16. Dezember 2007

Klangspuren unserer Herkunft

In Siebenbürgen sind in den Jahren 1966 bis 1975 Tonbandaufnahmen entstanden, die siebenbürgisch-sächsische Mundarten aus über 140 Ortschaften dokumentieren. Die Sprecher unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Berufes erzählen in freier Rede von Sitten und Bräuchen, der Arbeit auf Feld und Hof, schildern Ereignisse aus ihrem Dorf oder Begebenheiten aus ihrem Leben, verraten Koch- und Backrezepte. Das vom Linguistikinstitut Bukarest getragene Projekt führten seinerzeit die Germanistin Ruth Kisch (1994 verstorben) und Heinrich Mantsch gemeinsam durch. Inzwischen sind die Tonbandaufnahmen im Auftrag des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim digitalisiert und konserviert worden. Der 1931 in Meschen geborene, heute in Düsseldorf lebende Germanist Heinrich Mantsch erläutert im Gespräch mit Gunther Krauss den Entstehungshintergrund dieser Mundartaufnahmen, die beides sind: „unmittelbarer Beleg für unsere Sprache“ und wertvolle Klangspuren, die zurückverweisen auf die Herkunft der Siebenbürger Sachsen.
Herr Mantsch, Sie haben zusammen mit Frau Kisch ab 1966 in über 140 Ortschaften Tonaufnahmen der deutschen Mundarten in Siebenbürgen gemacht. Wie kam es dazu und welches war Ihre Zielsetzung?

Als wir unsere Tätigkeit in der neu eingerichteten Sektion für Germanistik am Linguistikinstitut in Bukarest aufnahmen, haben wir Überlegungen angestellt, welche Aufgaben wichtig wären. Wir entschlossen uns, phonologische und grammatische Untersuchungen des siebenbürgisch-sächsischen Dialekts vorzunehmen und hierfür entsprechendes Material zu sammeln. Ende der fünfziger Jahre wurden in Deutschland Aufnahmen von Mundarten der Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gemacht, um diese festzuhalten. Wir orientierten uns daran und beschlossen, Texte in freier Rede auf Tonband aufzunehmen. Neben dem Siebenbürgisch-Sächsischen wollten wir auch die anderen deutschen Mundarten in Rumänien dokumentieren. Es sollten aber nicht nur linguistische Untersuchungen gemacht werden, uns ging es auch darum, die Alltagssprache und das Alltagsleben zu dokumentieren und die Vielfalt der Ortsmundarten - in fast jedem Dorf spricht man einen eigenen Dialekt - festzuhalten.

Heinrich Mantsch (Foto: G. Krauss) ...
Heinrich Mantsch (Foto: G. Krauss)
War ein Grund dafür, dass sich die Dialekte in absehbarer Zeit stärker verändern würden?

Ende der sechziger Jahre arbeiteten schon viele in Dörfern lebende Siebenbürger Sachsen in den Städten und kamen dort in Berührung mit Sprechern zahlreicher anderer Ortsmundarten oder anderer Sprachen. Dies konnte mit der Zeit auf die angestammte Mundarten abfärben, und deshalb war es auch wichtig, diese verschiedenen Mundarten möglichst im Original festzuhalten.

Wie sind Sie bei der Durchführung dieser Aufnahmen vorgegangen?

Zunächst planten wir, nur punktuell Aufnahmen zu machen, setzten uns aber später zum Ziel, möglichst alle Ortschaften einzubeziehen. Wir sind zunächst nach Nordsiebenbürgen gefahren - das erste Mal noch gemeinsam mit den Bearbeiterinnenn des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs aus Hermannstadt, Anneliese Thudt und Gisela Richter(†). In Nordsiebenbürgen war die Aufgabe am dringlichsten, da nicht nur wenige Sachsen nach der Flucht wieder zurückgekommen waren, sondern auch die meisten von Ihnen wieder nach Österreich oder Deutschland zu ihren Familien ausreisen wollten. Wir waren meist mehrere Tage unterwegs und sind von Ort zu Ort gezogen. In Nordsiebenbürgen konnten wir leider nicht mehr in allen Gemeinden siebenbürgisch-sächsisch Sprachträger finden, in Südsiebenbürgen sah das viel besser aus. Wir haben uns mit dem Begleitschreiben der Akademie bei den Behörden gemeldet und sind dann gewöhnlich zu den Pfarrämtern oder Schulen gegangen, um nach geeigneten Sprechern zu fragen. Häufig haben wir dann die Aufnahmen bei den Gewährspersonen zu Hause gemacht, manchmal auch in den Schulen, ganz selten im Rathaus.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Sprecher ausgewählt?

