25. Februar 2011

Trutzige Kirchen und mächtige Türme, Teil 3

An schönen Wintertagen hat man oft nur zwei oder drei Stunden Zeit, um in einer siebenbürgischen Ortschaft Fotos zu machen. Am Morgen treibt kalter Nebel durch Täler und Höhen, und am Abend bedecken lange Schatten Kirchen und Burgen, die man im Visier hat. An einem Tag in der Weihnachtswoche versuchte ich, ein gutes Bild von der Kirchenburg in Agnetheln zu schießen, was aber nicht gelang. Zu wenig Licht auf der Nordseite, zu viele Bäume zwischen den Gebäuden, eine Menge Drähte und Kabel, die unregelmäßig die Burg umlaufen, abgestellte und kaputte Autos, die auf allen Seiten stehen und so weiter. Gegen vier Uhr verließ ich die Stadt am Harbach und machte mich auf den Heimweg ins Alttal.
In Mergeln, das in einem Seitental, am Altbach, liegt, hielt ich an. Aus dem Osten hatte sich der Mond an die Wehrtürme der Burg herangepirscht, gelb und rund wie eine rumänische Palukes, und guckte neugierig durch die schneebedeckten Linden-, Eichen- und Kastanienzweige. Den wollte ich über den Dächern der Kirchenburg fotografieren. Plötzlich rief eine dunkelhaarige junge Frau: „Jetzt werde ich von zwei Männern unter Druck gesetzt!“. Ich hatte meinen Fotoapparat auf sie und ihren jüngeren Partner gerichtet. Beide lachten auf, ließen voneinander aber nicht los. Im Hintergrund ragten die zwei Türme der Wehrkirche in den abendlichen Himmel.
Mergeln. Romanische Basilika und Glockenturm im ...
Mergeln. Romanische Basilika und Glockenturm im Westen wurden im 13. Jahrhundert errichtet, im 15. Jahrhundert zur Wehrkirche umgebaut. In dieser Zeit wurde der Ostturm, der ursprünglich auch einen Wehrgang besaß, über den Chor gesetzt. Die Ringmauer entstammt dem 16. Jahrhundert, von ihren vier Ecktürmen sind noch zwei vorhanden. Foto: Friedrich Schuster
Im Ersten Weltkrieg lernte eine 19-Jährige – Anna hieß sie – einen jungen Offizier aus Wien unter den gleichen Türmen und Bäumen kennen. Die zwei schrieben sich, auf ihre Briefe bekam sie eines Tages aber keine Antwort mehr. Der Dorflehrer, dem das Mädchen aufgefallen war, hatte die Post abfangen lassen. Das sollte Anna erst Jahre später erfahren. Als 70-jährige las sie in der Zeitung von einem musikwissenschaftlichen Buch, dessen Verfasser den gleichen Namen wie ihr Jugendbekannter trug. Sie schrieb an den Verlag und erhielt einen Brief vom Sohn des Autors. Ja, teilte der Anna mit, sein Vater habe von ihr erzählt und sich stets gefragt, warum sie ihm nicht mehr geantwortet hätte. Mittlerweile lebte er nicht mehr.

Ich begegnete der Frau 1982. Die Frage, wie sich ihr Schicksal wohl im gegenteiligen Fall gestaltet hätte, beschäftigte sie auf die alten Tage. Einen Blick auf die andere Seite der Kirchenburg hätte sie als junges Mädchen gerne gewagt, doch der war ihr verwehrt geblieben. An sie erinnerte ich mich, als ich zu meinem Wagen ging, um weiterzufahren. Doch da stand die vorhin angetroffene junge Frau. Ob ich sie mitnehmen würde, fragte sie unumwunden. Sie möchte in die weite Welt ziehen, wo das Glück liege. Das sagte sie und – ohne eine Antwort abzuwarten – ging sie weiter, die Straße abwärts.
Roseln. Gotische Saalkirche aus dem 15. ...
Roseln. Gotische Saalkirche aus dem 15. Jahrhundert, die 1509 zur Wehrkirche umgebaut wurde. Über dem Chor befindet sich ein Wehrgeschoss auf Strebepfeilern mit Stützbogen und Gussscharten. Der siebengeschossige Glockenturm kann nur aus der Kirche betreten werden. Ringmauer und Wehrtürme wurden im 19. Jh. abgetragen. Foto: Schuster
Von Mergeln und Roseln, in den Urkunden auch Mariental und Rosental genannt, bringen wir heute Fotos. Die erste Ortschaft wurde 1336 zum ersten Mal genannt, die zweite einige Jahre später, 1349. Mergeln zählte vor dem Zweiten Weltkrieg rund 800 Sachsen, Roseln 680. Bekannt über die Grenzen ihrer Ortschaft waren die Handwerker aus Mergeln; die großen Bauernhäuser der Ortschaft, oft quer zur Straße gebaut, zeugen von ihrem Ruf. Die evangelische Gemeinde (Kuratorin: Katharina Lautner) zählt heute 13 Sachsen, die vom Agnethler Pfarrer Reinhard Boltres betreut werden. Die Gottesdienste im Ort besuchen durchschnittlich fünf bis sechs Frauen und Männer.

Die Gemeinde Roseln, die in einem Nebental des Harbachs, am Graubach, liegt, zählt 18 evangelische Mitglieder (Kuratorin: Sophia Merlă). Pfarrer Boltres holt jene, die die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen in Agnetheln besuchen möchten, mit dem Wagen ab.

Die verwaiste Wehrkirche in Roseln hat einen Wetterhahn auf dem Dach. Vermutlich nach dem Agnethler Vorbild errichtet, auf deren Kirchendach gleichfalls ein siebenbürgischer Kokesch wacht. Sonst zieren Knöpfe und Wetterfahnen die Kirchendächer, im Burzenland auch Kreuze. Im Harbachtal und in der Schäßburger Gegend sitzen Wetterhähne auch auf Türmen, so in Neithausen und Trappold. In einigen Ortschaften sind die Dachaufsätze allerdings verrostet und heruntergefallen, die hohen Dächer sehen daher etwas kahl aus. Doch das fällt wahrscheinlich nur einem Fotografen auf.

Friedrich Schuster

Schlagwörter: Siebenbürgen, Fotografie, Kirchen, Kirchenburgen

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