3. Februar 2019

Im Herzen der siebenbürgischen Forschung und Landeskunde: Interview mit Ingrid Schiel

Seit 2015 ist Dr. Ingrid Schiel Geschäftsführerin des Siebenbürgen-Instituts und Leiterin der Siebenbürgischen Bibliothek mit Archiv; damit verbunden sind zugleich die Geschäftsführungen des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrats e.V. und des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Ihre Promotionsarbeit zum Deutsch-Sächsischen Frauenbund für Siebenbürgen ist kürzlich im Böhlau-Verlag erschienen (siehe Besprechung in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 2 vom 5. Februar 2019, Seite 7). Siegbert Bruss, Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung, sprach mit Dr. Ingrid Schiel über die Bedeutung des Siebenbürgen-Instituts mit Bibliothek und Archiv und die aktuellen Herausforderungen der Kultureinrichtungen auf Schloss Horneck.
Schloss Horneck wird zurzeit umgebaut. Welche Bauarbeiten sind für das Siebenbürgen-Institut geplant?

Das Siebenbürgen-Institut mit Bibliothek und Archiv sowie das Siebenbürgische Museum und ein internationales Begegnungszentrum bilden die drei Säulen für das Nutzungskonzept von Schloss Horneck. Sowohl das Institut als auch das Museum erhalten zu ihrem Ausbau weitere Räume im Schloss. Für uns ist das von großer Bedeutung. Wir haben inzwischen die Marke von 88000 Medieneinheiten überschritten, die Bibliothek mit Archiv platzt aus allen Nähten, jeder Winkel ist mit Schriftgut angefüllt. Wir erhalten zwei der ehemaligen Speiseräume, um dort weitere Rollanlagen für die Bibliothek mit Archiv und ein Büro einrichten zu können. Zu diesem Zweck musste jedoch ein bisheriger 60qm großer Archivraum im Kellergeschoss vollständig geräumt werden. Seit November 2018 wurden die Stahlträger unter dem Plafond eingezogen und Säulen zur Unterstützung einbetoniert. In den nächsten Tagen erfolgt der Trockenausbau aus Brandschutzgründen, so dass wir hoffen, im Februar/März mit der Verlegung des PVC-Belags und der Streicharbeiten beginnen zu können. Geplant ist, die Periodika und das Pertinenzarchiv ab Ende April 2019 wieder zugänglich zu machen. Im ersten Stock des Westflügels des Schlosses werden unser Lesesaal und die Büros untergebracht werden. Zurzeit ist das Siebenbürgen-Institut räumlich geteilt, das Nachlassarchiv und vier Büros befinden sich in einem Gebäude der Altstadt, das dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. gehört. Aus rationellen, arbeitstechnischen und ökonomischen Gründen werden diese Bestände und die Arbeitsplätze in den 1. Stock des Westflügels umziehen. Wenn der Umzug abgeschlossen sein wird, werden sich alle Glieder des Instituts im Schloss befinden, der Zugang wird über den Haupteingang erfolgen.
Der erste Neujahrsempfang nach der Rettung von ...
Der erste Neujahrsempfang nach der Rettung von Schloss Horneck fand am 9. Januar 2016 statt. Auf dem ehemaligen Deutschordensschloss wird inzwischen emsig gebaut – der diesjährige Empfang entfiel. Über die aktuellen Herausforderungen der Kultureinrichtungen in Gundelsheim informiert Dr. Ingrid Schiel (vordere Reihe, 4. von links) im Interview. Foto: Petra Reiner
Können die Siebenbürgische Bibliothek und das Archiv auch während des Umbaus genutzt werden?

Ja, sie können zum größten Teil auch jetzt genutzt werden. Unser Lesesaal liegt abseits der großen Umbaumaßnahmen und wird bis zu seinem Umzug am Ende der Gesamtbaumaßnahmen zugänglich bleiben, so dass es einen möglichst nahtlosen Übergang zum neuen Lesesaal geben wird. Bestände, die vom Umzug betroffen sind und deshalb gesperrt werden müssen, werden auf unserer Homepage http://siebenbuergen-institut.de und in der Siebenbürgischen Zeitung angekündigt. Archivbestände sind generell nur nach Voranmeldung einsehbar.

