8. September 2019

Universell gebildeter Renaissance-Mensch: zu Wolf von Aichelburgs 25. Todestag

„Ich weiß, wenn ich auch nicht mehr atmen werde, das Abendrot wird weit am Himmel glüh`n.“ – Wolf von Aichelburg, der anachronistische, dem Humanismus verschriebene Renaissance-Mensch, sah sich selbst „als verspäteter Nachzügler der humanistischen Romfahrer und aristokratischen Bildungsreisenden“. Geboren wurde Aichelburg 1912 in der, damals zu Österreich gehörigen Hafenstadt Pola (Pula), wo sein Vater als Fregattenkapitän stationiert war.
Nach Kriegsende und dem Zusammenbruch des k.u.k. Imperiums wurde dem bewährten nautischen Fachmann vonseiten Rumäniens angeboten, in Galați beim Aufbau einer rumänischen Flotte sein Wissen einzubringen. Da aber Elsa von Aichelburg sich weigerte, mit den beiden Kindern (Wolfs Bruder Werner wurde 1918 geboren) in Galați, dieser, wie sie meinte, „vorderasiatischen Kolonie“ zu bleiben, kam die Familie 1922 nach Hermannstadt, wo die zwei Jungen am dortigen traditionsreichen Brukenthal-Gymnasium eine gediegene Ausbildung genossen.

Nach der 1929 erfolgten Reifeprüfung begann Aichelburg Romanistik und Germanistik in Klausenburg zu studieren. Von der Vorsehung mit vielerlei Begabungen und Interessen ausgestattet, auch wegen seines rastlosen Strebens nach Bildungserweiterung und polyglotter Sprachkompetenz, zog es Aichelburg ins Ausland. Dijon in Frankreich, Florenz in Italien und Berlin waren spätere Destinationen. Die deutsche Hauptstadt der 1930er Jahre übte auf ihn eine besondere Sogwirkung aus, lernte er doch dort die Reste des George-Kreises, Paul Hindemith, Norbert von Hannenheim, Rudolf Wagner-Régeny kennen und begann, von diesen angeregt, zu komponieren und auch Dramen zu schreiben. Berlin sollte er auch mit dem Gedichtband „Anhalter Bahnhof“ ein bleibendes literarisches Denkmal errichten. Weitere Ziele seiner bildungshungrigen Vagantenjahre waren Österreich, die Schweiz und England.
Wolf von Aichelburg im Gespräch mit Juliana ...
Wolf von Aichelburg im Gespräch mit Juliana Fabritius-Dancu bei der Eröffnung ihrer Ausstellung „Bauernburgen und Wehrkirchen“ im Juli 1977 in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Nach Siebenbürgen zurückgekehrt, war er kurzfristig Gymnasiallehrer und wurde während des Krieges 1941-44 als Dolmetscher im Bukarester Propagandaministerium gebraucht, in jenem turbulenten, multikulturellen Bukarest, wo er Alfred Margul-Sperber, Oscar Walter Cisek, Moses Rosenkranz, Georg Maurer, aber auch Ion Pillat und Vasile Voiculescu kennenlernte, was ihn auch anspornte, neben sensiblen Übersetzungen aus der Weltliteratur (Shelley, Keats, Paul Valéry) auch Übertragungen lyrischer Werke bedeutender rumänischer Poeten wie Blaga, Arghezi, Bacovia, Beniuc u.a. mit viel Sprachgefühl vorzunehmen.

Von 1944-47 war er Privatlehrer in Hermannstadt, lernte den bekannten Dichter-Philosophen Lucian Blaga kennen und wurde von diesem in den rumänischen literarischen Kreis in Hermannstadt, bei den „cerchistii sibieni“, eingeführt. Von Ion Negoițescu, Radu Stanca und Ștefan Augustin Doinaș wurde er als einziger deutschsprachiger Dichter in ihrem Kreis akzeptiert, aufgenommen und geschätzt, auch für seine rumänisch verfassten Gedichte.

