19. Juni 2013

Dieter Wagner und Tochter Mirjam begeistern in Dinkelsbühl

Wenn am bekannten Sternenhimmel ein neues Gestirn entdeckt wird, spricht die Wissenschaft von einer Sensation. Ähnlich groß war die Überraschung nach dem Liederabend von Dieter Wagner am 18. Mai in dem gut besetzten Konzertsaal des Spitalhofes beim Heimattag 2013.
Verwundert mag sich mancher die Augen gerieben haben: Ein neuer Lichtpunkt an dem doch so überschaubaren siebenbürgischen Sängerhimmel? Wo hat dieser smarte junge Tenor mit siebenbürgischen Wurzeln bislang gesteckt, dass ihn keiner kannte? Dabei hätte ein Blick ins Internet genügt, um eine interessante Sängerpersönlichkeit zu entdecken. Aber auch sein Liederabend beim Heimattag in Dinkelsbühl bot vieles an Neuentdeckungen, denn das Programm enthielt lauter unbekannte Werke von meist ebenso ungekannten Komponisten. Dazu gehört Mut. Meist bauen junge Künstler auf die Zugkraft erprobten Repertoires. Nicht so Dieter Wagner. Er wucherte geschickt mit dem Reiz des Unbekannten, um die Valenzen seiner wohlklingenden Stimme und sein darstellerisches Talent ins rechte Licht zu rücken. Dabei versteht er es auch noch, charmant mit witzig erläuternden Worten durch das Programm zu führen. Ein geschickter Schach­zug schon der Beginn des Programms mit drei entzückenden kleinen Liedern im Volkston des Kronstädter Lieder-Hausgottes Rudolf Lassel (1861-1918). Das Eröffnungslied hieß sogar „Ein kleines Lied“, in dem Marie von Ebner-Eschenbach, die Textdichterin, eine schlichte Antwort auf die Frage gibt, „wie geht’s nur, dass man so lieb es haben kann? – ein wenig Wohllaut und Gesang und eine ganze Seele“. Das waren auch die Zutaten, mit denen Dieter Wagner sein Publikum begeisterte; Wohlklang und eine ganze Seele im Gesang.

Geboren ist Dieter Wagner 1972 in Agnetheln, doch die Familie siedelt bereits 1975 in die Bundesrepublik Deutschland um. Die stimmliche Begabung des jungen Geretsrieders fällt früh auf, so dass er bald in den berühmten Tölzer Knabenchor aufgenommen wird und hier seine erste musikalische Prägung erfährt. Das Berufsbild des Sängers ist nun klar. So studiert Wagner zunächst am Kirchenmusikalischen Institut in Heidelberg (Orgel und Gesang), es folgt die entscheidende Gesangsausbildung bei dem profilierten Gesangspädagogen Kurt Widmer in Basel in Richtung Oratorien- und Liedgesang. Da liegt auch ein Schwerpunkt von Wagners Wirken als Lied- und Oratoriensänger. Sein Repertoire ist weitgefächert von der alten Musik über das romantische Lied bis hin zu modernen Liedschöpfungen und verschafft ihm Auftritte in ganz Europa. Die Partie des Evangelisten aus Bachs Passionen hat ihm beispielsweise weite Anerkennung in den großen Konzertsälen Deutschlands und der Schweiz, in Frankreich, Spanien und Portugal über Rumänien bis nach Japan gebracht.
Dieter und Mirjam Wagner. Foto: Hans-Werner ...
Dieter und Mirjam Wagner. Foto: Hans-Werner Schuster
Sein Auftritt begeistert aber auch durch seine Körpersprache und ein ausdruckstarkes Minenspiel, das in der Lage ist – so in Karl Löwes Scherzlied „Die Katzenkönigin“ –, das Aussehen eines verliebten Mäuschens anzunehmen, um sich dann im Handumdrehen in das einer verschmitzten Katze zu verwandeln, die ihr Mäuschen „zum Fressen gerne“ hat, was sie schließlich auch tut. Aber lediglich das gekonnte Minenspiel des Sängers verrät den fatalen Ausgang dieser sonderlichen Liebesgeschichte. Sieht man den Sänger so agieren, so ist man überzeugt: der gehört auf die Opernbühne. Und da ist er auch zu finden. Beispielsweise als Tamino in Mozarts Zauberflöte oder als Mengone in Haydns „Apotheker“. Darüber hinaus will Wagner selber gestalten und wirkt auch als Chorleiter und Orchester-Dirigent, der immer neue Projekte für Schüler, Jugendliche und Erwachsene im süddeutschen und Schweizer Raum auf die Beine stellt. So nimmt der heute in Lörrach Wohnende die eigens für ihn geschaffene Funktion eines „Projektleiters-Kirchenmusik“ ein, mit weitgehend eigenständigen Projekt-Konzepten. Auf die Frage, was er nun eigentlich sei, antwortet er einfach: „Musiker“. Das subsumiert dann in seinem Fall den Sänger mit dem Dirigenten, den Referenten mit dem Projekt-Manager, den Initiator mit kompositorischen Ansätzen.

