26. Februar 2012

Diaspora, Ökumene, Osteuropa: Schwerpunkte von Bischof D. Dr. h.c. Dieter Knall

Dieter Knall: „Erinnerungen. Transilvania me genuit – Austria me recepit. Biographische Notizen.“ Evangelischer Presseverband in Österreich, Wien, 2008, 319 Seiten.
Als der 14-jährige Schüler Dieter Knall nach dem Umsturz in Rumänien vom 23. August 1944 mit einem Pferdegespann aus dem Banat vor der Roten Armee flüchtete und nach strapaziösen fünf Wochen im Wagentreck mit seiner Familie in Alberschwede im Bregenzer Wald in Österreich eintraf, hat auch in den kühnsten Träumen niemand voraussehen können, dass dieser Junge nach 40 Jahren zum Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich gewählt werden sollte. Er selbst schreibt in seinen Erinnerungen, auf die hier hingewiesen werden soll: „Rückblickend kann ich über meinen Lebensweg nur dankbar staunen. Nichts von seinen Etappen konnte ich zu irgendeiner Zeit voraussehen. Eigentümlich unberechenbar ergab sich Künftiges jeweils sinnvoll auf Gewachsenem fußend, aber immer an anderen als den vermuteten oder manchmal erhofften Gestaden.“

Wie es dazu kam, rekonstruiert Dieter Knall auf Grund von Tagebuchaufzeichnungen und ­anderen Quellen, in seinen in Buchform erschienenen „Erinnerungen“. Ursprünglich waren sie seinen zehn Enkeln zugedacht, um ihnen aufzuzeigen, wie es den Großeltern ergangen war. Diese Familiengeschichte ist mit der Berufstätigkeit verknüpft, und daher bietet die Biographie zugleich ein umfassendes Bild vom kirchlichen Wirkungsfeld eines engagierten Kirchenmannes sowie den weltlichen Umwälzungen dieser Zeit. Die Verbundenheit zu seiner siebenbürgischen Heimat bezeugt der Autor bereits durch das Titelbild seines Buches – es ist das Turmziffernblatt der „Schwarzen Kirche“ in Kronstadt mit der lateinischen Inschrift: „Si transit gloria mundi“. Und gleich auf Seite 5 heißt es: „Ich bin von meiner Geburt her Kronstädter, ganz und gar ein Siebenbürger Sachse, der schon die Kindergartenzeit und danach sieben Schuljahre in der Stadt unter der Zinne zugebracht hat, allerdings immer mit Ausnahme der Ferien.“

Dieter Knall wurde am 24. August 1930 in Kronstadt als Sohn des Tierarztes Erich Knall und seiner Ehefrau Hermine geboren. Da der Vater als Oberstaatstierarzt des Bezirks Detta ­tätig war, wohnte die Familie in der genannten banatschwäbischen Gemeinde, wo Dieter und seine Schwester „unbeschwerte Kindertage“ verbrachten. Kindergarten und die ersten Schulklassen besuchten sie jedoch in Kronstadt, wo sie von der Großmutter mütterlicherseits besorgt wurden.

Bischof i.R. D. Dr. h.c. Dieter Knall ...
Bischof i.R. D. Dr. h.c. Dieter Knall
In Bregenz besuchte Dieter Knall zunächst die Oberschule für Knaben und dann das humanistische Bundesgymnasium. Dabei kam er in Kontakt mit der kirchlichen Jugendarbeit, die seinen Werdegang bestimmen sollte. Die Matura schloss er 1950 mit Auszeichnung ab und studierte anschließend evangelische Theologie in Wien und Heidelberg. 1955 trat er seine erste Pfarrstelle in der steirischen Gemeinde Stainz an und wechselte später ins obersteirische Bruck an der Mur. Außerdem wirkte er im steirischen Gustav-Adolf-Zweigverein mit und wurde dessen Obmann. Bereits im Jahr 1955 hatte Knall die ­Siebenbürger Sächsin Elisabeth (Suse) Lang geheiratet, die ihm vier Töchter schenkte. Die ­Familie hatte sich in Bruck an der Mur gut eingelebt und Pfarrer Knall hatte dankbare Gemeindemitglieder der evangelischen Kirchegemeinde gefunden, als er 1965 überraschend als Vertreter der evangelischen Diaspora Österreichs für drei Jahre zum Dienst in die Zentrale des Gustav-Adolf-Werkes (West) in Kassel ernannt wurde. Daraufhin zog die ganze Familie in die Bundesrepublik Deutschland um und sollte dort bis 1976 verbleiben. Wieder überraschend wurde Knall zum Superintendenten der evangelischen Kirche in der Steiermark gewählt. Für die Familie war es ein schwerer, schmerzlicher Abschied von Kassel, für den Vater jedoch ein beruflicher Aufstieg, der 1983 mit der Wahl zum Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich eine Krönung erhielt. Ein neuer Umzug für die Familie nach Wien war erforderlich.

