18. April 2011

Ingrid Gündisch inszeniert Brechts „Hochmeister“ im Fürther Staatstheater

„Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“, ein Werk der „Sturm und Drang“-Epoche von einem ihrer markanten Vertreter, Jakob Michael Reinhold Lenz, 1774 verfasst und von Bertolt Brecht 1950 unter dem gekürzten Titel „Der Hofmeister“ neu für die Bühne bearbeitet, ist eine todernste Komödie mit anscheinend unabänderlichem aktuellem Gehalt: Lenz greift heftig die sozioökonomische Schieflage zwischen dem herrschenden Adel und dem untertänigen Bürgertum an, Brecht erweitert diesen Ansatz auf scheinbar ewige Strukturen der Ungleichheit, der Ungerechtigkeit, der differierenden Chancen zwischen Herrschenden und Beherrschten. Die Premierenvorstellung am 7. April im vollbesetzten Großen Haus des Stadttheaters Fürth bot eine von der siebenbürgischen Theaterregisseurin Ingrid Gündisch verantwortete Inszenierung mit Tiefgang.
„Zu allen Zeiten wird über Sinn und Formen des Lernens gestritten“, heißt es im Programm. „In „Der Hofmeister“ werden diese Diskussionen zur Zerreißprobe für die Protagonisten. Bertolt Brecht hat 1950 den beißenden Spott auf herablassende Herrschaft und unterwürfiges Bürgertum noch verschärft.“ Hermann Läuffer, armseliger, intelligenter Pfarrerssohn verdingt sich notgedrungen als Hauslehrer auf dem Gut des adligen Majors von Berg. Dieser nimmt ihn finanziell nach Strich und Faden aus. Dem vor Dummheit strotzenden Offizierssohn Leopold vermag der Lehrer nichts beizubringen, schwängert jedoch dessen Schwester Gustchen, die sich von ihrem in Halle studierenden Cousin Fritz verlassen fühlt. Sie flüchtet in den Wald, Läuffer wird vom eigenartigen Pädagogen Wenzeslaus versteckt, gerät in große Nöte, als er von Major von Berg angeschossen wird und zugleich seine Gefühle der Magd Luise gegenüber nicht unterdrücken kann. Verzweifelt entmannt er sich selbst. Dennoch nimmt das Stück ein gutes Ende: Gustchen, die junge Kindsmutter, wird von ihrem verzeihenden Vater aus dem Teich gerettet und von ihrem zurückkehrenden Vetter Fritz geheiratet. Sogar Läuffer kann geholfen werden: Magd Luise nimmt den Kastrierten zum Mann, was fast zu viel Happy End in diesem Stück darstellt.

Der berauschende Applaus zum Abschluss zeigte deutlich, dass das überragende Spiel der Akteure, die überzeugend dargestellten Inhalte, das geschickt durchdachte Bühnenbild, die Einbeziehung des Orchestergrabens, die Ausstattung, die prägnanten musikalischen Zwischentöne (Phil Glass), die klassischen Kostüme, das markante Spiel mit dem Licht, das Stück insgesamt beim Publikum angekommen ist.
Neuinszenierung von Ingrid Gündisch am ...
Neuinszenierung von Ingrid Gündisch am Stadttheater: der wutentbrannte Vater Major von Berg (Hartmut Volle) nach dem Schuss auf den flüchtigen Verführer seiner Tochter, Hofmeister Läuffer (Oliver Matthiae ) Foto: Thomas Langer/Stadttheater Fürth
Intendant Werner Müller hob bei der Premierenfeier hervor, das Stück habe uns „erstaunlich und erschreckend viel“ zu sagen, und gratulierte der erstmals am Stadttheater Fürth inszenierenden Ingrid Gündisch zu ihrer „konzentrierten und präzisen Regiearbeit“. Müller sprach auch von der „glücklichen und beglückenden Mischung im Team“, das gewohnt engagiert und erfolgreich agiert habe, und dankte namentlich jedem einzelnen für diesen „unterhaltsamen und lustvollen Premierenabend“.