In Dinkelsbühl aber erleben wir ihn als Sänger, und zwar als lyrischen Tenor, der seine stimmlichen Valenzen sehr geschickt einzusetzen weiß, z.B. mit viel Charme und Witz, wenn er uns zu einem sonderlichen Gastschmaus einlädt bei „Bei Goldhähnchens“. Das ist ein gar kauziges Lied von Gustav Fleischer (1865-1927), den heute keiner kennt, der aber als zugewanderter Musiker aus Sachsen in Mediasch und Schäßburg eine neue Heimat fand, wo er vielfältigst wirkte. Die beiden vorgetragenen Lieder ließen eine romantisch-sensible Künstlerseele erkennen. Auch der nächste Komponist des Programms war sicher für viele eine Neuentdeckung. Wer kennt heute noch den Komponisten oder gar das Werk von Arthur Stubbe (1866-1938)? Der aus Berlin Zugezogene wirkte erfolgreich in Hermannstadt. Das lässt Rückschlüsse auf die Attraktivität des damaligen siebenbürgischen Musiklebens zu, wenn versierte Musiker gute Positionen in Dresden oder Leipzig (Fleischer) oder in Berlin (Stubbe) aufgaben, um in Mediasch, Schäßburg oder Hermannstadt zu wirken. Dass sie etwas von ihrem Handwerk verstanden, verriet auch Stubbes pfiffig vorgetragenes Lied „Pythia“, das vom Liebesgeheimnis handelt.

In Tochter Mirjam findet Dieter Wagner eine zuverlässige Partnerin, die mit diesem Abend ihre Feuertaufe als sensible Liedbegleiterin ihres Vaters bestens besteht. Auf Landes- und Bundesebene hat die Gymnasiastin schon mehrfache Preise bei „Jugend musiziert“ einspielen können und ist bereits Jungstudentin an der Baseler Musikhochschule. Mit zwei Solobeiträgen lässt sie aufhorchen: so mit Beethovens liebenswürdiger F-Dur Klavier-Sonate Op.10/2, deren Sätze das Publikum begeistert zerklatschte, und dann gar mit Chopins hochvirtuosem Scherzo Nr.2 in h-Moll, wo die jugendlich zarte Pianistin ungeahnte (Ausdrucks)Kräfte entwickelte.

Aber auch der Vater versteht es, sich noch zu steigern. Mit vier Liedern des italienischen Liedergottes Francesco Paolo Tosti (er lebte von 1846-1916 und ist dem deutschen Liederfürsten Schubert vergleichbar) wechselt er nun gar in das italienische Belcanto-Fach das an den Schmelz venezianischer Gondolieri oder den Glanz eines Caruso gemahnt. Hat man zunächst die lyrische Wärme von Wagners Stimme genossen, so kommt nun Metall in seine Stimme, und zwar glänzendes Edelmetall mit schmachtenden Untertönen. So etwa in dem erklärten Herz-Schmerz-Lieb­lings­lied „Non t’amo piu“. Da mag sich mancher fragen, ob die Wiege dieses Sängers wirklich in Siebenbürgen und nicht etwa im sonnigen Italien stand? Berechtigter Stolz klingt denn auch aus den Schlussworten von Doris Hutter, der stellvertretenden Bundesvorsitzenden, einer gebürtigen Agnethlerin, als sie meint. „Es ist kaum zu glauben, dass solcher Glanz aus dem rauen Harbachtal kommt.“ Möge uns diese Harbachtal-Sonne noch öfter erwärmen.

Prof. Heinz Acker

Schlagwörter: Heimattag 2013, Liederabend, Musik, Klavier, Gesang

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