31. März 2007

Die bemerkenswerte Frucht eines Musikerlebens: Helmut Plattner wird 80

Helmut Plattner, der am heutigen 31. März seinen 80. Geburtstag feiert, gehört jener Generation siebenbürgischer Musiker an, die in ihrer Kindheit und frühen Jugend noch das siebenbürgisch-sächsische Musikleben kennen gelernt haben, die in dieses hineinwuchsen, von ihm getragen wurden und ihre erste musikalische Ausbildung in seinem Rahmen erfuhren. Dieser Generation blieb es dann aber nach dem Zweiten Weltkrieg im kommunistischen Rumänien verwehrt, zum Studium ins westliche Ausland zu gehen, wie es bis dahin fast alle angehenden Musiker Siebenbürgens getan hatten.
Doch Plattners Musikergeneration gelang es, sich nach dem Musikstudium in Bukarest oder Klausenburg in das nach Zwangsauflösung, Verbot oder Neuorganisation der siebenbürgisch-deutschen Klangkörper und musikalischen Einrichtungen einsetzende, vom Staat in einigen Bereichen großzügig geförderte „sozialistisch“ rumänische Musikleben einzubringen und sich – zum Teil und zunächst – erfolgreich zu etablieren. In zahlreichen Fällen aber wurden dann Berufsausübung und künstlerische Aktivitäten zunehmend erschwert und eingeengt, es setzten politisch motivierte Drangsalierungen und Verfolgungen bis hin zu Inhaftierungen ein, so dass sich die meisten – in fortgeschrittenem Alter – gezwungen sahen, das Risiko der beschwerlichen Aussiedlung oder gar der gefährlichen Flucht einzugehen und sich in der Bundesrepublik Deutschland niederzulassen. Ein Leben und Wirken in Freiheit schloss sich hier an und trug bemerkenswerte Frucht. So gesehen, stellen sich Bildungsgang, Lebensweg und künstlerisches Wirken Plattners als typisch dar.

Der Jubilar: Helmut Plattner
Der Jubilar: Helmut Plattner
Helmut Friedrich Plattner wurde als Sohn des Rechtsanwalts Dr. Fritz Plattner und der aus Lechnitz im Nösnerland (Nordsiebenbürgen) stammenden Melitta, geb. Fabritius, 1927 in Hermannstadt geboren. Unter den Vorfahren treffen wir so bedeutende Namen wie Michael Freiherr von Melas, Friedrich Müller und Johann Plattner. Die Eltern förderten von Anfang an die musikalische Erziehung Helmuts, insbesondere nachdem sein Talent mit dazugehörigem absolutem Gehör und einem verblüffenden musikalischen Gedächtnis von einer Tante, der Klavierlehrerin Elsa Reschner, bestätigt worden war. Mit zwölf Jahren begann er den Unterricht in Orgel, Musiktheorie, Harmonielehre und Kontrapunkt beim Hermannstädter Organisten, Kantor, Dirigenten und Komponisten Franz Xaver Dressler (einem Karl-Straube-Schüler), mit vierzehn kam das Cellospiel bei Richard Weißkircher hinzu. Der Achtjährige trat in größerem Rahmen in einem Wohltätigkeitskonzert im Gewerbevereinssaal in Hermannstadt mit einer Klaviersonate von Mozart vor die Öffentlichkeit.

Seit seinem zehnten Lebensjahr war er Chorknabe in Dresslers Brukenthal-Chor, seit 1941 dort Chorpräfekt, als welchem ihm Proben und bestimmte Dirigate übertragen wurden. Seit 1940 ließ ihn Dressler in seinen Aufführungen der Oratorien und Passionen von Bach und von Händel den Orgelpart spielen. In Sendungen des Bukarester Rundfunks spielte er 1943 live Klavierwerke von Bach, Beethoven und Liszt, 1944 Orgelstücke von Frescobaldi und Bach und wieder Beethoven (Sonata appassionata). Die Konzerte, die Willi Hülser und Wilhelm Kempff in Hermannstadt und Bukarest gaben, beeindruckten den jungen Plattner ganz besonders. Letzterem durfte er auch vorspielen. Das Abitur legte er 1945 ab. Vorher schon war ein Studium an der Hochschule für Musik in Berlin geplant, das er aber aus den bekannten Gründen nicht antreten konnte.

