19. August 2011

Gert Fabritius: „Mythos Heimat – Heimat im Mythos“

Am 14. Juli wurde in Ulm eine Ausstellung mit Werken des Künstlers Gert Fabritius eröffnet. Das Motto lautet „Mythos Heimat – Heimat im Mythos“. Die Kunstwerke sind bis zum 25. September in den Räumlichkeiten des Donauschwäbischen Zentralmuseums (Schillerstraße 1, 89077 Ulm) zu sehen. Bei der Vernissage führte Dr. Irmgard Sedler, die Kuratorin der Ausstellung, in die Thematik der Ausstellung ein und gewährte Einblick in das Leben des Künstlers. Der Vortrag wird im Folgenden gekürzt wiedergegeben.
In einer Welt der totalen Offenheit von Raum und Zeit, in einer Gesellschaft der Globalisierung und der virtuellen Netzwerke, der uferlosen Bilder und Reize, die es jedem erlaubt, eine nie dagewesene Rollenvielfalt ins eigene Leben zu bringen, erscheint das Thema Heimat auf den ersten Blick antiquiert.

Dabei ist es jedoch kein Leichtes, ohne jeden festen Bezugspunkt durch die Welt zu ziehen. Die Frage nach der einen Verankerung, auf welche die Werteorientierung jedes Einzelnen aufbaut – diese Frage stellt sich spätestens, wenn unsereiner als Individuum mit der Dissonanz zeitgenössischer Sozialisationsverhältnisse konfrontiert wird. Dann fragt dieser eine sich: Worin besteht eigentlich die Kontinuität durch all die Brüche unserer Lebenserfahrung hindurch? Woran kann ich meine ureigene kulturelle, moralische, im Falle von Gert Fabritius meine künstlerische Identität festmachen? Diese Frage ist nicht neu. Die Väter der Moderne von Baudelaire bis Rimbaud und auch der deutsche Romantiker Novalis haben sie sich genauso akut gestellt, wie wir das heute tun.

Der Lebenslauf des heute in Stuttgart lebenden Gert Fabritius enthält die typischen Brüche einer Biographie des 20. Jahrhunderts: 1940 im rumänischen Bukarest als Kind in einer siebenbürgisch-sächsischen Kaufmannsfamilie geboren, blieb er schon vor der Geburt ohne Vater, da dieser bei einem Flugzeugabsturz umgekommen war. Das große Erdbeben in Bukarest 1940 brachte die kleine Familie um ihre Existenzgrundlage. Die Mutter kehrte dem rumänischen Großstadtmilieu den Rücken und flüchtete in den vermeintlich sicheren Hafen ihres sächsischen Elternhauses in die siebenbürgische Provinzstadt Mühlbach. Das Kriegsende brachte für die Familie Fabritius die Erfahrung des gesellschaft­lichen Ausgestoßenseins im nun kommunistischen Rumänien mit sich. Diesen Bruch überwand der Junge durch die Hinwendung zur Kunst, zunächst in Gestalt einer Schreibmeisterlehre. In den relativ ruhigen kommunistischen Aufbaujahren der 1960er Jahre vollzog sich Gert Fabritius‘ künstlerischer Werdegang in Klausenburg, der kulturellen Hauptstadt Siebenbürgens. Hier lernte der Künstler auch seine Frau Eva, ebenfalls Kunststudentin, kennen. Nach dem erfolgreichen Studium an der Klausenburger Kunstakademie kehrte der Künstler an seinen Geburtsort, die Landeshauptstadt Bukarest, zurück.
Szene aus dem Raum „Sehnsucht Heimat“ in Gert ...
Szene aus dem Raum „Sehnsucht Heimat“ in Gert Fabritius’ Ausstellung in Ulm.
Nach einem hoffnungsvollen Beginn künstlerischer Verwirk­lichung in der intellektuell-kosmopolitisch ­geprägten Atmosphäre des Kulturhauses „Friedrich Schiller“ nutzte Gert Fabritius alle Freiräume, die das kommunistische Regime der Zeit gestattete. Viele fruchtbare Begegnungen aus dieser Zeit hinterlassen bis heute Spuren in seinem Werk, so z.B. das Zusammentreffen mit den Dichtern Immanuel Weißglas und Oskar Pastior, mit Gerhard Eike, mit der Kulturwissenschaftlerin Roswith Capesius oder dem Journalisten Franz Heinz.

