2. Januar 2012

„Mehrfachbelichtung“: Dichtungen zeigen Rumänien jenseits von Klisches

Zu „Mehrfachbelichtung. Rumänische Erkundungen“. Herausgegeben vom Lese-Zeichen e.V., 2011, Thüringen. Fotos: Andreas Berner, Vorwort von Helge Pfannenschmidt. Beiträge u.a. von Marius Koity, Werner Söllner und Daniela Boltres, 132 Seiten, 12,00 Euro (Versand 1,50 Euro).Bestellung unter Telefon: (03641) 493900 oder E-Mail: info[ät]lesezeichen-ev.de.
Das Politische in der Dichtung war schon immer aktuell. Als eine deutsche Wochenzeitung verkündete, dass sie Gegenwartsgedichte über Politik veröffentlicht, war das zwar nicht neu und aufregend, aber anders. Dichter nehmen das „Politische und die Politiker“ anders wahr. Sie beschreiben das Politische anders, um uns Leser „aus dem Konzept zu bringen“. Der Band „Mehrfachbelichtung“ der Thüringer Künstler konzentriert sich auch auf „etwas anderes“, was der Engel an der Pforte Rumäniens erwartet – eine Aufgabe, die Daniela Danz aus Thüringen den Schülern des Honterusgymnasiums in Hermannstadt gestellt hat. Die haben dichtend gefragt: „Warum dann der Weg? Warum dann die Last?“, wenn man dieses Land, das in seiner Geschichte kaum die eigene Freiheit kennt, verlässt: Die Gedichte waren für die Schüler eine willkommene Auseinandersetzung, ihr Land von außen zu betrachten. Ob aber Gedichte und Geschichten über rumänische Befindlichkeiten, Erlebnisse und die Wirkung der Vergangenheit in die Gegenwart in diesem mit klischeebehafteten Balkanland uns aus dem Konzept bringen? Eher nicht. Trotzdem belichten sie neue Aspekte.

Die Texte im Band „Mehrfachbelichtung“ stammen von den Thüringer Künstlern Nancy Hünger, Friederike Kenneweg, Grit Bärenwald, Daniela Danz, Martin Straub und Hansi von Märchenborn, die 2009 und 2010 eine Künstler-Expedition nach Siebenbürgen und der Bukowina machten. Von Klischees sind ihre Spiegelungen nicht befreit. Sie versuchen zwar, dieses Neuland zu verstehen, das Land gedanklich zu erobern, aber in ihren teils heiteren, teils verzweifelten Texten, die gelegentlich nur an der Oberfläche schürfen, gelingt dies nicht immer, denn Rumänien ist ein mythenbehaftetes Land.

Daniela Danz, wandelte bereits im Gedichtband „Pontus“ (Wallstein, Göttingen 2009) auf den Spuren Ovids am Schwarzen Meer, der Griechen und der Skythen, um in der Gegenwart anzukommen. Andere suchen Spuren der Vergangenheit, die der genaueren Aufarbeitung noch bedarf – dem mehr als vierzig Jahre waltendem Kommunismus dort.

Wie man sich fühlt, wenn man seine Vergangenheit verarbeiten muss, ist auch in den vier Gedichten Werner Söllners (Erstveröffentlichungen) nachzulesen, der auf einem öffentlichen Podium vor zwei Jahren gestand, dass er für den Geheimdienst Berichte schrieb. Seine Gedichte („Nichts ist gekommen“, „Swift Code“, „An einem Tag im Oktober“, „Meine Haut“) schildern tiefe Gefühle der Leere, des Verlusts, denn „Nichts ist gekommen, wie /Wir es wollten. Alles ist anders /Gekommen.“ Da sind wir wieder bei dem „Anders“. Die Gedichte berühren; das lyrische Ich steht neben sich, es ist zum Betrachter geworden. Lange hat Söllner geschwiegen, nun ist er mit diesen schönen Versen zurück. Das ist gut so. Auch seine Gedichte fassen ein Empfinden in Worte, von dem wir nichts wussten, in ihnen suchen wir uns selbst, etwas, was wir nicht ausdrücken konnten. Die Frage des Miteinander oder Gegeneinander steht im Raum, auch schon ausgedrückt in Gullivers Reisen, dessen Motto Söllner als Zitat seines Gedichts „Swift Code“ wählt: „Es ist jetzt ein Meer/ In mir, eine Wüste….Es ist jetzt ein Riss /In der Welt, von der Mitte / Zum Rand…“

Marius Koity aus dem Banat hingegen schildert in „Keine Romanhelden“ poetisch lebendig und fast schon heiter, wie es ist, wenn man in ehedem geheimen Akten einen Teil seines Lebens wiederfindet: drei Securitate-Offiziere und drei IMs hatten ihn bespitzelt, um zu beweisen, dass er doch kein „deutscher Nationalist“ war. „Ein lächerlicher Gedanke“, meint Koity. Sehen wir auch so. Seine folgenden Gedichte sind auch politisch, wenn auch abseits, wo „stumm die alten Pans die Milch ihrer Ziegen schlürfen“. Rückblick oder Erinnerung an Rumänien? Veröffentlicht waren sie bereits 1987 in der „Neuen Literatur“.

Daniela Boltres, schlägt in ihrer Erzählung über „Schirmpilze“ eine Brücke von ihrer Heimat am Niederrhein und Vaters Parasole nach Siebenbürgen. Heiter und traurig zugleich ist die Grundstimmung. Bilderreich sind ihre zum Teil zweisprachigen Gedichte „La blouse roumain“, „Park in Târgu Jiu“, „Kloster Neamț“. Nanca Hünger sinniert über Birthälm, Friederike Kenneweg über Schloss Bran, Hansi von Märchenborn bespricht das Märchen vom „Hirsekorn“ und Grit Bärenwald dichtet auch aus Birthälm. Schwarzweißfotos von Andreas Berner illustrieren den Band.

Es tut gut, dass schon der Titel „Mehrfachbelichtung“ des Buches hindeutet, dass dieses Land Rumänien nicht nur aufgrund und anhand von immer wiederkehrenden Klischees (wie Dracula, Straßenkinder, Korruption, Geheimdienst, Zigeuner und Balkan) zu begreifen und verstehen ist, sondern mehrfach belichtet werden muss. Danke, Thüringen, für diese Partnerschaft! Man wünscht sich, es gäbe mehr davon.

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Lyrik, Rumänien

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