So war Plattner also gewissermaßen genötigt, in Bukarest zu studieren, und zwar Klavier, denn das angestrebte Orgelfach gab es damals an den rumänischen Musikhochschulen noch nicht, geschweige denn das Fach Kirchenmusik. So begann er 1946 sein Studium im Hauptfach Klavier, fand aber in Florica Muzicescu und Silvia Șerbescu Hochschullehrerinnen und Künstlerpersönlichkeiten von hohen Graden und internationalem Rang. Orgel lernte Plattner weiter bei Dressler in Hermannstadt und gelegentlich bei Jiri Reinberger in Prag. Er beendete das Studium mit Staatsexamen 1953. Die Möglichkeit, eine Konzertprüfung im Fach Orgel abzulegen, ergab sich 1955. 1966 war es soweit, die Staatsprüfung in Orgel zu machen. Und zur Staatlichen A-Prüfung für Kirchenmusiker kam es erst 1977 in Düsseldorf nach seiner Aussiedlung.

Plattners erste entscheidende öffentliche Auftritte als „fertiger“ Künstler fanden im Januar und April 1954 im zentralen hauptstädtischen Konzertsaal, dem Rumänischen Athenäum, statt. Damit leitete er gleichzeitig in Fortsetzung und Verstärkung der konzertierenden Tätigkeiten von Franz Xaver Dressler und Kurt Mild, gefolgt von zwei weiteren Schülern des Hermannstädter Organisten, Horst Gehann und Joseph Gerstenengst, eine Pflege der Orgelmusik in Rumänien ein, in deren Verlauf sich sowohl unter den Rumäniendeutschen als auch besonders unter den Rumänen ein zahlreiches, begeistertes, treues Orgelpublikum bildete. Die zwei großen Konzertsäle Bukarests, das Athenäum und der Studiosaal des Rundfunkhauses, verfügten zwar über je eine große Orgel – im Athenäum steht eine Walcker-Orgel von 1939 und der Rundfunk ließ 1960 von der Firma Rieger die größte Konzertorgel des Landes bauen – doch Orgelspiel und Orgelmusik selbst hatten, vor allem in Bukarest, großen Nachholbedarf. So wurden die Orgelabende ungewöhnlich lebhaft besucht, die Säle waren zum Brechen voll, der Beifall war enorm. Die Orgelkonzerte in den Kirchen Siebenbürgens (die hervorragende, z.T. historische Instrumente besaßen), zunächst vom politischen Regime mehr oder weniger geduldet, entwickelten sich zu einem festen Bestandteil des Musiklebens. All das ist in mehrfacher Hinsicht ein Verdienst Plattners.

Nach seinem Debüt im Athenäum erhielt Plattner eine Anstellung als Pianist und Organist an der Bukarester Staatsphilharmonie. Gleichzeitig (1954) stellte ihn die dortige Musikhochschule als erste Lehrkraft für Orgel ein, zuerst als so genannten Assistenten, dann als Lektor. Mit Schwierigkeiten belastet war seine Tätigkeit als Kantor und Organist an der evangelischen Kirche – sie hieß im Volksmund auch „deutsche Kirche“ – in Bukarest: Staatlich angestellte Musiker durften nicht auch in kirchlichen Diensten stehen, so dass Plattner diese Arbeit, mit allen Risiken behaftet, inoffiziell und mit Unterbrechungen und Behinderungen ausübte. Erst von 1965 an, als das politische Klima etwas milder wurde, konnte er an dieser Kirche einer geregelten Tätigkeit nachgehen. 1958 erspielte sich Plattner den 2. Preis beim renommierten Internationalen Orgelwettbewerb in Prag. Er gab dann nicht nur ungezählte Orgelrecitals in Siebenbürgen und Rumänien, Konzertreisen führten ihn auch in die Länder des so genannten Ostblocks. Mit großer Mühe und unter Zwängen gelang es ihm, 1966 eine kleine Konzerttournee nach Otterberg und Düsseldorf zu erwirken.

