9. April 2012

Catalin Dorian Florescus Roman "Jacob beschließt zu lieben"

Wer sich bei dem Titel eine Liebesgeschichte erhofft, der wird erstmal enttäuscht, denn mit romantischem Techtelmechtel kann dieser Roman nur bedingt dienen. Vielmehr nimmt er sich vor, ein Epos banatschwäbischer Geschichte zu sein. Ein großes Vorhaben, da nicht nur die Einwanderung, der Krieg, die Russlanddeportation, sondern zum Schluss auch noch die Bărăgan-Deportation gestreift werden.
Im Mittelpunkt steht dabei ein Spross einer Banater Familie aus Triebswetter, ein gewisser Jacob Obertin, dessen Vater Jakob mit „k“ ein „Beigelaufener“ ist. Dieser Jakob ohne Fami­lienname kam aus den Karpaten, aus Bokschan, um die „Amerikanerin“ zu heiraten. Er hatte in einer Zeitung über sie gelesen, dass sie sich nach ihrer Rückkehr aus Amerika nach einem Mann sehne, und so kam er, um sie zu beglücken. Das ist schon ein außergewöhnliches Vorgehen für einen medial vielleicht nicht so versierten Zeitgenossen. Zu einer Heirat mit der reichen Elsa Obertin, deren Name er annimmt, kommt es dann auch und aus dieser Beziehung geht der Titelheld hervor. Jacob, der Sohn, erblickt wiederum etwas unorthodox auf einem Mistwagen das Licht der Welt mit Hilfe der Zigeunerin Ramina. Dieselbe wird dann seine Kindheit mit ihren Geschichten ausschmücken und ihm eine zweite Variante seiner Geburt erzählen.

Die Geschichte der Obertins wird aber von Florescu mit der ihrer Vorfahren ergänzt und sie reicht bis ins Jahr 1635 in den Dreißigjährigen Krieg zum ersten Obertin namens Caspar zurück, der ein Soldat in der Schwedenarmee war. Vorsichtshalber sichert sich der Erzähler ab und gesteht: „Ich bin mir nicht sicher, ob es Caspar wirklich gegeben hat, zu weit liegt seine Geschichte zurück. Aber es ist sicher, dass diese Geschichte zusammen mit den Lothringern, die Triebswetter gründeten, den Weg ins Banat fand“. (S. 64) Und spätestens mit Caspar mutiert der Roman dann zu einer Räuberpistole. Der entlaufene Soldat kehrt zurück nach Hause, die Moselle entlang, in die Nähe von Marsal, zu einem Hof, den er als sein Heim wähnt, und meuchelt dort fast eine ganze Familie nieder. Mit der Tochter, die das Massaker überlebt, lebt er zusammen, bis sie ihn später mit Hilfe des gemeinsamen Sohnes erschlägt. Nicht weniger kriminell ist Caspars Nachfahre Frédéric, der nicht nur Zigeuner einfängt und verkauft, sondern auch auf dem Weg ins Banat eiskalt einen Schiffskapitän umlegt, um an dessen Geld zu gelangen.

Die Geschichte der Vorfahren alterniert mit der des Jacob Obertin, und der Wechsel wirkt spannend. Doch auch das „realistische“ Bild der biederen Banater Schwaben bröckelt, denn der Vater Jacobs steht eher zu seinem unehelichen Zigeunerjungen als zum eigenen Sohn, eigentlich unvorstellbar für einen nachkommensorientierten „Banater Schwaben“. Nun ist es ja nicht die Aufgabe der Literaturkritik, den Wahrheitsgehalt eines Romans zu überprüfen, das wäre allenfalls Sache der Historiker. Florescus Ansatz ist aber zweideutig und bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen Fiktion und Historie. Einerseits spricht er von realen Ortschaften wie Triebswetter, Temeswar, und sein Diskurs kommt auch pseudorealistisch, also wenig verfremdet daher; andererseits mutet die Geschichte sehr weit hergeholt an. Daher kommt ihr die Wahrscheinlichkeit und somit die Glaubwürdigkeit abhanden, die man bei solch einer Erzählweise wohl erwartet. Wenn man aber davon absieht und sich in den Sog der Fiktion hineinziehen lässt, ist die gesamte Erzählung gut lesbar und spannend aufgebaut und erhielt vielleicht auch deswegen in der Schweiz den Buchpreis im letzten Jahr.

Der in Temeswar geborene Catalin Dorian Florescu hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, sein erster, „Wunderzeit“, wurde von der Kritik hoch gelobt. Sie sind zum Teil autobiografisch angehaucht oder befassen sich, wie „Jacob beschließt zu lieben“, mit seinem Herkunftsland Rumänien.

Edith Ottschofski


Catalin Dorian Florescu: „Jacob beschließt zu lieben“, Verlag C. H. Beck, München, 2011, 405 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-406-61267-1.
Jacob beschließt zu lieben: Ro
Catalin Dorian Florescu
Jacob beschließt zu lieben: Roman

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Schlagwörter: Rezension, Roman

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