1. September 2019

"Nur die Gestirne ...": Bettina Schuller zum Gedenken

Literaturhistoriker werden sich mit ihrem Werk zu beschäftigen haben: Die Titel in chronologischer Folge aufreihen, sie nach Gattung gliedern – vom Gedicht bis zum Essay, vom Bühnenstück bis zur Erzählung, vom launisch hingeworfenen Aphorismus bis zum Zeitbild. Der politisch radikal wechselnde Lebenshintergrund wird ebenso dazugehören wie die mit ihm zusammenhängende Arbeitslust und -bedingung, bald fördernd, bald hemmend, beruflich wie privat. Und auch die Frage wird zu erörtern sein: Wie spiegelt sich in dem, was Bettina Schuller schrieb, Erlebtes und Erlittenes?
Diese Zeilen des Gedenkens an die am 24. Januar 1929 in Kronstadt, Siebenbürgen, geborene, am 11. August 2019 in Rimsting, Bayern, verstorbene Bettina Schuller, geb. Fabritius, schreibt indes kein Literaturhistoriker. Auch nicht der Autorenkollege. Sondern der Freund. Zugegeben, der bewundernde, aus Empathie ihr lebenslang zugeneigte Freund, der sie wie ihren Gatten Walter in zweiter Ehe und die drei großartigen Söhne – die beiden älteren aus erster Ehe mit dem Vaternamen Toma – kannte bzw. kennt und sich ihnen verbunden weiß.
„So klug, dass sie niemanden ihre intellektuelle ...
„So klug, dass sie niemanden ihre intellektuelle Überlegenheit merken ließ“: Bettina Schuller, aufgenommen von der Lebensgefährtin ihres Sohnes Ioan C. Toma in ihrem Garten im oberbayerischen Asch/Fuchstal. Foto: Bonnie Tillemann
Die diplomierte Psychologin und Pädagogin aus diesem Hintergrund zu lösen, ist für mich undenkbar. Dennoch war Bettina Schuller durch und durch eine solitäre Erscheinung. Die in jungen Jahren sportliche, blonde Schönheit aus dem Märchen war als Erwachsene eine kaum auffallende, zurückhaltende Persönlichkeit von Distanz gebietendem Fluidum. Von früh an gehörte zu ihrem Bild der Eindruck einer gelegentlichen geistigen Abwesenheit; sie wirkte dann, als registrierte sie nicht, was gesellschaftlich rings um sie geschah. Ihre Intelligenz war dessen ungeachtet der der meisten Menschen überlegen, denen ich in ihrer Umgebung je begegnete. Diese Frau war so klug, dass sie ihre intellektuelle Überlegenheit niemanden merken ließ – ihre im Freundeskreis weithin diskutierte herrliche Gelassenheit war vollkommen und kam ihr dabei zu Hilfe. Und, last but not least, sie besaß in hohem Maße die Gabe erlesener Ironie. Für den, der sie nahe genug kannte, hatte es sublimen Unterhaltungswert, sie bei einem Disput zu beobachten, in dem sie jeder und jedem überlegen war, davon aber nicht das Geringste verriet. In nicht wenigen ihrer Prosatexte blitzt ein in der Regel lediglich andeutender hintersinniger Spott auf. Er meint jedes Mal Grundsätzliches. Niemals beleidigend. Geschweige denn grobschlächtig. Dabei war Bettina Schuller in des Wortes eigentlicher Bedeutung eine Sinnende.
Friedrich von Bömches: Porträt der ...
Friedrich von Bömches: Porträt der Schriftstellerin Bettina Schuller in Kronstadt, 1965. Familienbesitz Asch/Fuchstal
Sie war kein Mensch der Öffentlichkeit. Im Gegenteil. Sie wusste es. Und wenn der Anlass sie zu Öffentlichkeit zwang, verhielt sie sich bisweilen in erheiterndem Gegensatz zu ihrer geistigen Weltläufigkeit. Zur Literaturlesung im Rahmen einer mehrtägigen Veranstaltung in Essen eingeladen, verhedderte sie sich bereits im dritten Absatz ihres Textes dermaßen heillos, dass ihr Auftritt zum Fiasko auszuarten drohte. Es gehört außerordentlicher Mut der Selbstironie zu dem, was sie vor dem vollen Saal tat: Sie erhob sich vom Stuhl, blickte sich um, sah mich in der dritten Bankreihe sitzen und sagte in umwerfend souveräner Ruhe: „Komm, bitte, lies du weiter, du siehst ja ...“ Der ganz und gar begeisterte Applaus nach Ende der Lesung galt wohl dem Bravourstück ihrer auf die NS-Jahre gerichteten Spottfontänen des Essays „Die Beutelkultur“, doch mit Sicherheit ebenso dem coram-publico-Akt ihrer sokratischen Selbsterkenntnis.

Diese Begabung zum Gleichmut, gepaart mit Belesen- und Gescheitheit, in die immer ein Gran ironischer Infragestellung gemischt war, machte Bettina Schuller zur idealen Gesprächspartnerin. Befähigte ihre genuine Geduld sie zum Zuhören, so luden ihre fundierten Kenntnisse taktvoll zu autokritischer Korrektur ein, ihr ironischer Einwurf bewirkte Entspannung. Bei meinen vielen Besuchen im Hause Schuller, sei’s bis 1968 in Kronstadt in der weiträumigen Mansarde mit Blick auf das alte Rathaus im Stadtzentrum, sei‘s zwei Jahrzehnte später in Asch im „Pfaffenwinkel“ Bayerns, nahe den bis auf das 7. Jahrhundert zurückgehenden Sakralbauten –, diese Besuche waren, in völlig unterschiedlichen Lebensklimata, Oasen bald im Zorn rück-, bald in Sorge vorausblickender Weltbetrachtung. Den – fallweise kontradiktorischen – Dialogen zwischen Walter und mir verliehen ihre Marginalien den Basso ostinato: den Ruhepol. Dessen immer leicht resignative Schattierung erschien mir ursächlich dem Wesen dieser ungewöhnlichen Frau zuzugehören. Nicht zuletzt sie machte mir die Freundschaft mit ihr zur Kostbarkeit. „Es gibt jetzt Uhren“, ist in einem ihrer zeitspöttischen und weisen, illusionslosen und keinen Trost erbettelnden Aphorismen zu lesen, „es gibt jetzt Uhren, die die Zeit nicht mehr verticken und die Zeiger taktvoll eingezogen haben; die Zeit trägt ihre Kargheit auf dem leeren Zifferblatt zur Schau. Nur die Gestirne drehen sich noch gut bürgerlich.“
Namensschild an Bettina Schullers Zimmer im ...
Namensschild an Bettina Schullers Zimmer im Siebenbürgerheim Rimsting (April 2019). Foto: Konrad Klein
Wie recht du hast! Leb wohl, Bettina, „fahr zu den Freien!“, wie eines der ältesten Gedichte der Landschaft, der auch du entstammtest, den Dahingeschiedenen nachruft.

Hans Bergel


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Schlagwörter: Kultur, Literatur, Nachruf, Kronstadt, Lyrik, Rimsting, Schuller, Hans Bergel

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