Nun, sie sollten ortsansässig sein, in echter Ortsmundart gut erzählen können und womöglich sollten schon frühere Generationen im Ort gelebt haben. Sie wurden uns meist vom Pfarrer oder Lehrer empfohlen, aber nicht immer waren diese Personen dann auch für mündliche Aufnahmen geeignet. Den einen oder anderen mussten wir auch wieder nach Hause schicken.

War es manchmal schwierig, die Leute zum Erzählen zu bringen? Wie haben Sie es geschafft, ihnen das Lampenfieber zu nehmen?

Die meisten sind anfangs, wenn sie vor dem Mikrophon sitzen, etwas gehemmt. Im Laufe des Gesprächs vergessen sie dann das Mikrophon - da hilft es oft, wenn man Zwischenfragen stellt - und erzählen dann flott. Aber das gelingt nicht immer. Wenn man Beschreibungen von alltäglichen Tätigkeiten aufnehmen wollte, musste man gelegentlich auch konkret nachfragen, zum Beispiel, wenn man wissen wollte, welche Zutaten in einen Kuchen gehören und die knappe Antwort: „Na das weiß man ja, allerhand“ erhielt, musste man nochmals nachfragen.

Sprachen die Leute bereitwillig und offen auch über heikle politische Themen, oder waren sie eher vorsichtig?

Wir haben Fragen, die ins Politische gingen, nicht aufgenommen. Die Leute sprachen offen mit uns. Viele hatten ja nach 1945 Schreckliches erlebt und sprachen darüber, aber dann hieß es: „Dat nien Se nea net af.“ (Das nehmen Sie jetzt nicht auf.). Einige besondere Vorkommnisse sind zwar ab und zu mal durchgerutscht, aber wenn es brenzlig wurde, haben wir nicht aufgezeichnet. Es hat sich allerdings keiner von höherer Stelle dafür interessiert, was auf den Tonbändern gespeichert war.

Sie haben ja sehr viele Ortschaften besucht und mit vielen Leuten gesprochen. Wie war so die Stimmung unter den Siebenbürger Sachsen in der Zeit.

Die war in den verschiedenen Ortschaften natürlich unterschiedlich, in Südsiebenbürgen meist besser als in Nordsiebenbürgen. Ich kann mich erinnern, dass beispielsweise in Bulkesch oder Schönau 1971/72 eine positive Stimmung herrschte. Viele waren noch im Weinberg tätig, auch der Verdienst stimmte. Zwei, drei Jahre später waren wir nochmals da. Da war die Stimmung gedrückter. Viele hatten die Kollektivwirtschaft verlassen, da dort durch Gesetzesänderungen bedingt die Verdienstmöglichkeiten schlechter geworden waren. Ab den sechziger Jahren ging es ja den Sachsen langsam wieder besser, so dass Anfang der Siebziger in einigen Ortschaften eine relative Zufriedenheit herrschte.

Es gab doch bestimmt auch manche lustige oder anekdotenhafte Begebenheit?

Gewiss. Als wir in Nordsiebenbürgen unterwegs waren und die Leute erfuhren, dass wir aus Bukarest kamen, fragten manche, ob wir ihnen nicht die Pässe mitgebracht hätten. Einmal hatten wir eine Frau vor uns sitzen, die gut erzählen konnte, aber sobald die Aufnahme lief, kriegte sie kaum ein Wort heraus. Wir haben dann so getan, als hätten wir das Aufnahmegerät ausgeschaltet und sie hat dann wieder zwanglos erzählt. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ein Mädchen ein Märchen von den Brüdern Grimm erzählte und am Schluss sagte: „Ja, dann haben sie Hochzeit gefeiert im Kamin und alle waren froh.“ („cămin cultural“ ist die rumänische Bezeichnung für den Gemeindesaal).

Sie haben nicht nur punktuell, sondern fast flächendeckend aufgenommen. Von einigen Ortschaften konnten Sie jedoch keine Aufnahmen mehr machen. Weshalb wurde das Projekt nicht zu Ende geführt?

Die Sektion für Germanistik am Institut für Linguistik wurde 1975 aufgelöst. Das Institut war dem Unterrichtsministerium angegliedert worden. Die wollten das Projekt nicht mehr fördern. Wir haben dann am zweisprachigen Wörterbuch gearbeitet, und hatten keine Zeit mehr für die Sprachaufnahmen.

Sie konnten die Aufnahmen also auch nicht weiter auswerten.

Nein, wir konnten die Aufnahmen auch nicht mehr transkribieren. Die Transkriptionen wären für die weitere Forschung nötig gewesen. Mich interessierte damals die Grammatik, vor allem das Normverhalten der Mundartsprecher in den verschiedenen Ortschaften.

