12. Juli 2016

Münchener Team arbeitet an EU-Projekt in Martinsdorf und Mardisch

Angelas winziger Laden in Martinsdorf, gegenüber vom Gemeindesaal, kommt schon an gewöhnlichen Tagen als kleines Raumwunder daher, denn in dem Kellerraum wird alles feilgeboten, was ein Normalsterblicher zum Leben benötigt. Abgesehen von Lebensmitteln, gibt es in dem „Tante-Angela-Lädchen“ vom Waschmittel über Kirschplunder und Telefonkarten selbstverständlich auch Graphitpulver für den Herd, selbstklebende Fliegenfänger und Bier unterschiedlichster Sorten. Seit Anfang Mai sind die Tage in Martinsdorf jedoch keine gewöhnlichen mehr. Schließlich leben nun übergangsweise fast 60 Münchenerinnen und Münchener in dem malerischen Dorf im Kaltbachtal. Drei spannende Wochen lang arbeiten 48 Auszubildende aus sieben Gewerken gemeinsam mit ihren zehn Ausbildern im Rahmen eines EU-Projektes am Aus- und Umbau des Pfarrhofensembles in Martinsdorf sowie an der Kirchenburg in Mardisch.
Allabendlich zur Öffnungszeit, um 17.00 Uhr, bildet sich aus Angelas Laden eine lange Schlange bis auf die Dorfstraße hinaus. Strategisch perfekt in der Dorfmitte gelegen, nutzen viele Münchener Auszubildende die Möglichkeit, sich nach einem arbeitsreichen Tag auf der Baustelle, zum Feierabend eine kalte Cola oder eben auch ein kaltes Timișoreana-Bier zu genehmigen. Sie befinden sich in bester Gesellschaft mit den Einheimischen, denn auch diese genießen schon mal ein kühles Bier bei einer Zigarette. Die Kontakte sind aufgrund der Sprachbarrieren zuweilen lustig, da sich alle mit Händen und Füßen zu verständigen versuchen – mit ausbaufähigem Erfolg. Schön, dass Lachen international verstanden wird.

Zu den „Frischlingen“ im Projekt gehören heuer die Dachdecker und Spengler als auch die Anlagenmechaniker, die nun tatkräftig die Maler, Zimmerer, Maurer und Straßenbauer unterstützen. Dass sich die Anzahl der Gewerke seit 2014 derart gesteigert hat, ist ganz besonders dem ausgezeichneten Ruf des EU-Projektes zu verdanken, der in Bayern immer weiter Raum greift. Schließlich hat die überwältigende Mehrheit aller TeilnehmerInnen ihrem Umfeld in Deutschland ausgesprochen positiv von den Erlebnissen und Eindrücken in Siebenbürgen berichtet. Sieben Jahre nun, in denen das Interesse an, die Neugier auf und das Engagement für die beiden Orte im Kaltbachtal über die Stadtgrenzen Münchens und über die Landesgrenze Bayerns hinweg stetig gewachsen sind.
Wohlverdienter Kulturausflug am Wochenende: die ...
Wohlverdienter Kulturausflug am Wochenende: die ProjektteilnehmerInnen auf der Lügenbrücke in Hermannstadt. Foto: Elise Erndt-Doll
Gerade in diesem Jahr ist die Mischung aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer auffällig bunt. Grund genug, nach der Motivation für dieses Engagement zu fragen. Moni Schneider-Mild macht sich auf, bei Jung und Alt einige Stimmen einzufangen (Fotos von Moni Schneider-Mild).