Welche Bedeutung hat das Siebenbürgen-Institut für die Wissenschaft und für die Pflege des siebenbürgisch-sächsischen Kulturgutes gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes?

Das Institut befindet sich in der Trägerschaft des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrats e.V. Die Aufgaben liegen gemäß § 96 im Bereich der Sicherung von Kulturgut, der wissenschaftlichen Forschung über die Siebenbürger Sachsen und der Fortentwicklung ihres Kulturerbes. Die Siebenbürgen-Forschung in Deutschland wird bis heute zum größten und überwiegenden Teil vom Siebenbürgen-Institut aus koordiniert und in weiten Teilen geleitet und betreut. Trotz aller Widrigkeiten konnte und kann das Institut seit Jahren seine zentrale Stellung für die deutschsprachige Forschung und Landeskunde Siebenbürgens, in deren Mittelpunkt Geschichte und Kultur der Siebenbürger Sachsen im Zusammenwirken mit anderen Ethnien, sozialen und konfessionellen Gruppen stehen, uneingeschränkt aufrecht erhalten. Die siebenbürgische Geschichte ist zugleich Bestandteil der ungarischen und rumänischen Nationalgeschichten. An den Akademien und Universitäten dieser Länder gibt es Spezial- und Regionalforschungsbereiche, die im Wesentlichen den ungarischen beziehungsweise rumänischen Aspekten der Landesgeschichte verpflichtet sind. Durch das nahezu 900 Jahre währende Vorhandensein einer deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen ist diese Region jedoch auch Teil der deutschen Geschichte. Diesen bedeutenden und positiven Anteil für die Landesgeschichte Siebenbürgens (bzw. Rumäniens und Ungarns) nicht in Vergessenheit geraten zu lassen sowie den fachlichen Austausch zu den Wissenschaftlern in Ungarn und Rumänien zu pflegen, sind einige der Hauptaufgaben des Siebenbürgen-Instituts.
Ingrid Schiel an ihrem Arbeitsplatz. Foto: ...
Ingrid Schiel an ihrem Arbeitsplatz. Foto: Anneliese Vater
Welche Projekte betreuen Sie als Geschäftsführerin des Siebenbürgen-Instituts?

Als Geschäftsführerin bin ich hauptsächlich für den Haushalt des Instituts und des Kulturrats verantwortlich. Das betrifft Publikationen, Maßnahmen in der Bibliothek mit Archiv, Tagungen und Forschungsvorhaben. Als Leiterin von Bibliothek mit Archiv beantworte ich im Tagesgeschäft entsprechende Fragen, wobei Jutta Fabritius, Hannelore Schnabel und Christian Rother routinierte „alte Hasen“ sind. Bei den Forschungsvorhaben rückt beispielsweise der Abschluss des Schriftsteller-Lexikons der Siebenbürger Deutschen näher, dessen erster Band 1868 erschien. Zurzeit wird der letzte Band XI: „See bis Z“ der männlichen Autoren bearbeitet, der auch die weiblichen Autoren des gesamten Alphabets (A bis Z), enthalten wird – jeweils bis zum Geburtsjahr 1915. Im Moment arbeite ich an der Konzeption der weiblichen Autoren. Ein weiteres Projekt sind „Die Pfarrer und Lehrer der Evangelischen Landeskirche A.B. in Siebenbürgen“. Band 1: „Von der Reformation bis zum Jahr 1700“ erschien 1998. Für Band 2 stehen die grundlegende Konzeption, digitale Erfassung und anschließende Bearbeitung noch aus und sind für die kommende Zeit geplant.
Drei Mal jährlich gebe ich die Mitteilungen aus dem Siebenbürgen-Institut heraus. Da der Umzug ins Schloss für uns begonnen hat, ist ein großer Teil meiner Zeit damit ausgefüllt.

Sie erwähnten schon drei Kollegen. Auf welche finanziellen und personellen Ressourcen kann das Siebenbürgen-Institut insgesamt zurückgreifen, um seine vielseitigen Aufgaben wahrzunehmen?

