13. Mai 2013

Hermann-Hesse-Abend in Stuttgart

„Das war des Frühlings schönster Tag“ – mit diesem abgewandelten Hesse-Zitat dankten die Organisatoren Kurtfritz Handel und Andreas Großberger für ihren beeindruckenden literarisch-musikalischen Abend am 19. April im Stuttgarter Haus der Heimat. Siegfried Habicher stellte die Beiden kurz vor. Handels Werdegang sei uns Siebenbürgern wohlbekannt durch seine Einzelausstellungen, Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, seine Privatsammlung und nicht zuletzt durch die Ehrung mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis 2009. Dass er obendrein Hesse-Verehrer und Liebhaber von dessen Lyrik ist, war für viele Gäste neu.
Bisher unbekannt war uns der Pianist des Abends, Andreas Großberger, der Kirchenmusik studiert hat, aber auch Chor- und Orchesterleitung sowie Gesang. Er leitet mehrere Chöre und befasst sich u.a. mit der Uraufführung von Werken der Neuen Musik. An diesem Abend improvisierte er souverän und zugleich einfühlsam wundervolle Tonfolgen, die ihm die Hesse-Wortschöpfungen momentan eingaben. Es kam zur vollkommenen Symbiose zwischen gesprochenem Wort und Musik.

Der Raum ist sparsam mit Fotos aus Hesses Leben sowie mit einigen Reproduktionen seiner Aquarelle geschmückt; letztere als Beweis dafür, wie gern Hesse seine Wahlheimat Tessin und die Gegend um seinen Wohnsitz in Montagnola mit Aquarell-Farben „einzufangen“ versucht hat. Malen war für Hesse ein wichtiges Ausdrucksmittel für seine Stimmungen und Befindlichkeiten, was durchaus als wundervolle Ergänzung zu seinen Gedichten verstanden werden kann.
Hermann-Hesse-Abend: Kurtfritz Handel rezitierte ...
Hermann-Hesse-Abend: Kurtfritz Handel rezitierte und Andreas Großberger improvisierte im Haus der Heimat. Foto: Edda Handel
Kurtfritz Handel kündigt an, 48 Gedichte von Hesse vorzutragen (manche sogar auswendig); es sind dies Natur- und Liebesgedichte, aber auch Gedankenlyrik. Der Zuhörer wird mitgenommen in den Kreislauf der Natur, der mit Frühlingsgedichten beginnt und bis zu den an seinem letzten Lebenstag verfassten Versen reicht („Knarren eines geknickten Astes“). Zugleich zeichnen diese Gedichte auch den Lauf des menschlichen Lebens nach, der vom Überschwang der Kindheit und Jugend („Der Blütenzweig“, „Die Stunde“) bis zur Weisheit des alternden Dichters reicht („Alt werden“, „Stufen“ oder „Kleiner Gesang“). Wenn auch der melancholische Ton durchwegs zu spüren ist, sind doch auch viele Gedichte dabei, die als ein einziges farbenfrohes „Carpe diem“ daherkommen, wie die Aufforderung „…lebe, hoffe, liebe, freue; gib dich hin und fürcht das Sterben nicht…“. Hesse ist Genießer des Lebens, der an seinem Ende versöhnt mit sich selbst dasteht, weil er um das Ende weiß, das ins Leben verwoben ist. Der Herbst wird zur Metapher für den eigenen Lebensabend. Das große Thema Tod ist allgegenwärtig, nicht als bedrohliche Größe, sondern immer als Teil des Lebens.

Die Zuhörer können sich an diesem Abend berauschen an klaren, farbigen, leichtfüßigen Versen, in denen immer wieder Begriffe wie Garten, Wolke, Blau des Himmels, Vogelgesang, Heimweh, Traum, Ferne aufscheinen. Eben die ganze Palette eines Spätromantikers, der aber trotz Wehmut, Nostalgie und Erinnerungen niemals hoffnungslos erscheint; im Gegenteil, der Abschied birgt den Neuanfang („wohlan, mein Herz: nimm Abschied und gesunde!“). In seinem allerletzten Gedicht über den abgestorbenen Ast hofft der Dichter darauf, dass dieser alte Ast vielleicht „noch einen Sommer, noch einen Winter lang“ sein Knarren in die Welt schickt – es klingt da wohl die Hoffnung auf eine Fortsetzung des Lebens mit, das immer wieder neu daherkommt, wenn auch in einem anderen Kleid.

Der Abend ist für darbietende Künstler wie für Zuhörer nicht nur ein Ohrenschmaus, sondern eine echte Bereicherung. Siegfried Habicher und Alfred Mrass, Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg, dankten den Künstlern im Namen aller Zuhörer herzlich und luden zur anschließenden Aussprache ins Foyer ein. Die Zuhörer ergriffen die Chance, sich mit den beiden Künstlern auszutauschen. Kurtfritz Handel verbindet wohl mit Hesse sein Hingezogensein zur Malerei; Handel spricht gern auch über seine Liebe zur Musik. So schließt sich quasi der Kreis: Der Bildhauer ist als Schöngeist auch Lyriker; der Musiker liebt die Verskunst, die bei Hesse ja auch in jedem Gedicht als Lautmalerei auftritt. Und der Lyriker Hesse „besingt“ die Natur sowohl in Versen als auch in seinen Bildern.

Ritta Apfelbach-Kartmann

Schlagwörter: Lyrik, Musik, Stuttgarter Vortragsreihe, Kurtfritz Handel

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