Ria Giegold (20), Maler-Azubi, 2. Lehrjahr: „Ich war schon im Mai 2015 mit dabei. Damals wollte ich mal in ein fremdes Land – weiter weg von zu Hause, mal neue Leute, eine neue Landschaft kennenlernen.
Ria Giegold ...
Ria Giegold
Schön ist es für mich, zu sehen, was wir hier schon geschafft haben. Besonders begeistert mich die Gastfreundschaft der Menschen hier. Letztes Jahr schon hatte ich eine tolle Zeit mit den Leuten auf der Baustelle und im Ort. Wir haben viel gelacht und viel geschafft. Beim Abschied letztes Jahr hatte ich dann ein lachendes und ein weinendes Auge. Zurück in Deutschland, habe ich mit viel Euphorie von meinem Aufenthalt in Rumänien erzählt und ich habe nur positive Rückmeldungen bekommen. Auf jeden Fall lernt man hier zu schätzen, welchen Luxus man in Deutschland hat. Naja, aber man gewöhnt sich ja auch an das Plumsklo. Weil es im letzten Jahr so schön war, wollte ich auch in diesem Jahr wieder mitkommen. Ich wusste, dass ich hier wieder gut aufgenommen werde, auch von den Dorfbewohnern. Es war klar, dass ich wieder neue Leute kennenlerne, das fand ich spannend. Und natürlich ist es toll, den Fortschritt, also den Vergleich vorher und nachher, zu sehen, dabei mitzuhelfen und Teil des Projekts zu sein. Wenn mein Chef mitspielt, möchte ich gerne auch im nächsten Jahr wiederkommen.“

Gerhard Jehl (76), Malermeister und Kirchenmaler, Fachlehrer an der Meisterschule: „Ich bin seit 2014 in Mardisch und Martinsdorf, also schon das dritte Jahr mit dabei. Einer der Beweggründe ist für mich, dass ich mit interessierten Lehrlingen arbeiten kann.
Gerhard Jehl ...
Gerhard Jehl
Hier kann ich ihnen historische Techniken vermitteln in einer Umgebung, die diese besonderen Techniken erfordert. Natürlich macht es mir Freude, mein Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben. Besonders gefreut hat mich, dass unsere Arbeiten im Gemeindesaal, dem grünen Saal, hier in Martinsdorf von den Ortsbewohnern angenommen worden sind. Für mich ist es berührend und beeindruckend, wie herzlich wir jedes Jahr aufs Neue in Martinsdorf aufgenommen werden. Ein besonderes Lob und ein großes Dankeschön für die hervorragende Zubereitung der Speisen gilt den Damen in der Küche: Amalia, Milli, Marcella und Monica! Der Ausflug zu Pfingsten in die schöne Landschaft der Karpaten und zu den Kirchenburgen ist für mich jedes Jahr ein Höhepunkt. Wenn meine Gesundheit und die Umstände es erlauben, werde ich 2017 gerne wieder mitfahren.“

Marvin Salmen (22), Zimmerer-Azubi, 2. Lehrjahr: „Mein Opa stammt aus Hamlesch und ist Siebenbürger Sachse. Ich bin mit dabei, weil zwei Personen abgesprungen sind und ein Platz frei war.
Marvin Salmen ...
Marvin Salmen
Ich habe mir extra zwei Wochen Urlaub genommen, um an dem Projekt teilzunehmen. Eigentlich wollte ich schon ewig mal ‚runterkommen‘ und Siebenbürgen besuchen. Jetzt war die Gelegenheit, dieses Vorhaben zu realisieren. Es ist mir sehr wichtig, mir Siebenbürgen anzuschauen – sozusagen zurück zu den Wurzeln. Es ist interessant, dass alles so ausschaut, wie auf den Fotos von meinen Großeltern. Das Leben auf dem Land ist hier noch auf einem alten Stand. Man kann sehen, wie die Leute vor 70 Jahren gelebt haben. Mir gefällt die Architektur der Dorfanlagen und der Kirchenburgen sehr. Hier lernt man zu schätzen, in welchem Wohlstand wir in Deutschland leben. Auf jeden Fall möchte ich mit meinem Vater und meinem Onkel einmal nach Hamlesch fahren und das alte Haus vom Opa besichtigen.“