Dieter Knall ist bislang der einzige Siebenbürger Sachse, der ein Bischofsamt im Westen erhielt, das er bis 1995 mit Leben erfüllte. Sein beruflicher Aufstieg und die Berufungen mögen, wie er schreibt, überraschend gewesen sein, es standen ihnen aber beachtenswerte Leistungen auf dem Gebiete der weltweiten Diaspora und Ökumene sowie brückenbauende Verbindungen zu den Kirchen Osteuropa zugrunde. Für diese Tätigkeit war Dieter Knall durch seine siebenbürgische Herkunft als Sachse prädestiniert. Als Flüchtling hatte er zunächst die abweisende Politik Österreichs erlebt, die in den ersten Nachkriegsjahren nicht gewillt war, die „Fremden“ und „Zugereisten“ anzunehmen und zu integrieren, obwohl es sich dabei zum guten Teil um Deutsche aus dem Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie handelte. Knalls Vater zum Beispiel erhielt, obwohl zunächst als „unentbehrlicher“ Tierarzt angestellt, im Jahr 1949 Berufsverbot und sein Studium in Deutschland wurde nicht anerkannt. Er musste sich einer neuerlichen Prüfung an der Wiener Tierärztlichen Hochschule unterziehen.

In der evangelische Kirchengemeinde Stainz, die 600 Mitglieder zählte und im Umkreis auf 86 politische Gemeinden verteilt war, ließen sich Minderheitensituation und Diasporaarbeit von der Pike auf lernen, kann man in den Erinnerungen Knalls lesen. Gleichzeitig erfährt man auch, in welchem Maße die evangelische Kirche in Österreich als Minderheitenkirche gegenüber der römisch-katholischen Kirche marginalisiert wurde. Als evangelischer Pfarrer musste es Knall immer wieder erleben, wie der katholische Dechant versuchte, die evangelische Gemeinde an den Rand der Öffentlichkeit zu drängen. Hier war also Diaspora-Kleinstarbeit im Sinne des Gustav-Adolfs-Werkes erforderlich. Es war daher nicht Zufall, dass der Siebenbürger Sachse Knall in dessen Zentrale nach Kassel berufen wurde. Hier eröffnete sich ihm ein breites Betätigungsfeld in der weltweiten evangelischen ­Diaspora und zugleich in der Ökumene. So hat er immer wieder die evangelischen Kirchen der DDR besucht und sich als Brückenbauer erwiesen. Weitere Besuchsreisen führten ihn in die Diasporagemeinden Polens, Ungarns, Italiens, Spaniens, Rumäniens, der Tschechoslowakei, in die Zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion zu den Russlanddeutschen, aber auch nach Brasilien, Kanada und Australien. Insgesamt waren es 1497 Gemeindebesuche. Auf diesen Reisen lernte er die evangelisch-deutschen Diasporagemeinden und die sie tragenden Persönlichkeiten kennen. Bedrückend war dabei, dass er in der DDR von der Stasi ständig bespitzelt wurde. Die nach der Wende zugänglich gewordene Stasiakte eröffnete ihm, „nur tiefe Bestürzung über das Ausmaß missbrauchten zwischenmenschlichen Vertrauens“. Zudem hatte die Stasi einen Informanten in das Gustav-Adolf-Werk eingeschleust. Auch in den anderen sozialistischen Ländern gab es Schikanen seitens der Grenz- und Sicherheitsbehörden. Das änderte sich nach dem Sturz der kommunistischen Regime.

Dieter Knall war auch ein Mann der Ökumene und als solcher Mitglied im Zentralkomitee des Ökumenischen Rats der Kirchen und des Lutherischen Weltbundes. Er bemühte sich vor allem um die Annäherung der katholischen und evangelischen sowie anderer christlichen Konfessionen in Österreich, obwohl das Verhältnis zur katholischen Geistlichen nicht einfach war. Knall traf als Bischof den Dalai-Lama (1986) und in einem ökumenischen Gottesdienst Papst Johannes Paul II. in Salzburg (1988).

