25. Juli 2018

Historiker, Kulturvermittler, Zukunftsgestalter: Konrad Gündisch zum Siebzigsten

Als Erasmus-Student an der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg nahm ich vor rund eineinhalb Jahrzehnten an einer Tagung in Hermannstadt teil. Es sollte mein Erstkontakt mit einer ganz spezifischen (Forschungs)landschaft und ihren Akteuren sein: mit Vizerektor Rudolf Gräf (Klausenburg), der mich auf die Veranstaltung spontan mitgenommen hatte, Professor Harald Heppner (Graz), dem damaligen Vorsitzenden der Südostdeutschen Historischen Kommission, Professor Krista Zach, die mittlerweile leider verstorbene Gründungsdirektorin des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) in München. Und mit einem gewissen Professor Konrad Gündisch, der uns die Stadt Heltau zeigte und der ein paar Monate später auch noch meine erste Prüfung mit Siebenbürgen-Bezug abnehmen sollte. So lernte ich ihn also kennen: als den vitalen und wissenden Professor, den begeisterten und begeisternden Lehrer, den originalen und originellen Sachsen. Erst heute, rund eineinhalb Jahrzehnte später, begreife ich, dass ich damals nicht weniger als die ersten prägenden Orte seiner Biographie gesehen hatte, das Heltau der Wollweberfamilie Gündisch, das Hermannstadt seiner Geburt, die ehrwürdige Babeș-Bolyai-Universität, seine Alma Mater.
So wie viele hat Konrad Gündisch, der Weltbürger aus Siebenbürgen mit starken Wurzelverästelungen nach Wien, seine Heimat nach Studium und langjähriger Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Klausenburg Mitte der Achtzigerjahre verlassen. Wie so vielen fiel ihm der Schritt unendlich schwer, wie so viele hatte der junge Familienvater gute Gründe. Und wie so viele fand er rasch einen Platz in der Gesellschaft seiner neuen, zweiten Heimat Deutschland: nach einer Zwischenstation in Marburg wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Seminars in Tübingen, wo er 1989 promoviert wurde. Sein Doktorvater, der renommierte Mediävist und gebürtige Budapester mit siebenbürgischen Vorfahren, Professor Harald Zimmermann, sollte ihm gemeinsam mit seinem Vater Gustav Gündisch, einem der bedeutendsten Historiker der Siebenbürger Sachsen, zum Maßstab geschichtswissenschaftlicher Lebensleistung werden.
Nicht nur im Mittelalter unterwegs: Dr. Konrad ...
Nicht nur im Mittelalter unterwegs: Dr. Konrad Gündisch als Reiseleiter einer Studienfahrt des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde auf den Spuren des Ersten Weltkrieges in die Dolomiten und an den Isonzo, hier auf der Burg Cilli (Celje) im heutigen Slowenien (September 2014). Fotos: Konrad Klein
1991 trat Konrad Gündisch eine Stelle als Referent für transsilvanische Forschung am Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart an und wurde gleichzeitig Leiter der Siebenbürgischen Bibliothek im Landeskundlichen Dokumentationszentrum Gundelsheim. Dort schuf er die Grundlagen für das heutige Siebenbürgen-Institut und damit die Basis für eine nachhaltige, größtenteils ehrenamtliche und doch höchst professionelle Regionalforschung im besten Sinne, die weit über Deutschland hinaus und vor allem nach Siebenbürgen zurückwirkt.

Konrad Gündisch, der Reformer, schien angekommen zu sein. Und doch verschlug es ihn 1993 nach Oldenburg, wo er zwei Jahrzehnte als wissenschaftlicher Mitarbeiter, ab 2005 mit dem Titel eines „Leitenden Wissenschaftlichen Direktors“ als stellvertretender Direktor im Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) und als Lehrbeauftragter an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg wirken sollte. Mit seiner regelmäßigen Lehrtätigkeit in Klausenburg brachte er es auch zum Honorarprofessor – das „Honorar“ stünde für „ehrenhalber“, nicht für (ohnehin nicht vorgesehenes) Entgelt, erklärte er mir einmal mit der ihm eigenen, kritisch-ironischen, aber niemals gehässigen Distanz zu sich selbst, seinem Volk und der Welt.
Ein bereits historisches Bild: letzter Arbeitstag ...
Ein bereits historisches Bild: letzter Arbeitstag von Konrad Gündisch am Oldenburger Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (17.9.2013), in Arbeit versinkt der Jubilar auch fünf Jahre danach.
Einige Jahre nach den siebenbürgischen Begegnungen (die mich in der Retrospektive wohl mehr beeindruckten als ihn) haben sich unsere Wege ausgerechnet, aber nicht zufällig, in Gundelsheim wieder gekreuzt. Aus dem unbedarften Studenten der Geschichte aus Wien ist ein begeisterter Siebenbürgen-Forscher und aus dem Professor Gündisch bald der Koni geworden. Die Nachwuchsforscher-Gemeinschaft Studium Transylvanicum hatte mich zum Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde gebracht, wo Koni Gündisch schon längst eine Institution war. Eine Institution allerdings, die weit davon entfernt ist, sich auf das orakelhaft-passive Dasein des von der Loge aus Kommentierenden zu beschränken. Seine Freizeit gehörte und gehört zu einem Großteil der aktiven Arbeit für Siebenbürgen, dem Südosten, einem Europa, das mit beiden Lungenflügeln gleichermaßen atmet: als Autor und Vortragender zu historischen Sach- und Fachthemen, als Redakteur der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, als langjähriges Vorstandsmitglied im Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat, zeitweilig auch als dessen Vorsitzender, als Mitglied und einige Jahre lang Vorstandsmitglied der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa (bis 2007: Südostdeutsche Historische Kommission) und des Herder Forschungsrates, im Bundesvorstand des Verbandes der Siebenbürger Sachsen etc. Konrad Gündisch, dem Ehrenamtlichen, dem selten um Worte Verlegenen, fällt es nämlich schwer, Nein zu sagen. Wenn es eine Aufgabe zu erfüllen gibt, widmet er sich dieser, oft genug Privates opfernd, nahezu bedingungslos. Ein Mitbringsel aus der alten Welt jenseits der Wälder, eine leider selten gewordene Lebenseinstellung, die Teilhabe an einer Gemeinschaft vor allem als eine Bringschuld sieht.