Schon gleich nach Plattners Aussiedlung 1973 nahm ihn die Neue Pauluskirche in Essen als Organist und Kantor unter Vertrag. Hier leitete er den Heinrich-Schütz-Chor und mit ihm auch Oratorienaufführungen. Die Essener Gesamthochschule übertrug ihm ein Unterrichtsdeputat. Gleichzeitig begann Plattners Konzertätigkeit als gastierender Organist in Deutschland und Westeuropa. 1976 berief ihn Bayreuth als Bezirkskantor und Organisten an die Stadtkirche. Daneben wirkte er an der Bayreuther Fachakademie für Evangelische Kirchenmusik (Landeskirchenmusikschule für Bayern) als Dozent für künstlerisches und liturgisches Orgelspiel. Als Leiter des während der Bayreuther Festspiele stattfindenden Orgelzyklus’ und des von ihm 1979 gegründeten Bayreuther Orgelmonats (im September, Oktober oder November) bestritt er eigene Konzerte, verpflichtete aber auch zahlreiche deutsche und ausländische Organisten. 1980 gründete Plattner den Bayreuther Kantatenkreis (Kammerchor und Kammerorchester), mit dem er die von sich reden machende „Bach-Kantaten-Reihe“ darbrachte, sinnvoll ergänzt durch Kantaten und kantatenähnliche Werke von Schütz, Buxtehude, Händel, Mendelssohn, Liszt oder Distler. Selbstverständlich unternahm das Ensemble Konzertfahrten durch Deutschland und in europäische Städte. Der Titel eines Kirchenmusikdirektors wurde Plattner 1990 verliehen. Seit 1992 lebt er im Ruhestand.

Plattner hat nicht nur zahllose Orgelkonzerte in Siebenbürgen, Rumänien, Deutschland und Europa gegeben, sondern er ragte hervor auch als Kammermusiker, Liedbegleiter und Leiter von Aufführungen geistlicher Werke, wozu mehrere Uraufführungen zu zählen sind. Er bestritt oft Einführungen in einzelne Werke und hielt Vorträge über Orgelmusik. Das Werk Johann Sebastian Bachs stand zwar im Mittelpunkt – zwischen September 1978 und Februar 1979 schon hat Plattner in Bayreuth in 15 Konzerten das gesamte Orgelwerk Bachs aufgeführt, und Bach fehlt in keinem seiner Konzertprogramme –, doch seine Aufmerksamkeit gilt auch der Musik von Händel (dessen 16 Orgelkonzerte er zwischen 1981 und 1984 in Zyklen im Markgräflichen Opernhaus spielte), den anderen Barockkomponisten, außerdem Haydn, Mozart, Mendelssohn, Liszt, César Franck, Reger, Poulenc, Widor, David, Hindemith, Messiaen oder Genzmer, wie auch siebenbürgischen, Banater, donauschwäbischen und zeitgenössischen deutschen Komponisten. Man kann behaupten, es gibt kaum ein Werk der Orgelliteratur, das Plattner nicht beherrscht. Im Verband Evangelischer Kirchenmusiker ist Plattner aktives Mitglied.