Fritz Roth (60), IT-Fachmann in einer bayerischen Stadtverwaltung, Vorsitzender der HOG Mardisch: „Als ‚Mann der ersten Stunde‘ beim Münchener EU-Projekt in Mardisch und Martinsdorf bin ich somit seit 2010 dabei. Meine Funktion im Projekt ist auf Siebenbürgisch: Mēdchen fiur alles. Meisterschüler aus München leisteten vier Jahre lang beispielhafte Restaurierungsarbeit an der Kirchenburg in Mardisch, so dass die Mardischer Kirche heute wieder eine Zukunft hat, wenn auch das Projekt noch nicht zur Gänze abgeschlossen ist. Die Rettungsmaßnahmen wurden inzwischen auf das Pfarrhaus in Martinsdorf ausgeweitet, wo wir all die Jahre immer wieder gewohnt haben. Dadurch habe ich gelernt, dass wir unseren Blick nicht nur eng auf das eine oder andere Dorf richten dürfen, sondern immer Siebenbürgen als Ganzes betrachten müssen.
Fritz Roth ...
Fritz Roth
Der besondere Wert der siebenbürgischen Kirchenburgen liegt doch vor allem auch in ihrer großen Anzahl, so dass der Besucher nach wenigen Wegkilometern immer wieder in der Ferne vom Dreigestirn ‚Kirchenburg, Schule und Pfarr­haus‘, weich und fast unauffällig in die Landschaft gebettet, begrüßt wird. Dieses Jahr habe ich dreieinhalb Wochen Urlaub genommen, um das EU-Projekt jetzt im Mai zu begleiten. Die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen, mit ihren Lehrern macht in diesem Umfeld einfach Spaß, sie eröffnet ein umfassendes Bild auf die südsiebenbürgische Landschaft. Seit 2010 haben schon ca. 200 bayerische Meisterschüler und Lehrlinge diese Landschaft für sich entdeckt. Sie werden in Zukunft Multiplikatoren sein, die auch in ihren Freunden und Bekannten die Neugier auf Siebenbürgen wecken werden. Das entstandene Vertrauensverhältnis hilft uns nun, immer neue Ideen und Visionen zu entwickeln. Dafür sind wir sehr dankbar. Für mich persönlich ist meine Aufgabe im Projekt ein willkommener Ausgleich für die tägliche Arbeit.“

Hilda Hromadka (44), Leitung der Geschäftsstelle Dachdeckerinnung München-Oberbayern: „Der Projektleiter Michael Doll hat mir dieses Projekt in leuchtenden Farben beschrieben und mir mit viel Enthusiasmus und Herzblut davon berichtet. Das hat mich sofort mitgenommen! Die Termine für das Sondierungsgespräch wurden meinetwegen zweimal verlegt, so dass ich doch noch teilnehmen konnte. Das hat mir gezeigt, wie wichtig es für die Projektleitung war, die Dachdeckerinnung mit ins Boot zu holen.
Hilda Hromadka ...
Hilda Hromadka
So kommt es nun, dass die Dachdeckerzunft 2016 erstmals im Projekt vertreten ist! Ich selbst wirke in meiner Innung als Multiplikatorin, um Ausbildungsbetriebe von der Teilnahme am Projekt zu überzeugen. Einzelpersonen aus den unterschiedlichen Innungen, die bereits mit dem Projekt in Verbindung gekommen sind, begeistern von jeher andere für die Teilnahme an diesem Vorhaben. Mir sind dabei insbesondere drei Aspekte wichtig: Zum einen nehmen die Auszubildenden bewusst spartanische Verhältnisse in Kauf, um das Kulturgut in Siebenbürgen zu erhalten. Die jungen Menschen entscheiden sich bewusst für die Teilnahme und sind sehr neugierig auf das neue Umfeld. Zum anderen erhöht die Möglichkeit, gewerkübergreifend tätig zu werden, die Wertschätzung für das andere Gewerk und baut Vorurteile ab. Man lernt sich im Team intensiver kennen. Schließlich ist mir auch wichtig, dass bei den Auszubildenden das Bewusstsein für den maßvollen und verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen wie z.B. Wasser geschärft wird. Ich werde den Mitgliedern in unserer Innungsversammlung von meinen Erfahrungen hier vor Ort berichten und ihnen dieses Konzept näher bringen. Auch möchte ich mich unbedingt dafür einsetzen, dass Handwerksbetriebe aus der Dachdeckerzunft hier auch zukünftig teilnehmen, denn es ist eine Riesenchance für unsere Azubis, bei diesem außergewöhnlichen Projekt mitzumachen.“