In seinen Erinnerungen berichtet er über sein Mitwirken an vielen Tagungen, Versammlungen, Einweihungen von Kirchen oder Amtseinführung. Eine besondere Beziehung pflegte er zur evangelisch-sächsischen Heimatkirche. Seine Stammesheimat Siebenbürgen besuchte er oft – auch mit Familienangehörigen, österreichischen kirchlichen Amtsträgern oder sächsischen Landsleuten – und begleitete Hilfstransporte. Dabei arbeitete er mit Pfarrern und den Bischöfen Albert Klein und Christoph Klein aufs engste zusammen. Ein besonderes Interesse widmete er den Kirchenburgen. 1984 nahm er an der Jubiläumsfeier „600 Jahre Schwarze Kirche“ teil und richtete ein Grußwort an die Festgemeinde. Aus Heimatverbundenheit entstand 2002 auch sein Buch „Aus der Heimat gedrängt. Letzte Zwangsumsiedlungen steirischer Protestanten nach Siebenbürgen unter Maria Theresia“, in dem er die Zwangsdeportation der Landler auf Grund von umfangreichen Quellenstudien darstellt. Nach dem politischen Umbruch in Rumänien von 1989/90 setzte er sich bei der österreichischen Regierung dafür ein, dass die ausreisewilligen Landler wieder in Österreich eingliedert werden – leider ohne Erfolg und zu seiner großen Enttäuschung. In Wien war man nicht gewillt, den etwa 4000 Aussiedlern als Wiedergutmachung dieselben Eingliederungshilfen wie in der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren. So entstand bloß ein Landlermuseum in Bad Goisern, und die Landler fanden Aufnahme in Deutschland.

Als sächsischer Leser vermisst man in den „Erinnerungen“ nähere Informationen über die sächsischen evangelischen Diasporakirchen in Österreich. Wahrscheinlich wollte sie Superintendent und Bischof Knall, was verständlich ist, gegenüber den „einheimischen Evangelischen“ nicht bevorzugen, er ist wohl nicht zusätzlich ein österreichischer „Sachsenbischof“ geworden. Bischof Knall hat aber eine Studie über die „Siebenbürger Sachsen in Österreichs Evangelischer Kirche A.B. als versöhnende Gemeinschaft“ in der Festschrift zum 70. Geburtstag für Bischof D. Dr. Christoph Klein im Jahr 2007 veröffentlicht. Er war aufgeschlossen gegenüber der siebenbürgisch-sächsischen Landsmannschaft und primär gegenüber dem Verein der Siebenbürger Sachsen in Wien, dessen Ehrenvorsitzender er ist. In seinen „Erinnerungen“ erwähnt er die sächsischen Kirchen- und Heimattage von Wels, bei denen er Grußworte an die Teilnehmer richtete und den Festgottesdienst hielt, ferner die Jubiläumsfeierlichkeiten „125 Jahre Verein der Siebenbürger Sachsen in Wien“. Er gehörte sodann zu den Gründern des „Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde“ und war Mitglied des Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen in der EKD an.

Als Superintendent und Bischof hat Knall verschiedene Auszeichnungen erhalten, darunter den Ehrenring des Landes Steiermark (1983), die Ehrendoktorwürde der Evangelisch-Theologischen Akademie in Budapest (1985), das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich (1990), den Ehrendoktor des Protestantisch-Theologischen Instituts Klausenburg (1995), das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (1996), das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark mit Stein (2010) u.a. In der Laudatio bei der Überreichung der letztgenannten Auszeichnung zum 80. Geburtstag sprach Landeshauptmann Franz Voves u.a. die Bemühungen Knalls um die ökumenische Dimension der Kirche an, vor allem die Vertiefung der Verbindungen zu den evangelischen Minderheitenkirchen in den Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. Der österreichische Bundespräsident Dr. Heinz Fischer ­betonte aus demselben Anlass in seinem Glückwunschtelegramm, Altbischof Knall habe sich „stets bemüht, den Menschen Orientierungshilfe in schweren Zeiten zu bieten und habe als Verfechter und Repräsentant der Ökumene zum guten Klima des konstruktiven Miteinander zwischen den christlichen Kirchen beigetragen.“

Nach einem segensreichen Wirken lebt Altbischof Knall heute im eigenen Reihenhaus in Graz.

Das Buch „Erinnerungen. Transilvania me ­genuit – Austria me recepit. Biographische Notizen“ kann zum Preis von 29,00 Euro beim Evangelischen Presseverband in Österreich, Ungarngasse 9/10, 1030 Wien, und beim Gustav-Adolf Werk in Württemberg, Pfalbronner Straße 48, 70188 Stuttgart, bestellt werden.

Michael Kroner

Schlagwörter: Rezension, Erinnerungen, Bischof, Kirche

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Neueste Kommentare

  • 26.02.2012, 21:07 Uhr von bankban: Interessante Rezension, vielen Dank. Kleine Korrektur: "ließen sich Minderheitensituation und ... [weiter]

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