Im Stellenplan des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrats als Träger des Instituts sind für die institutionelle Förderung des Landes Baden-Württemberg vier Dauerarbeitsplätze ausgewiesen, von denen nur eineinhalb Stellen besetzt sind. Mit Mitteln der Stiftung Siebenbürgische Bibliothek sind eine Geschäftsführerin in Teilzeit 75%, eine Bibliothekarin als Teilzeitkraft und eine Fachangestellte für Medien und Informationsdienste im Archiv auf Teilzeit-Basis tätig. Mit weiteren privaten Mitteln sind zwei Minijobkräfte in der Verwaltung und als Reinigungskraft eingesetzt. Aufgrund dieser Personalsituation werden die Tätigkeiten von einer Reihe ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterstützt.
Ohne die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek wäre das Institut nicht mehr arbeitsfähig. Sie finanziert drei Stellen im Teilzeit-Bereich. Die Stiftung ist von den gegen Null gehenden Zinsen besonders stark betroffen, weil sie nicht hie und da einzelne Projekte fördert, sondern sich das große Ziel gesetzt hat, die Existenz und die Funktion des für die Siebenbürger Sachsen in Deutschland so wichtigen Siebenbürgen-Instituts mit Siebenbürgischer Bibliothek und Archiv in Gundelsheim auf Dauer abzusichern. Darum appelliert die Stiftung inständig und dringend an alle Siebenbürger Sachsen und an alle anderen, die einen Bezug zu Siebenbürgen haben, sie durch Zuwendungen, vor allem aber auch durch die Ermunterung von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten, sich ihnen anzuschließen, die Arbeit der Stiftung zu unterstützen. Eine weitere Stütze, ohne die das Tagesgeschäft im Siebenbürgen-Institut sowie in der Bibliothek mit Archiv nicht möglich wäre, sind die „Freunde und Förderer der Siebenbürgischen Bibliothek e.V.“ Sie finanzieren Fortbildungsmaßnahmen der Angestellten, das Verbrauchsmaterial wie beispielsweise Signaturetiketten und säurefreie Kartons für Archivgut und Wartungen von technischen Geräten, wie der Frankiermaschine. Insbesondere sind sie Ansprechpartner, wenn schnelles Handeln beim Ankauf von Raritäten für Bibliothek und Archiv gefragt ist. Beispielsweise konnte kürzlich der beträchtliche Bestand an Gräseriana des aus Kronstadt stammenden Künstlers und Naturphilosophen Gusto Gräser (1879-1958) erweitert werden.
Der Verein hilft auch bei Neuanschaffungen, da dieser Etat verschwindend gering ist. Entsprechend versuchen wir, Neuerscheinungen für die Bibliothek von den Autoren und Autorinnen kostenfrei zu erhalten. Der größte Teil der für die Bibliothek angeschafften Bücher ist in keiner anderen deutschen Bibliothek vorhanden. Gesammelt werden, unabhängig von der Sprache und dem Erscheinungsort, Publikationen sämtlicher Themenbereiche, die Siebenbürgen betreffen. Bei den in Siebenbürgen erscheinenden deutschsprachigen Publikationen wird Vollständigkeit angestrebt. Zu den Sondersammlungen gehören Publikationen siebenbürgischer Autoren zu nichtsiebenbürgischen Themen, die Hochschulschriftensammlung, die Bestände der Sammlung historischer Landkarten. Um weiterhin ein uneingeschränktes und aktuelles wissenschaftliches Arbeiten zu ermöglichen, sind alle Studierenden, Diplomanden, Doktoranden, Wissenschaftler und Hobbyforscher aufgerufen, ein Exemplar ihrer Veröffentlichungen (Monographien, Zeitschriftenaufsätze, Referate, Hausarbeiten oder sonstige Hochschulschriften, Erinnerungen) unabhängig von der Erscheinungsform (gedruckt, kopiert oder elektronisch) der Siebenbürgischen Bibliothek zu spenden.
Dr. Ingrid Schiel beim Heimattag in Dinkelsbühl ...
Dr. Ingrid Schiel beim Heimattag in Dinkelsbühl 2019. Foto: Konrad Klein
Seit 2017 sind Sie auch als Vorstandsmitglied im Siebenbürgischen Kulturzentrum „Schloss Horneck“ e.V. aktiv. Wie kann Schloss Horneck als kulturelle Begegnungsstätte der künftigen Generationen vermittelt und etabliert werden?