Lobende Konzertkritiken über Plattners Spiel, über seine „musikalischen, technischen und gestalterischen Qualitäten“ gibt es seit den 1950-er Jahren zuhauf. Oft wiederkehrende Begriffe und Formulierungen versuchen seinen Interpretationsstil zu charakterisieren: „Disziplin, Konzentration und ausgewogene Gestaltung“ (Breslau), „hohes technisches Niveau“, „ungewöhnliche musikalische Feinfühligkeit“, „Organist von Weltklasse“ (Prag), „Schlichtheit in der Wiedergabe, jeder Effekthascherei bar“, „stürmisch gesteigerte, aufwühlende Wiedergabe (Brünn), „plastisch und klanglich differenziert“, „suggestive Kraft“ (Budapest), „Wissen und strenge Logik“, „dichterische Ausdruckskraft“ (Bukarest), „entfaltet die innere Logik der Musik auf vollkommene Weise (Riga), „Absolut sicher in Spiel, Technik und Formwiedergabe“, „zwingender Ernst“ (Düsseldorf), „mit großer Einfühlung“, „bis ins Letzte ausgefeilt“ (Essen), „ungewöhnliche musikalische Stilsicherheit“ (Schwäbisch-Gmünd), „Klares, durchsichtiges und ausdrucksvolles Spiel“ (Wesel), „Eleganz der Technik, unerhört reicher, sensibler Klangsinn“, „wunderbar gezügelte Kraft und Konzentration“ (Velbert), „Verinnerlichte Geistigkeit“ (Bad Oeynhausen), „Organist von hohem Rang“, „ungemein überlegt, beherrscht und doch zugleich vital und unkonventionell (Hamburg), „technisch makellos und klanglich überzeugend“, „meisterliche Beherrschung des Instruments“ (Berlin). Immer wieder wird auch bewundernd festgestellt, dass der Organist alles „völlig“ und „vollkommen“ auswendig und ohne Registranten musiziert.

Seit der politischen Wende in Rumänien ist Plattner auch wieder als Konzertierender in Bukarest und den siebenbürgischen Städten anzutreffen. Sowohl das „Wiedersehen“ als auch sein Spiel werden wie einst gefeiert. Im Athenäum hielt er Meisterkurse speziell zur Interpretation Bachscher Werke. Als sich die Einrichtung des Orgellehrstuhls an der Bukarester Musikhochschule zum 50. Mal jährte, wurde, hauptsächlich zu Ehren Plattners als erstem Inhaber, ein „Internationales Orgelfestival“ veranstaltet, in dessen Rahmen an führender Stelle Plattner mit vier eigenen Konzerten auftrat, aber auch andere siebenbürgische, rumänische und ausländische Organisten mitwirkten.

In seinem schöpferischen Wirken konzentriert sich Plattner hauptsächlich auf das Orgel- und Kirchenmusikgenre. Seine ersten Kompositionen aus den 1940er Jahren sind allerdings „weltliche“ Chor- und Instrumentalstücke. Für den gottesdienstlichen Gebrauch schrieb er seit den 1970er Jahren über 50 Choralvorspiele, für den Konzertgebrauch sieben Kadenzen zu Orgelkonzerten von Händel. Zu erwähnen sind noch die Werke für Orgel Einführung, Choral und Schreittanz über „Schmücke dich, o liebe Seele“ für Orgel (1987) und Improvisation, Fuge und Tokkata (2004), das Cembalostück „Fantasie über ein eigenes Thema“ (Meditation-Passacaglia-Choral, 1992) sowie die Kantaten „Am Kreuz erblasst“ (1988), „Ich will rühmen Gottes Wort“ (1990) und „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (1992) für Solostimmen, Chor und Orchester. Mehrere Rundfunkaufnahmen (WDR, HR, Bukarest, Brünn) und einige Schallplatten künden von Plattners Interpretationskunst.

Aus der Ehe Plattners mit der Studienrätin Helga, geborener Lieb, gingen Dankwart und Sigrid hervor. Die Tochter studierte Barockgitarre und Schulmusik. Der Sohn übt die Musik nicht als Beruf aus – er ist Wirtschaftswissenschaftler, der Musik aber lebhaft zugetan.

Dem Jubilar wünschen wir Freude und Wohlergehen im Kreise seiner Familie und im beglückenden Rückblick auf sein reiches, tätiges, verdienstvolles Leben. Da er noch konzertiert und in manchen Gottesdiensten die Orgel bedient, sei ihm weiterhin die nötige Arbeitskraft gewünscht. Das abgeklärte, durchgeistigte, gleichzeitig vitale Orgelspiel des Achtzigjährigen zu hören – vielleicht auch optisch zu verfolgen –, ist ein tiefgreifendes und nachwirkendes Erlebnis.

Karl Teutsch

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2007, Seite 5)

Schlagwörter: Musiker

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