In den Siebzigern wurde HAP Grieshaber auf den Bukarester Künstler aufmerksam. Die Korrespondenz zwischen den beiden wurde von den staatlichen Kontrollorganen schnell beargwöhnt. Schließlich rückte ihn eine Begegnung mit Erwin Wickert, dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, vollends ins Visier der Securitate, was ihm letztlich Mitte der Siebziger sogar das Berufsverbot einbrachte. In diesem biografischen Kontext erscheint die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland 1977 als ein tiefgehender, aber konsequenter Bruch im sozialen wie auch im künstlerischen Leben von Gert Fabritius.

In den vergangenen Jahrzehnten ist der Künstler den direkten Fragen zu seiner Herkunft und zu seiner Verwurzelung im Kulturkreis des Siebenbürgisch-Sächsischen, beziehungsweise des Rumänischen, konsequent ausgewichen. Er berief sich dabei mehrfach auf die Daseinsberechtigung seiner Werke als Kunstobjekte auch abseits des gesellschaftlichen und politischen Kontexts.

Trotzdem geht es in Fabritius’ Arbeiten seit jeher um Verortung, wenn auch nicht um den tradierten Heimatbegriff, sondern um Beheimatung. Seit der Jahrtausendwende treten die künstlerischen Zeichen solcher Verortung immer deutlicher hervor. Ein Eintrag am 8. Dezember 2006 in einer seiner „Tagebuch-auf-Zeich­nun­gen“ legt der antiken Mythengestalt Sisyphos, seiner Identifikationsfigur, die Worte in den Mund: „Sisyphos wird und will seinen Standort, den Ort, das Wort verfestigen.“ Er sei beheimatet in der Kultur und in der Sprache des alten Europa. Diese humanistische Bildungsheimat sei zuallererst der zeit- und raumübergreifende Mythos. Die heute zu eröffnende Ausstellung thematisiert erstmalig „Heimat“ neben dem länger schon in Anspruch genommenen Begriff „Mythos“ als Stichwort für die inhaltliche Ausrichtung der aktuellen Werke des Künstlers.

Aber man sollte vorsichtig sein und keinesfalls die direkte Offenlegung biographisch wie kulturell bedingter „Heimat“-Verortung in den jüngsten Werken von Gert Fabritius erwarten. Mit seiner Berufung auf die Beheimatung in Sprache und Kultur vertritt der Holzschneider und Maler Fabritius die Position tradierter Holzschnittkunst. Ihre Geschichte entfaltet sich vom Holzschnitt der Reformation und des Humanismus bis hin zum Deutschen Expressionismus als ein Kontinuum an ins Holz geschnittenen Worten. Die Kunstrichtung wird getragen von den Wechselwirkungen zwischen Sprache und Bild. So ist erklärlich, dass Mythen und kulturelle Rituale überhaupt, wie auch das geschriebene Wort zu einem wichtigen Thema der Arbeit von Gert Fabritius avancieren konnten.

Gert Fabritius hatte schon in den späten 1980ern den antiken Mythos als seine „geistige Heimat“ entdeckt, ebenso die Bilderwelt der christlichen Religion. In den Neunzigern strebte Fabritius’ holzschneiderisches Kunstschaffen zum Höhepunkt. Bildgestalterisch überwogen die kompakten Farbareale, die oft nur durch ein sparsames Linienspiel aufgebrochen wurden. Seit dieser Zeit thematisiert er in seinen großflächig angelegten Farbholzschnitten die altbekannten mythischen Gestalten. Der Mythos wurde zum Ausweich-Ort vor den Absurditäten seines Lebens.

