuaufbruchs nach 1990. Gerade nach seiner Amtsübernahme ­sahen viele in ihm zunächst denjenigen, der die geordnete Auflösung seiner Kirche und der Sachsen in Siebenbürgen überhaupt zu administrieren habe. Eindrücklich zeigt Klein auf, wie sich aus diesem schmerzhaften Prozess und aus allen offenen Fragen nach und nach neue Perspektiven abzuzeichnen begannen – so erschließt sich dem Leser auch die Wahl des Titels. Die folgenden Kapitel nehmen einzelne Arbeitsbereiche in den Blick: Die „Diakonie als Lebens- und Wesensmerkmal der Kirche“, wo es unter anderem um den Aufbau des kircheneigenen Diakonischen Werks, von Altenheimen oder des Schülerheims geht. Sodann das ­Kulturerbe, das die Kirche nach der Massenauswanderung vor schier unlösbare Herausforderungen stellte. Schließlich die „Theologische und geistliche Aus- und Fortbildung“ mit den Themen Theologisches Institut und Studenten, Pfarrerfortbildung und Ausbildung von Lektoren – auch Letzteres eine neue Herausforderung, entstanden aus dem Mangel an Geistlichen. Die Ökumene, die Beziehungen der eigenen Kirche zu den evangelischen Kirchen in Deutschland und im weiteren Ausland, die politische Positionierung der Kirche in Rumänien und in den Beziehungen zum Ausland und schließlich die innere Struktur mit Administration, Rechtswesen und Finanzfragen werden eingehend in jeweils eigenen Kapiteln untersucht.

Immer wieder betonte Bischof Klein während seiner Amtszeit, dass neben den zentralen kirchlichen Aufgaben der Seelsorge und der Diakonie in der besonderen Situation seiner Kirche der Bereich der Kultur als dritter Schwerpunkt zu betrachten sei, erwachsen aus der Verantwortung für das Erbe einer über achteinhalbhundertjährigen Geschichte in Siebenbürgen. Eingehend stellt er diese Problematik dar, die Diskussionen und Maßnahmen zur Sicherung des von den Wegziehenden hinterlassenen Kulturgutes, die Konzepte zum langfristigen Erhalt. Den Fragen des Erhalts der Kirchenburgen und der Einrichtung des Friedrich-Teutsch-Hauses in Hermannstadt als Kultur- und Begegnungszentrum (mit Zentralarchiv, Bibliothek und landeskirchlichem Museum) – eine von Kleins wichtigsten Errungenschaften – gilt dabei besondere Aufmerksamkeit. Dass die Verluste an kulturellen Gütern jeder Art trotz des enormen Mitgliederverlusts der evangelisch-sächsischen Kirche heute als eher gering einzustufen sind und Kirchengebäude, Archive oder kirchliche Kunst nahezu flächendeckend erhalten sind, wäre ohne diesen Stellenwert der Kultur als dritter Säule und ohne den umsichtigen Umgang des Bischofs mit dieser Verpflichtung – auch gegen innere Widerstände – nicht möglich gewesen.

Altbischof Klein stellt die Vorgänge in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang und in ihrer chronologischen Abfolge dar, wobei er immer wieder Bezug auf Besprechungen, Beschlüsse, einschlägige Akten nimmt. Erstaunlich ist die Vielzahl an Vorgängen, Details und Namen, die ihm präsent sind und die er hier ausdrücklich nennt. Dabei verschweigt er Rückschläge oder divergierende Interessen und Ansichten keineswegs, bleibt aber gutem sächsischem Stil verpflichtet und nennt niemals Namen oder gleicht etwa offene Rechnungen aus. Manche Hintergründe auszuleuchten mag späteren Historikern überlassen bleiben, wenn es denn überhaupt nötig ist. Sicher könnte die Geschichtswissenschaft, wenn sie sich mit diesen beiden Jahrzehnten auseinanderzusetzen beginnt, in dem einen oder anderen Punkt zu anderen Einschätzungen kommen. Sie wird aber auf den von Christoph Klein hier umfassend dargestellten Zusammenhängen aufbauen und durch ihn vielfältige Einblicke erlangen, die sich sonst aus den Quellen nur schwer oder gar nicht erschließen ließen. Eine weitere wesentliche Vorarbeit auch dafür bietet der zweite Teil des Buches, dessen Reichhaltigkeit aufgrund von Titel und Inhaltsverzeichnis zunächst gar nicht vermutet wird: Der Anhang (von S. 271 bis 484) enthält 61 Dokumente von zentraler Bedeutung, beginnend in den Tagen des politischen Umbruchs mit dem 22. Dezember 1989 bis hin zu wichtigen Beschlüssen aus dem letzten Amtsjahr des Bischofs – ein reicher Fundus für jeden, der sich mit sächsischer Zeitgeschichte beschäftigt, darunter auch eine ganze Reihe an nichtpublizierten oder nur schwer zugänglichen Schriftstücken.

Ausgesprochenen biographischen Charakter hat vor allem das Schlusswort (S. 259-270), in dem sich Klein mit seiner eigenen wissenschaftlichen Laufbahn und seinen zahlreichen Publikationen auseinandersetzt. Neben den theologischen Arbeiten und Predigten fallen hier vor allem seine kirchengeschichtlichen und historiographischen Arbeiten auf. Wie weitgefächert sein Wirken und zumal während seiner Amtszeit als Bischof war, zeigt das Publikationsverzeichnis mit 457 Titeln am Schluss des Bandes.

Als Historiker wünschte man sich, auch andere Sachsenbischöfe hätten einen Rückblick dieser Art über ihre Amtsjahre vorgelegt, vor allem in dieser profunden Genauigkeit und Sachlichkeit. Manche Wege der sächsischen Geschichte – vor allem der letzten beiden Jahrhunderte – könnten dadurch verständlicher werden. Christoph Klein hat uns mit seinem Rückblick über seine beiden Amtsjahrzehnte Licht in die verwinkelten Gänge einer Periode umfassenden Umbruchs gebracht – es war, so kann man heute feststellen, keinesfalls eine Endzeit, sondern ein Übergang und der Beginn eines neuen historischen Abschnitts, dessen Perspektive sich an der Wahl von Reinhart Guib als seines Nachfolgers im Amt des Sachsenbischofs manifestiert. Wenn es erlaubt ist, an dieser Stelle einer Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dann dieser, dass Altbischof Klein die Zeit finden möge, nach der Art der Generalvisitationsberichte Georg Daniel Teutschs selber eine Übersicht über seine Visitationen und Besuche der sächsischen Gemeinden zu verfassen, da nie wieder eine Gesamtschau, wie er sie noch bieten kann, wird erstellt werden können. Anzumerken bliebe noch, dass sein hier vorgelegter Überblick über die Jahre 1990 bis 2010 sehr gut lesbar ist, keinesfalls wissenschaftlich verklausuliert und auch nur mit wenigen Fußnoten versehen ist, so dass es zur Lektüre jedermann empfohlen werden kann. Ein Personenregister hilft bei der Erschließung.

Harald Roth


Christoph Klein: „Über Bitten und Verstehen. Zwanzig Jahre im Bischofsamt der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien. 1990-2010“, Schiller Verlag, Hermannstadt, Bonn, 2013, gebunden, 535 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-944529-19-6. Bestellbar im deutschen Buchhandel oder beim Schiller Verlag, deutsche Festnetznummer: (02 28) 90 91 95 57, Internet: www.buechercafe.ro

Schlagwörter: Bischof, Siebenbürgen, Kirche, Buch, Rezension

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