1. September 2013

Wissenschaftliche Monographie über Hermannstädter Spital und Spitalskirche

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ So beginnt Thomas Mann das Vorspiel seiner Romantetralogie „Joseph und seine Brüder“. Man kann an dem Brunnen vorbeigehen, aber auch hineingucken. Und manchmal steigt einer hinein, um etwas Verlorenes wieder zu gewinnen, den Schlamm zu entfernen und zu retten, was die Zeit noch nicht verschlungen hat. Im Folgenden soll eine wissenschaftliche Monographie des Hermannstädter Archäologen und Mediävisten Petre Beșliu über das Hermannstädter Spital, die Siechenhauskirche und den alten Friedhof vorgestellt werden. Die zweisprachige (deutsch, rumänisch) Neuerscheinung präsentiert eine 20-jährige Forschungsarbeit an dem Ensemble Siechenhauskirche, Altenheim und Friedhof.
Die lange vergessene, sträflich vernachlässigte Kirche ist mit der Geschichte Hermannstadts auf das Intimste verbunden. Wäre sie im Jahre 1906 nicht dem Gottesdienst entzogen und als Verwaltungsraum/ Magazin profaniert worden, hätte sie auf eine ununterbrochene Geschichte als Gotteshaus des gleichaltrigen Spitals zurückblicken können. 2007 wurde nach 100-jähriger Unterbrechung der erste, ein ökumenischer Gottesdienst gehalten (siehe auf S. 321 das berührende Bild einer Feier in der unrenovierten Kirche).

Das bedrückende Bild einer vom Verfall bedrohten Kirche, das sich mir im Sommer 2006 anlässlich eines Besuches in Hermannstadt einprägte, vergesse ich nicht. Herr Beșliu führte meinen Mann und mich durch das Gebäude, erklärte die Grundrisse der historischen Bauphasen und die freigelegten Grablegungen. Das Dach war undicht, Feuchtigkeit und Dunkelheit begünstigten den Mauerschwamm, der das Ziegelgewölbe zerstört. Es waren große befallene Flächen grüner und roter Farbe zu sehen. Die bergseitigen historischen Drainagen funktionierten nicht mehr, das von der oberen Terrasse herabfließende Sickerwasser sowie auch Wasser der Kanalisation unterspülten die Fundamente und die alten Gräber. Heute ist das Gebäude saniert und dient wieder dem Gottesdienst. Diese Leistung der Hermannstädter Behörden verdient großen Dank und Respekt, vor allem auch seitens der ehemaligen Hermannstädter. Beșlius’ unermüdliches Engagement und sein multifrontaler Einsatz für Erforschung und Rettung des Objekts waren der Motor, der diese Wende bewirkte.
Innenraum der Spitalskirche in Hermannstadt, Str. ...
Innenraum der Spitalskirche in Hermannstadt, Str. Azilului, Spitalsgasse Nr. 4, Fotos aus Hermann Fabini: Sakrale Baukunst in siebenbürgisch-sächsischen Städten, Hermannstadt Heidelberg 2013.
Zurück an den Brunnen der Vergangenheit: Unser Blick in die Tiefe soll Mitte des 16. Jahrhunderts anhalten. Die Seiten 111 bzw. 229 des Buches werfen ein schmales Licht auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, für welche jene Zeit Gegenwart war. In den Rechnungsregistern des Spitals von 1552/53 werden Spesen für die Bestattung von Söldnern angeführt. Es handelt sich um 41 jener wüsten Gesellen, über deren Zügellosigkeit die Stadt Beschwerde bei Kaiser Ferdinand geführt hatte. Soweit die Auskunft der Dokumente. Es ist erstaunlich, dass sich die Brüder vom Heiligen Geist dieser Fremden annahmen, deren Herkunft, Sprache und Konfession nicht die der Einheimischen waren und die Pein und Leid gebracht hatten, bevor sie selbst Pein und Leid erdulden mussten. Offensichtlich war hier christliche Nächstenliebe am Werk. Dazu kam aber auch die Verantwortlichkeit der Stadtgemeinde, die damals die Ausbreitung der Pest erwartete und daher keine Siechen, Verletzte und Verstümmelte in den Gassen duldete. Die Pest war schon 1551 in Kronstadt aufgetreten und hatte 1554 ganz Siebenbürgen erfasst.

Von den Problemen, welche Überbauung, Veränderung der Grundrisse, Umwidmungen, Erweiterungen, Zerstörungen und Verfall für die Arbeit des Archäologen darstellen, können wir uns eine Vorstellung machen, wenn wir das leider undeutliche Bild des Buchumschlages betrachten: Wie unter einer Windhose, verquirlt und verflochten, erscheinen die Dächer der Häuser um das Asyl. So sah auch die Aufgabe aus, vor welcher der Forscher stand. Durch seine Gründlichkeit und wissenschaftliche Seriosität sowie durch die Bearbeitung der vielfältigen, mit dem Thema zusammenhängenden Gebiete empfiehlt sich das Buch auch als Nachschlagewerk und sollte in den Bücherschränken unserer Einrichtungen und aller Personen, die Interesse an unserer Geschichte haben, nicht fehlen. Die Übersetzung aus dem Rumänischen besorgten Eva Papp und Isolde Huber. Julia Derzsi verfasste das zweite Kapitel über die städtische Armenfürsorge im Spiegel der historischen Rechnungsbücher. Die angeführte, sehr umfangreiche Bibliographie in fünf Sprachen gebietet Respekt.
Dr. Petre Beșliu Munteanu vor der ...
Dr. Petre Beșliu Munteanu vor der Spitalskirche (rechts). Das auch als Siechenhauskirche bekannte Gotteshaus wird seit 2007 als orthodoxe Kirche genutzt. Foto: Konrad Klein
Zum Schluss soll noch angeregt werden, eine Ausstellung der im Anhang des Buches wiedergegebenen Objekte sowie anderer Gegenstände, die einst der Siechenhauskirche gehörten, auszurichten. Sie würde sicher auf großes Interesse treffen.

Johanna Letz


Petre Munteanu Beșliu: „Hermannstädter Spital und Spitalskirche (13.-18. Jahrhundert)/ Spitalul și biserica spitalului din Sibiu. Secolele XIII-XVIII”, Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, Gundelsheim, 2013, 336 Seiten, 12,90 Euro (für AKSL-Mitglieder ermäßigt 9,03 Euro), ISBN 978-3-929848-95-3

Schlagwörter: Hermannstadt, Architektur, Kirchen, Buch, Rezension

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