Hannes Eckmeier (24), Maschinenbaustudent, und Florian Weigl (24), Lkw-Mechatroniker: „Wir beide kennen uns von Kindesbeinen an und sind beste Freunde. Unsere Geburtstage liegen nur einen Tag auseinander. Eigentlich wollten wir zusammen in Siebenbürgen Urlaub machen und nur kurz in Martinsdorf vorbeigekommen, um Freunden aus München ‚Hallo‘ zu sagen. Nun sind wir einfach hier geblieben und machen uns nützlich, wo wir können, manchmal mit Fahrdiensten zu irgendwelchen Baumärkten, meistens aber dokumentieren wir das Projekt mit Fotos und kurzen Filmen.
Hannes Eckmeier und Florian Weigl ...
Hannes Eckmeier und Florian Weigl
Hier in Martinsdorf ist es einfach entschleunigend. Man lernt nicht nur neue Leute kennen, sondern lernt auch altbekannte Leute noch einmal ganz anders kennen. Spartanische Verhältnisse machen uns nichts aus. Für uns ist sowieso das Menschliche das Wichtigste!“

Sophia Hromadka (12), Schülerin am Maria-Ward-Gymnasium in München: „Ich habe gerade Pfingstferien. Auf die Reise habe ich mich sehr gefreut, aber ich hatte mir vorher auch Gedanken wegen der Plumsklos gemacht. Inzwischen finde ich es schön hier und die Plumsklos sind auch in Ordnung.
Sophia Hromadka ...
Sophia Hromadka
Ich habe schon bei den Maurern und Malern mitgeholfen und möchte auch mal bei den Zimmerern rein­ schnuppern. Allerdings weiß ich schon, dass ich mal Notarin werden möchte. Besonders schön finde ich es, dass ich hier in Martinsdorf in der Natur bin und hier so wenig Autos fahren. Es riecht nicht nach Abgasen! Die Katzenbabys und Küken bei Emilia, bei der ich im Moment mit meiner Mutter wohne, finde ich toll. Auf dem Hof gibt es sogar einen Erpel, der mich immer krächzend begeistert begrüßt.“

Michael Doll (65), Leiter des Berufsbildungszentrums für Farbtechnik und Raumgestaltung in München, Projektleiter: „2014 habe ich die Projektleitung von meinem Vorgänger Hans Gröbmayer übernommen. Die Beweggründe für mein Engagement sind mit der originären Aufgabe verbunden, geplant und systematisch auszubilden, was im Handwerk nur noch teilweise möglich ist. Ausbildung ‚live‘ in Situationen, die immer wieder neue Herausforderungen für alle Beteiligten darstellen und die ganzheitlich gelöst werden müssen, sind ein ideales Lernangebot für unsere Auszubildenden.
Michael Doll ...
Michael Doll
Dazu kommt, dass wir uns im denkmalgeschützten Bereich befinden und diese Besonderheit auch ganz besondere Vorgehensweisen bei der Ausführung der Arbeiten an diesen Objekten voraussetzt. Eine weitere wesentliche Überlegung ist die gewerkübergreifende Ausbildung mit verschiedenen Berufsgruppen. Hier antizipieren wir eine spätere Situation im Handwerk auf realen Baustellen. Die berufliche Zukunft wird hier gelernt und gelebt und jeder ist aufgefordert, dem anderen über die Schulter zu schauen, und sein Lernspektrum möglichst breit anzulegen. Hinzu kommt der Bereich des sozialen Lernens. Die Gemeinschaft fordert von jedem Einzelnen eine hohe Bereitschaft für Toleranz, Kooperationsbereitschaft und Improvisationsfähigkeit ab. Das geht nicht ohne Konflikte ab, aber hier kann man besonders gut lernen, damit umzugehen und nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Wir wollen uns hier noch lange engagieren und mit unserer handwerklichen Unterstützung eine Basis bereiten, die für die Kirche als Eigentümerin, aber auch für die örtliche Bevölkerung vielleicht ein Zukunftsmodell sein kann, wieder mehr als bisher am aktiven Leben teilzunehmen und in eine wirtschaftlich bessere Zukunft zu gehen. Ein so schönes Land darf nicht dem Verfall hingegeben werden. Mit der Aktivität kehrt das Leben in die Dörfer zurück. Irgendwann werden wir nur noch kommen, um Urlaub zu machen. Und vielleicht denken wir dann an unsere Arbeit zurück.“

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Schlagwörter: EU, Projekt, Martinsdorf, Mardisch, München, Handwerk

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