Schloss Horneck mit den zentralen kulturellen Einrichtungen kann für das Verständnis eines modernen Europas gute Beispiele und Anregungen für das Gestalten einer Lebenswirklichkeit in einem multiethnisch und multireligiös geprägten Umfeld geben. Im Rahmen einer europäischen Identität wird Multiethnizität als ein aktiver Prozess verstanden, in dem die einzelnen ethnischen Gruppen ihre Traditionen bewahren, aber zugleich im Kontakt und im Austausch zu den anderen stehen. Vielfalt als positiven Wert zu sehen, ist ein wichtiger Aspekt in der Vermittlung. Wir müssen neben den Siebenbürger Sachsen einen allgemeinen Interessenkreis ansprechen und dafür entsprechende Formate entwickeln. Unsere Kultureinrichtungen bergen Schätze, die nur gehoben werden müssen. Dazu zählt beispielsweise die Begegnung mit dem Original als Erlebnis, sei es im Archiv, in der Bibliothek oder im Museum. Die eigene Erfahrung spielt eine große Rolle bei der Vermittlung. Im europäischen Kontext wird das Zusammenführen der verschiedenen Gesellschaftsgruppen immer wichtiger. Niemand soll ausgeschlossen sein. Das ist mit niedrigschwelligen Angeboten, Partizipationsmöglichkeiten ohne große finanzielle Hürden und soziale Medien in leichter Sprache möglich. Letztere können jedoch nicht die persönliche Ansprache ersetzten. Hinzu kämen Angebote, die auf die unterschiedlichen Bildungsphasen eingehen und zur Identitätsstiftung, -wahrnehmung und -findung dienen sowie die Prozesse der Selbstdefinition jeden Alters betreffen. Zudem sollte man Fachseminare für einschlägige Gruppen, Historiker, Kunst- und Literaturwissenschaftler, Germanisten, Archivare, Museologen u.a. anbieten. Vernetzung spielt eine große Rolle, und dafür haben wir sehr gute Voraussetzungen. Seien es Kooperationsprojekte mit der Universität Heidelberg und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen oder im Bereich des außeruniversitären Lernens. Bestehende Netzwerke sollen gestärkt und neue geschaffen werden.

Sie wurden kürzlich mit einer Arbeit über den Deutsch-Sächsischen Frauenbund promoviert, hielten Vorträge über die siebenbürgisch-sächsische Tracht u.a. in Darmstadt und über die siebenbürgischen Frauenbewegungen in Bad Kissingen, wirkten in der Trachtenjury des SJD-Volkstanzwettbewerbs mit. Weshalb ist es für Sie wichtig, neben der Forschung auch kulturelle Breitenarbeit zu leisten?

Die Forschung ist für mich die Grundlage der kulturellen Breitenarbeit. Die Gefahr, Dinge oder auch Vorstellungen aus Unkenntnis heraus zu zementieren und nicht zu hinterfragen, ist sehr groß. Wir müssen auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren und unsere Kultur entsprechend weiterentwickeln. Sie besteht nicht nur aus Trachten, Bällen und Holzfleisch. Die Gefahr, sie darauf zu reduzieren oder ganze Bereiche „einzufrieren“, ist riesig. Der von Ines Wenzel und mir entwickelte Trachtenfragebogen dient zum einen der Dokumentation der verschiedenen Trachten eines Ortes im Jahreskreislauf und in den letzten 150 Jahren und soll zum anderen den einzelnen Ortsgemeinschaften die Möglichkeit bieten, ihre Tracht unter den heutigen Bedingungen bewusst wahrzunehmen und gegebenenfalls selbst weiter zu entwickeln. Der Zweck als „Bekenntnistracht“ ist seit nahezu 200 Jahren unverändert und wird seit ebenso langer Zeit mit theoretischen Konzepten begleitet.
Für die Weitergabe unserer gesamten Kultur an die nächste Generation ist ihre Attraktivität unumgänglich. Wir alle müssen uns Gedanken über ihre Bedürfnisse machen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Schlagwörter: Kultur, Siebenbürgen-Institut, Schloss Horneck, AKSL, Siebenbürgische Bibliothek, Gundelsheim, Forschung, Landeskunde

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