28. März 2012

Dichtung und Wahrheit: Hans Bergel liest in Stuttgart

Am 24. Februar dieses Jahres veranstaltete das Kulturreferat der Landesgruppe Baden-Württemberg im Rahmen der Stuttgarter Vortragsreihe eine Lesung des vielfach ausgezeichneten und bekannten Buchautors und Journalisten Hans Bergel.
Der Kulturreferent und stellvertretende Landesvorsitzende Siegfried Habicher begrüßte die zahlreichen Gäste der Veranstaltung und gab eine Einführung in das Werk von Hans Bergel. Der 1925 in Kronstadt geborene Autor ist Verfasser von vierzig Büchern, aus welchen die Romane „Der Tanz in Ketten“, „Wenn die Adler kommen“, „Die Wiederkehr der Wölfe“ und der Erzählband „Am Vorabend des Taifuns“ besonders hervorragen. Er beschäftigt sich in diesen Werken unter anderem mit der Ära des stalinistischen Terrors in Rumänien und ihren Konsequenzen für die Menschen sowie mit der NS-Diktatur und ihren Auswirkungen vor allem in Südosteuropa.

Hans Bergel gehörte nach eigenen Aussagen vom Herbst 1944 bis 1947 dem bewaffneten antikommunistischen Widerstand in den Karpaten an. Er wurde wegen Aufbegehrens gegen die Diktatur acht Mal verhaftet und drei Mal zu Gefängnisstrafen verurteilt. 1959 gehörte er der Gruppe jener fünf deutschen Schriftsteller an, die in Kronstadt vor ein Militärgericht gestellt und zu insgesamt fünfundneunzig Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt wurden. Während der Jahrzehnte zwischen 1969 und 1989 wurde der Autor zur bestimmenden Persönlichkeit im Kampf um die Menschenrechte seiner Landsleute in Rumänien. Seit dem Zerfall des Systems des „real existierenden Sozialismus“ und der Wende von 1989/1990 ist der Autor, oft mehrfach im Jahr, in Rumänien. Als Gast dortiger Universitäten, Akademien und Kulturinstitutionen tritt er mit Lesungen und politischen Vorträgen auf, in denen er den fortdauernden Chauvinismus in der rumänischen Gesellschaft angreift. Er ist seit Jahren Gast und Ehrenmitglied der Academia Civică, die sich die wissenschaftliche Offenlegung der kommunistischen Verbrechen im Land zur Aufgabe gemacht hat.
Siegfried Habicher (links) führt in das Werk Hans ...
Siegfried Habicher (links) führt in das Werk Hans Bergels ein.
Bergel ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und wurde u.a. mit dem Gryphius- und dem Dehio-Preis sowie dem Kulturpreis der Siebenbürger Sachsen ausgezeichnet. Der rumänische Staatspräsident zeichnete ihn mit dem Orden für kulturelle Verdienste aus und die Universität Bukarest verlieh ihm als erstem Deutschen aus Siebenbürgen die Ehrendoktorwürde. Hans Bergel wartete während der Einführung geduldig, bis er aus seinem Erzählband „Am Vorabend des Taifuns“ vorlesen konnte. Die autobiografischen Erzählungen greifen Situationen aus seinem bewegten Leben auf, die mit offenen Augen und scharfem Verstand verarbeitet werden.

In „Violeta“ beschreibt er die Begegnung mit der Tochter des ehemaligen Untersuchungsoffiziers, der ihn während seiner Zeit im Gefängnis gequält hatte und dessen Erscheinung den Erzähler noch Jahrzehnte nach der durchlittenen Haftzeit nicht loslässt. Die Ähnlichkeit der Historikerin, die ihm als wissenschaftliche Begleiterin beim Studium der Securitate-Akten zur Seite gestellt wird, löst die verschütteten Erinnerungen wieder aus und entwickelt sich während der Erzählung fort bis zur Erkenntnis der verwandtschaftlichen Beziehung. Allerdings lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass die äußerlich dem Vater ähnliche Tochter einen anderen, besseren Charakter besitzt, einfühlsamer ist und vor allem eigenständig denkt. Der Schluss ist dennoch düster, da die vielversprechende junge Wissenschaftlerin auf tragische Weise bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt.

„Die Novelle“ beschreibt die Entstehung einer Erzählung während einer nächtlichen Zugfahrt von Kronstadt nach Hermannstadt, wobei sich der Autor durch die Begegnung mit einer mitreisenden Zigeunerin über die grundsätzliche Definition der im Titel genannten Erzählform Gedanken macht. Aus dem naiven Umgang mit der schreibunkundigen Begleiterin kristallisiert sich das Wesentliche dieser Gattung – das Thema aus dem Alltag – heraus. Den komplexen Aufbau streift der Erzähler nur.

Als letzte Erzählung, die gleichermaßen als Zugabe für die versammelte Hörerschaft gedacht war, las Hans Bergel „Balmung“ vor, eine Erinnerung an seine Gymnasialzeit in einem siebenbürgischen Städtchen am Mieresch. Er beschreibt darin die Zeit der späten dreißiger Jahre und die Schicksalsgemeinschaft mit seinem jüdischen Schulfreund, mit dem er gemeinsam die Unwägbarkeiten des schulischen Alltags meisterte. Zusammen fanden die beiden Außenseiter die Kraft, sich gegen die restliche Klasse durchzusetzen.

Beim Zuhören ergab sich eine besondere Nähe zu dem vermittelten Inhalt, da er darin Dinge anspricht, die jedem im Leben widerfahren können. Dies macht die Authentizität seiner Erzählungen aus. Umso erstaunlicher ist es, dass die Mehrheit der gestellten Fragen aus dem Publikum im Anschluss an die Lesung den Wahrheitsgehalt der Texte zum Inhalt hatten. An den routinierten Antworten von Hans Bergel konnte man erkennen, dass ihm diese Fragen häufig gestellt werden. Er greift Themen aus dem wahren Leben auf und verarbeitet sie, indem er mit großer Akribie auf die Wahrung der klassischen Erzählformen achtet.

Im Anschluss saßen einige der Gäste mit Hans Bergel beisammen und ließen den Abend ausklingen, der für alle Beteiligten sicher länger wurde, als ursprünglich gedacht; was dafür spricht, dass er ihnen viel gegeben hat. Anregende, gute Gespräche haben diesen Tag in Stuttgart zu einem besonderen Erlebnis gemacht.

Helge Krempels

Schlagwörter: Lesung, Stuttgarter Vortragsreihe, Bergel

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