Doch dann geriet er ab 1948 in die Mühlen der kommunistischen Teufel. Wegen eines durch Verrat missglückten Versuches der „Republikflucht“ wurde er zum ersten Mal eingekerkert (unter anderem in Caransebeș und Aiud), anschließend bis 1952 in ein mörderisches Arbeitslager am Schwarzmeerkanal verfrachtet und schließlich noch für dreieinhalb Jahre zum Zwangsaufenthalt in der südmoldauischen Gemeinde Măicănești verurteilt, wo er, dieser hochgebildete Ästhet, statt Kinder zu unterrichten dazu verdammt war, Schultreppen zu schrubben und Latrinen auszuputzen.
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Wolf von Aichelburg im Gespräch mit dem nachmaligen rumänischen Botschaft Emil Hurezeanu (links) am Rande eines Symposiums in München zum 100. Todestag von Mihai Eminescu (1989). Foto: Konrad Klein
Nach Hermannstadt zurückgekehrt, wurde er rehabilitiert und konnte somit wieder publizieren, doch die Hand der Securitate war lang. Mit anderen vier literarischen Freunden wurde er durch den zu trauriger Berühmtheit gelangten Kronstädter Schriftstellerprozess zu 25 Jahren Kerker und Zwangsarbeit verurteilt, von denen er drei Jahre u.a. in den berüchtigten Verliesen von Gherla und dem Prominenten-Gefängnis von Sighetul Marmației verbringen musste. Danach kam er für fast drei Jahre Zwangsarbeit in die Bărăgansteppe, wo er mit dem Freund Hans Bergel und anderen sich zunächst vor den Wetterkapriolen in Erdlöchern einbuddelte, dann in dürftigen, aus Schilf und Zweigen gebastelten Unterkünften hausen musste.

Die rund zwölf Jahre Gefangenschaft überstand Aichelburg dank seines unverwüstlichen, stoischen Gleichmuts, dank seiner körperlichen Zähigkeit und mentalen Stärke. Die Gefangenen, darunter viele Intellektuelle, hielten ihren Geist und Verstand gegenseitig durch Vorträge, Gedichtschöpfungen, Verbesserungen ihrer Fremdsprachenkenntnisse etc. wach.

Nach Hermannstadt zurückgekehrt, erhielt er sukzessive seine Rechte, Teile seiner Bibliothek und Möbel, sein Klavier zurück, konnte wieder publizieren, was in den nächsten Jahren schier eruptiv auch geschah, so viel angestaute Materie war da, die auf Realisierung drängte. Er durfte sogar ins westliche Ausland reisen – und kam fatalerweise immer wieder zurück. Er selbst meinte später lapidar: „Ich glaubte dem Teufel“. Dieser sollte allerdings bald die Zähne und Klauen zeigen. Ab 1976 begannen die Schikanen und Verhöre, die Anwerbungsversuche und Observierungen durch die Securitate und erst 1980 konnte er durch Intervention eines „Aichelburg-Komitees“ ausreisen. Er ließ sich in Freiburg im Breisgau, nahe der Grenze seines geliebten Frankreich bleibend nieder und holte nun die ihm so abgegangene Reisetätigkeit nach, wobei ihm vor allem die Kargheit der Landschaft und die, unter gleißender Sonne hervorstechenden Konturen des mediterranen Raumes zusagten.
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Wolf von Aichelburg im Gespräch mit dem Musikerzieher und Sänger Ricky Dandel am Rande eines Symposiums zum 100. Todestag von Mihai Eminescu in München (1989). Foto: Konrad Klein
Er veröffentlichte weitere Gedichtbände, vervollständigte die Reihe seiner meist auf antiken Mythen mit Gegenwartsbezug basierenden dramatischen Werke und verfasste weiterhin Essays, Erzählungen und Fabeln. Er nahm auch seine kompositorische Tätigkeit, ganz im Sinne der von ihm in Berlin kennengelernten Dodekaphonie wieder auf, die schon eine stattliche Opuszahl an instrumentalen Kammermusikwerken, Liedern und Konzerten vorweisen konnte und zum Gutteil schon in Deutschland, Frankreich und Rumänien aufgeführt worden sind.