Ingrid Gündisch betonte im Gespräch nach der Premiere das „hohe Spieltempo“, die wunderbare Arbeit mit dem „feinen Ensemble“ (Michaela Domes, Dagmar Geppert, Sebastian Hofmüller, Eva-Maria Kapser, Thomas Lackner, Oliver Matthiae, Wolfgang Mondon, Benjamin Ulbrich, Hartmut Volle, Frank Watzke) sowie die „idealen Arbeitsbedingungen in diesem Haus“. Zusammenfassend fügte sie hinzu: „Ich bin mit der Premiere des Hofmeisters sehr glücklich. Wir haben über sechs Wochen jeden Tag acht Stunden geprobt, und die Inszenierung ist eine starke Ensembleleistung geworden. Ich freue mich jetzt, die Inszenierung einem interessierten Publikum zu präsentieren und hoffe auf viele Besucher.“

Schon im Vorfeld hatte Ingrid Gündisch in einem Interview mit Matthias Heilmann klar geäußert: „Es ist für mich ein Glücksfall, dieses selten gespielte Werk im wunderschönen Fürther Theater zu inszenieren.“ Zum Aktualitätsgehalt des Brechtschen Stückes äußerte sie: „Wenn in der Erzie-hung gespart wird, rächt sich das Jahre später. Lehrer, die durch die Gesellschaft, durch äußere Zwänge und Nöte in die Rolle von Duckmäusern gedrängt werden, können auf Dauer nur Duckmäuser erziehen. Und wer will schon in einer Gesellschaft von Duckmäusern leben?

Ich finde es er-schreckend, dass Kinder aus „bildungsfernen“ oder finanziell schwachen Kreisen in unserer Gesellschaft weniger Chancen bekommen. Von Chancengleichheit sind wir weit entfernt.“ (Dies betrifft in besonderem Maße mehr und mehr Kinder mit Zuwanderungsgeschichte.) Schließlich klärt Gündisch auf: „Die Kastration steht in diesem Stück für die Verstümme-lung des Intellekts. Der Hofmeister hat keinerlei Möglich-keit, seine Sexualität auszuleben, da ihm kein Privatleben zugebilligt wird.“ Die Modellhaftigkeit der Geschehnisse wird auch im Bühnenbild und der „Farbdramaturgie“ der Inszenierung deutlich: Ingrid Gündisch hat mit ihrer Ausstatterin Angela Loewen die „adelige Welt in makellosem Weiß“ gehalten, die Studentenwelt im Gegensatz dazu „bunt und chaotisch“, die Welt der Dorfschule „spartanisch und schlicht“. Die Handlung schreitet linear voran, gelangt zu einzelnen Höhepunkten (etwa Beischlaf und Kastration) und muss dann für den tröstlichen Schluss Spannung aufbauen, was bestens gelingt. „Der Zeitenmix, den die Inszenierung wagt“, schreibt Monika Beer im „Fränkischen Tag“, „ist ästhetisch perfekt gelungen: Die abstrahierenden Bauten und die dezent historisierenden Kostüme oszillieren zwischen Sturm und Drang, Brecht-Bühne und der Gegenwart. Die rasante komödiantische Szenenfolge wird durch die Zwischenmusik von Phil Glass noch vorangetrieben. Und immer wieder wird mit Theaterzauber in seiner ursprünglichen Form gepunktet. (...) Dazu braucht es (...) eine so begabte Regisseurin wie Ingrid Gündisch, die ihre Darsteller mit Mut, Herz und Verstand führt.“

Das Stück spiegelt auch im Sinne Brechts unsere aktuellen Bildungsdebatten wider: „… verzweifelte, schlecht bezahlte Lehrer, Eltern, die ihre Kinder nicht verstehen, eine politische Öffentlichkeit, die sich ihre Ratlosigkeit in der Bildungsmisere nicht eingestehen kann“ (Theaterprogramm), Missbrauchsfälle in Schulen und Internaten, „dozierende Lehrer, gelangweilte Schüler, gleichgültige Eltern“ (Stern). „Verdummen unsere Kinder?“, fragten im FOCUS am 17. Januar Ulrike Plewina und B. Schindler. Und in seiner Berliner Rede 2006 analysierte Bundespräsident Köhler treffend: „Ein Kind aus einer Facharbeiterfamilie hat im Vergleich zu dem Kind eines Akademikerpaares nur ein Viertel der Chancen, aufs Gymnasium zu kommen. Die Ursachen dafür mögen vielschichtig sein; der Befund ist beschämend. Bildungschancen sind Lebenschancen. Sie dürfen nicht von der Herkunft abhängen. Darum werde ich immer auf der Seite derer sein, die leidenschaftlich eintreten für eine Gesellschaft, die offen und durchlässig ist und dem Ziel gerecht wird: Bildung für alle ...“ Letztlich hat auch Ingrid Gündischs Inszenierung in Fürth dies im Blick.

Horst Göbbel

Schlagwörter: Theater, Fürth, Gündisch

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Neueste Kommentare

  • 18.04.2011, 08:21 Uhr von Äschilos: Es war in der Tat ein wunderbarer Abend in dem altehrwürdigen (gekonnt renovierten) Stadttheater ... [weiter]

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