Können Sie das näher erläutern?

Da gibt es beispielsweise Unterschiede in der Verwendung der Artikel „der Bach“ / „de Bach“, „der Bus“ / „det Bus“. Und es gibt die Unterschiede nicht nur zwischen den Ortschaften, sondern auch zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Ortschaft, z. B. zwischen den Generationen. Es gibt leider wenige grammatische Beschreibungen des Siebenbürgisch-Sächsischen. Man könnte aus den Aufnahmen viele interessante Dinge herausschälen, wie Satzbau, Einleitewörter für Nebensätze oder Unterschiede in der Wortstellung, z. B. die Negation an den Satzanfang zu stellen: „Nicht dass du zu spät kommst“.

Die Negation am Anfang, ist das ein neueres Phänomen, das erst durch den Einfluss der rumänischen Sprache aufgetaucht ist?

Das ist nicht so einfach zu beantworten, aber der Einfluss aus dem Rumänischen hat dies bestimmt verstärkt. Der Einfluss der rumänischen Sprache wurde vor allem dann deutlich, wenn jüngere Leute, z. B. Techniker oder Schweißer, von ihrem Beruf erzählten. Die gerieten dann häufig ins Stocken, wenn ihnen die sächsischen (deutschen) Fachbegriffe fehlten. Sie hatten diese in der Berufsschule oder in der Arbeit auf Rumänisch gelernt. Oder wenn sich Leute über Sport unterhielten, dann war der Einfluss der rumänischen Sprache recht groß. Sprach man hingegen über die Nachbarschaften oder erzählte von Hochzeiten, dann stand der sächsische Wortschatz dem Sprecher durchgehend zur Verfügung. Der Einfluss des Hochdeutschen war natürlich auch groß. Jeder Dialekt braucht „Nahrung“ aus der Hochsprache - vor allem, wenn man über abstraktere Dinge spricht. So wird erzählt, dass sich einst die beiden Sprachwissenschaftler Schullerus und Kisch in Hermannstadt getroffen hätten und sich über ihr Fachgebiet auf Sächsisch unterhalten hätten. Sächsisch waren aber fast nur die Verbindungswörter, die Begriffswörter waren aus dem Hochdeutschen.

Wie ging es dann mit den Sprachaufnahmen weiter?

Nach meiner Ausreise 1979 habe ich mich kaum noch damit beschäftigen können, von wenigen Tagungsberichten abgesehen. Frau Kisch hat von 1990 bis zu ihrem Tod 1994 im Rahmen ihrer aus Gesundheitsgründen beschränkten Möglichkeiten wieder daran gearbeitet. Soweit ich weiß, wurden aber keine Ergebnisse publiziert. Vielleicht geht es ja jetzt damit weiter.

Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Aufgaben zur Sicherung und wissenschaftlichen Erforschung der siebenbürgisch-sächsischen Dialekte?

Am wichtigsten wäre der Abschluss des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs. Nächstes Jahr, also 2008, sind es 100 Jahre seit dem Erscheinen der ersten Lieferung, die Vorarbeiten hatten schon vierzig Jahre vorher begonnen. Mittlerweile ist der Buchstabe R erschienen. Ob das Wörterbuch abgeschlossen werden kann, ist ungewiss, da zur Zeit nur zwei Mitarbeiterinnen daran arbeiten. Das Wörterbuch ist aktuell das konkreteste und wichtigste Projekt. In fünfzig Jahren wird meiner Meinung nach wahrscheinlich kaum noch Siebenbürgisch-Sächsisch gesprochen werden. Zwar gibt es noch Familien, die mit den Kindern Sächsisch sprechen, aber meistens möchten die Kinder das nicht mehr. Daher ist die Bewahrung und das Publik-Machen dieser Aufnahmen sehr wichtig, da sie ein unmittelbarer Beleg sind für unsere Muttersprache.

...die die Siebenbürger Sachsen ganz besonders charakterisiert.

Eben. Die Sprache ist ein wichtiges, manche sagen das wichtigste Merkmal für ein Volk, für einen Volksstamm, für eine Gruppe, für ein Dorf. Für die Siebenbürger Sachsen ist der Dialekt ein Hauptmerkmal ihrer Identität. Dieser alte, mittelalterliche Dialekt, der in seiner Struktur ins rhein-moselfränkische Gebiet fällt und der sich sehr gut erhalten hat, ist ein Beleg nicht nur für die Herkunft, sonder auch für die Herausbildung der eigenen Stammesprache der Siebenbürger Sachsen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Aufnahme von H. Mantsch

Schlagwörter: Kultur, Linguistik, Sprachaufnahmen

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