Vor fünf Jahren dann landeten wir nahezu zeitgleich, wenn auch ziemlich überraschend und kurzfristig, im IKGS: Konrad Gündisch befand sich gerade auf dem Sprung ins vermeintlich beschauliche Pensionistenleben, als ihn die Bitte ereilte, den vakanten Posten des Direktors am IKGS zu übernehmen. Konrad Gündisch, der Pflichtbewusste, ein bundesdeutscher Beamter traditionell preußischen Selbstbewusstseins, aber (zum Glück) altösterreichischer Gemütsprägung, zog nach München und tauschte seinen ohnehin niemals angetretenen Ruhestand zwei Jahre lang gegen die Aufgaben eines kommissarischen Direktors. Er scheute dabei keine Maßnahme zur Erneuerung und Modernisierung des Instituts. Auch wenn diese oft schmerzhaft waren und bei manchen auf Unverständnis stießen: das IKGS wäre ohne sein kurzes aber intensives Wirken heute kein zeitgemäß und zukunftssicher aufgestelltes Forschungsinstitut. Persönliche Vorlieben oder gar Eitelkeiten genehmigte er sich in diesem Zusammenhang nicht, hielt den Kopf auch dort hin, wo die Fehler nicht seine eigenen waren. So agieren können nur Menschen, die über großes Selbstbewusstsein, aber auch die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion verfügen.
Zwar keine Geburtstagstorte, aber als ...
Zwar keine Geburtstagstorte, aber als Stimmungsfoto sicher geeignet: eine Mitarbeiterin des Oldenburger Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa mit einer selbstgebackenen Abschiedstorte für ihren Chef (2013).
Und so ist es kaum verwunderlich, dass Konrad Gündisch, dem Troubleshooter, bald nach seinem Dienstende als kommissarischer Direktor des IKGS (auch das eine seltene Eigenschaft: rechtzeitig loslassen und zurückziehen können, wo es möglich und nötig ist) eine neue Aufgabe zugeflogen ist. 2016 trat er die Nachfolge von Dr. Bernd Fabritius als Vorsitzender des Vereins Siebenbürgisches Kulturzentrum „Schloss Horneck“ an. Er war nun Schlossherr und erster Diener gleichermaßen, vielleicht die herausforderndste und gleichzeitig persönlichste Aufgabe in Konrad Gündischs an Herausforderungen nicht unbedingt armer Biographie: Die alte Deutschordensburg in Gundelsheim am Neckar soll unter seiner Ägide ein kultureller Mittelpunkt der Siebenbürger Sachsen bleiben und noch mehr werden. Erneut hat er sich mit all seinem Können und Wissen in die Schlacht geworfen, als Vorreiter und Teamspieler, als Kämpfer und Politiker, Diplomat und Dickschädel, Historiker und Zukunftsgestalter, Eventmanager und Motivator, energisch, laut und manchmal schusselig, am Ende aber immer der Sache verpflichtet, verbindlich und den Ausgleich suchend. Das erste Schlossfest, das vor wenigen Tagen stattgefunden hat, zeigt, dass die gemeinschaftliche Mühe Früchte trägt und Horneck weiterhin „eine feste Burg siebenbürgisch-sächsischer Kultur und Identität“ bleibt, wie er es selbst bei der Begrüßung der zahlreichen Besucher ausgedrückt hat.

Ganz oben auf der Agenda aber steht, über all diesen Aufgaben, die Familie: Konrad Gündisch, der stolze, liebende Papa und – mittlerweile vierfache – Opa. Dem Jubilar seien noch viele Jahre voll Energie und Lebensfreude gewünscht, dem Historiker mehr Ruhe und Muße zum Forschen und Schreiben, dem Menschen viele schöne Stunden im Kreise der Familie und der Freunde. Ein Danke und ein Vivat aus Heltau, Hermannstadt und Klausenburg, aus Oldenburg, Gundelsheim, München, Wien, Graz, Berlin und vielen anderen Orten einer ganz besonderen europäischen Landschaft.

Florian Kührer-Wielach

Schlagwörter: Wissenschaft, Porträt, Geburtstag, Historiker, Gündisch, Heltau, Schloss Horneck, IKGS, München, Oldenburg

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