Seine als Jugendlicher schon leidenschaftlich betriebene Maltätigkeit ließ ihn wieder zu Pastellstift und Aquarellpinsel greifen – er malte nun mit dem Schwenk vom Expressionistischen zur Abstraktion. Auch damit konnte er bei Ausstellungen in Karlsruhe, Freiburg, Paris, Straßburg, Luxemburg usw. Aufmerksamkeit erregen.

Von seinen fast 70, in Rumänien verbrachten Jahren distanzierte er sich indes eisern, zu sehr hatten ihm die letzten 30 dort verbrachten Jahre zugesetzt. Dieses schwindelerregend sich drehende Karussell von Verurteilungen und anschließenden Rehabilitationen, von demütigenden Quälereien zu schriftstellerischen Elogen mochte er nicht mehr im unberechenbaren Osten mitmachen. Dennoch konnte er diese Siebenbürgen-Jahre, diese zum Teil so wunderschönen Wandergegenden oder uralten siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen nicht ganz aus Kopf und Herz eliminieren – Gedichte wie „Barackenstadt“ oder „Siebenbürgischer Dorfturm“ bezeugen das.

Man kann anhand der bisherigen Schilderung das Widersprüchliche in Aichelburgs künstlerischer Existenz ermessen: Als zwölftönig-moderner Komponist dichtet er im Reim und Rhythmus streng befolgenden Geiste Georges, Rilkes, Trakls und Hofmannsthals. Er greift im dramatischen Werk auf Stoffe der griechischen Antike und Mythologie zurück, malt aber progressiv abstrakt wie Klee und Miró. Und genauso abwechslungsreich, in bohèmienhaftem Zickzack verläuft auch das Leben dieses sonst so ausgeglichenen, geradlinigen Menschen.
Die Meeresküste bei Bañalbufar auf Mallorca, wo ...
Die Meeresküste bei Bañalbufar auf Mallorca, wo Wolf von Aichelburg beim Schwimmen im geliebten Mittelmeer unter nicht ganz geklärten Umständen in den Morgenstunden des 24. Augusts 1994 ertrank (Aufnahme von Sommer 1998). Foto: Konrad Klein
Trotz seiner dreifachen künstlerischen Äußerungen mit dem Schwerpunkt Literatur gelang es Aichelburg nicht, in Deutschland notorisch bekannt zu werden. Dafür gibt es mehrere Gründe. Seine Gedichte von klassischer Schönheit und Formvollendung entsprechen nicht mehr dem Geschmack des heutigen Lyrik-Publikums. Sie sind bildkräftige, ästhetische Äußerungen, ein „in einen Ausnahmezustand erhobenes Stück Sprache“ und nicht gesellschaftskonforme, militant-kritische Elaborate des Hier und Jetzt. Aichelburg war einfach ein zu spät Gekommener, der noch dazu von Publikumsaversion und Menschenscheu geprägt war. Er hatte nicht wie Marcel Reich-Ranicki z.B. dessen Entertainment-Talent und Fähigkeit der Selbstdarstellung. Er schrieb gegen den Zeitgeschmack, gegen die moderne Weltuntergangsstimmung so mancher falscher Propheten an oder, wie ein Freund, der Literaturwissenschaftler Fernand Hoffman notierte, „gegen den modernen Nihilismus, Absurdismus und Materialismus“ an, sich weder um Moden noch Widerhall kümmernd.

Als Aichelburg, der der Mentor und väterliche Freund meiner Jugendjahre war, vor 25 Jahren, am 24. August 1994, ausgerechnet in den sonnenüberglänzten Meeresfluten des von ihm so geliebten Mittelmeeres versank, fand ich mich bemüßigt, ans Ende meines Nachrufes die folgenden, meiner Meinung nach wunderbar stimmigen Verse des auch von ihm so verehrten Hölderlin zu setzen: „Allversöhnend und still mit den armen Sterblichen ging er,/ Dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin,/ Keiner der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen,/ Und die Leiden der Welt trug er an liebender Brust.“

Dr. Thomas Ziegler

Schlagwörter: Kultur, Literatur, Schrifsteller, Hermannstadt, Bukarest

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