Die Arbeiten des heute in Baden-Württemberg lebenden Malers und Holzschneiders kreisen inhaltlich seit der Jahrtausendwende immer öfter um die eigene Befindlichkeit. Davon zeugen die 1999 begonnenen und konsequent geführten „Tagebuch-auf-Zeichnungen“.

Fabritius’ Werke beschäftigen sich mit den großen Fragen des Daseins. In die für Fabritius fruchtbaren sechziger Jahre fiel seine für das Werk folgenschwere Bekanntschaft mit der ­Gedankenwelt von Nietzsche, Camus, Kafka und ­Ionesco. Ab diesem Zeitpunkt nutzte er das mythische Bilderuniversum als Ort der Selbstbefragung.

Neben Minotaurus und Sisyphos, dem im Labyrinth gefangenen Stiermenschen der griechischen Sage und dem zu sinnloser Arbeit verdammten König von Korinth, finden sich Fabritius’ Bilderwelt in beinah obsessiver Wiederholung Leitern und Stühle. Sie lassen sich interpretieren als Jakobsleiter, Himmelsleiter, Traumleiter; der Stuhl wiederum als menschlicher Platzhalter oder als die Zivilisationsmetapher überhaupt. In jüngster Zeit malt Gert Fabritius auch wieder Engel als Vermittler zwischen irdischer und mythischer Zeit.

Über die ihm eigene Art des Rückgriffs auf das Bilduniversum des Mythos integriert er hin und wieder auch siebenbürgische Themen in sein Werk. Meist unterstreicht ein entsprechender ­Titel den siebenbürgischen Kontext eines Bildes. Zeitaktuelle, spezifisch siebenbürgisch-sächsische Themenansätze finden sich vor allem in den „Tagebuch-auf-Zeichnungen“ der letzten zwei Jahre.

Biographische Referenzen tauchen bei Gert Fabritius in unterschiedlich inspirierten Bildszenarien auf. Neben der Mythologie ist es die Literatur, die dem Maler den Stoff für seine künstlerische Auseinandersetzung mit der Problematik menschlichen Daseins liefert. Mit dem großformatigen, farbig übermalten Holzschnitt „À Ionesco“ bekennt er sich beispielsweise in geradezu programmatischer Weise zu der Weltsicht des rumänischen Dramatikers Eugen Ionesco. In der Auseinandersetzung mit der Dichtkunst von Immanuel Weißglas, einem Jugend- und Dichterfreund von Paul Celan, dem Fabritius in seiner Bukarester Zeit begegnet ist, schuf er mit „Ahasver“ eine seiner wichtigsten Arbeiten, in der er mit dem auf dem schwankenden Boden eines Geisterschiffs herumirrenden Ahasver das Thema Heimat als Nirgendwo aufgreift. Mensch und Boot, in leichter Untersicht bildfüllend und bedrohend nah dargestellt, schwanken in einer Ewigkeit der Unbehausung.

Die Ausstellung „Mythos Heimat – Heimat im Mythos“ im Donauschwäbischen Zentralmuseum veranschaulicht die Auseinandersetzung des Künstlers Gert Fabritius mit den Themen Heimat und Verwurzelung. Von „Adam und Eva“, den christlichen Symbolgestalten der Vertreibung aus dem Paradies der Heimat, schlägt die Ausstellung den Bogen zur raumgreifenden Installation der „Transportablen Heimat“. Die Elemente verdichten sich zum Symbol für den Heimatbegriff, der in unserem schnelllebigen mobilen Zeitalter Gefahr läuft, austauschbar zu werden.

Der Ausstellungskatalog „Gert Fabritius: Mythos Heimat – Heimat im Mythos“, Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm (DZM) in Zusammenarbeit mit dem Siebenbürgischen Museum Gundelsheim, ISBN 978-3-00-035055-9, mit einem Beitrag von Irmgard Sedler, kann im DZM erworben werden.

Artikel Werke von Gert Fabritius in Ulm ausgestellt

Schlagwörter: Ausstellung, Gert Fabritius, Ulm, Vortrag

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