26. März 2018

Osteuropas Kulturpotenzial besser beachten: Hans Bergel im Gespräch

Der Rumänische Schriftsteller-Verband zeichnete die Übersetzer des Romans „Die Wiederkehr der Wölfe“ von Hans Bergel, 2006/2015 (Întoarcerea lupilor“, 2016), George Guțu, Rumänien, und Octavian Nicolae, Deutschland, mit dem Preis für das am besten ins Rumänische übersetzte Buch des Jahres 2016 aus. Die rumänische Fassung erschien im EIKON-Verlag, Bukarest. Der Journalist Dieter Drotleff führte aus diesem Anlass ein Gespräch mit dem in Gröbenzell bei München lebenden Autor Hans Bergel. Das am 8. Februar 2018 in der „Karpatenrundschau“ erschienene Interview wird im Folgenden leicht gekürzt abgedruckt.
Der Literaturwissenschaftler Peter Motzan aus Augsburg nennt dich den „produktivsten Schriftsteller der Siebenbürger Sachsen“. In deinem Alter – du wirst in diesem Jahr 93 – ist eine solche Produktivität erstaunlich: 2015-2017 erschienen fünf Bücher von dir. Die Zahl deiner Buchveröffentlichungen erreichte das halbe Hundert. Sag, bitte, etwas dazu.
Vielleicht läge die Zahl höher, wäre mir das Jahrzehnt zwischen dem 34. und 43. Lebensjahr durch Kerker und Schreibverbot im kommunistischen Rumänien nicht blockiert worden. Das gilt auch für die Jahre 1970-1989, als ich mich in Deutschland der Politik unter menschenrechtlichem Aspekt zugewendet hatte.

Betrachtet der Buchautor Hans Bergel die genannten Jahrzehnte als Verlust?
Ich möchte die Erfahrungen und Erkenntnisse beider Zeitspannen nicht missen.

Welche Autoren waren deine Lehrer auf dem Weg als Schriftsteller und Essayist?
Zuallererst der Novellist Kleist. Der Erzähler Hemingway. Die großen Russen als Romanciers. Im Essay fand ich – so denke ich – allein den Weg zum persönlichen Ausdrucksstil.

Entspricht deiner Meinung nach die Anerkennung der bundesdeutschen Literaturrezeption deiner schriftstellerischen Leistung?
In der deutschen belletristischen Literatur ordne ich mich in einem bestimmten Sinn als Fremdkörper ein. Inhaltliche Präferenzen und ästhetische Vorstellungen unterscheiden mich von gewissen ideologisierten Grundauffassungen meiner Kollegen.
Porträtbüste Hans Bergel (Tonskizze). Letzte ...
Porträtbüste Hans Bergel (Tonskizze). Letzte Arbeit von Kurtfritz Handel (1941-2016), Herbst 2015
Näheres darüber, bitte.
Nur Schlagworte: Ohne es zu wissen, leiden deutsche Erzähler nicht nur in meinem Urteil zu guten Teilen immer noch unter Nachwirkungen der NS-Sichtweisen. Wieso? Sie sagen sich: Unter keinen Umständen auch nur einen Satz, der an diese erinnern könnte! Damit erreichen sie m. E. freilich das Gegenteil ihrer – an sich indiskutablen! – Absicht. Das Gute nämlich ist nicht automatisch das Gegenteil des Bösen, sondern das Gute an sich. Das Richtige keinesfalls das Gegenteil des Falschen, sondern das Richtige per se. Nur aus Gegensatz zu etwas handeln, macht abhängig. Ideologie und Gegenideologie sind Zwillingsgeschwister. Ideologie und Gegenideologie, egal welcher Art, sind dem Kern und dem Wesen der Literatur als Kunst diametral entgegengesetzt. Allzuvielen schielt die gegenideologische Absicht über die Schulter. Das führte dazu, dass vor allem deutsche epische Literatur international so gut wie nicht gefragt ist. Goethe beschrieb im „Tasso“ die Situation: Man fühlt „Absicht, und man ist missstimmt“. Und es gibt nicht nur das politische Diktat, es gibt auch das der Medien, der Mode, des Zeitgeistes: „Man“ hat sich so oder so zu verhalten, es ist „in“, dies oder jenes zu sagen oder nicht zu sagen. Etc. „Ich will einen Roman lesen“, sagte mir eine kluge Rumänin, „nicht zur Ideologie erhobenes schlechtes deutsches Gewissen“. Kurz, was mich angeht: Ich verweigere auch als Erzähler den Kniefall vor jeder Art sancta ideologia, seien ihre Thesen noch so à la mode oder mächtig …

Und? Du wolltest noch etwas sagen?
Nicht nur mich beunruhigt die fast totale Hinwendung insbesondere der westlichen Deutschen zum US-Amerikanismus – Gregor von Rezzori verhöhnte ihre „hündische Amerikanistik“ vom Halloween bis zur Entstellung der Muttersprache. Ich nenne das: hurenhafte Nachäfferei, die zugleich eine totale Abwendung von Europas enormen östlichen Kulturpotentialen bedeutet. Diese nach 1989/90 für ganz Europa fruchtbar zu machen, wäre jedoch vor allem Aufgabe der Deutschen als Volk der europäischen Mitte gewesen. Dies nicht zu begreifen, ist der Sündenfall in der jüngeren Geistesgeschichte unseres Kontinents. Er wird sich eines Tages auch als Politikum niederschlagen.

Konkret?
Zum Beispiel: Die Grande Dame der Lyrik Rumäniens – und nicht nur – Ana Blandiana wird trotz ihrer Genialität in Deutschland so gut wie nicht registriert – anders als bei allen übrigen bedeutenden Kulturnationen. Das kommt einem Manko in der spirituellen deutschen Selbst- und Europawahrnehmung gleich und lässt Deutschland als Kulturprovinz erscheinen. Da ich als geistige Existenz und Buchautor den Osten – hier: den südlichen Osten – als eminent europäische Komponente immer wieder zum Thema habe, gilt mir in der begrenzten Literatursicht der Deutschen begrenzte Aufmerksamkeit. Abgesehen von meinen Büchern stehen die Deutschen vor der Fülle östlicher Kulturkraft und -vielfalt wie Blinde vor dem offenen Tor. Zwar verfügt das westliche Europa seit jeher über den rationalen Blick auf die Welt. Die Kraft östlicher Emotionalität aber fehlt ihm – bis ins Religiöse hinein. – Mehr darüber hier bitte nicht, das Thema lohnt ein gesondertes Gespräch.

Nur noch dies: Bezeichnet das nicht die undankbare Position gerade eines Autors von deiner oft genannten Weite des Horizonts?
Na ja, es dauerte länger. Doch der ständig wachsende Kreis meiner Leser ist eine Tatsache. Ich bot und biete, denke ich, nicht modische Eintagsfliegenliteratur.

In deinem Geburtsland empfängst du dafür so viel Wertschätzung wie kein anderer deutscher Autor. Was bedeuten dir diese mehrfachen Ehrungen?
Dort geehrt zu werden, wo einer herkommt, galt seit jeher als hohe Anerkennung. Ich bin allen dankbar, die es ermöglichten. Das ist keine Schmälerung meines Danks für Ehrungen in anderen Ländern. Auch nicht, wenn ich festhalte, dass es allemal zuerst um die Qualität der Arbeit geht, die einer liefert, weniger um die Ehrung dafür.

Sagst du unseren Lesern abschließend etwas über deine literarischen Pläne?
Klingt es nicht verwegen, wenn ein bald 93-Jähriger von Plänen spricht? Vor Jahren unterbrach ich die Arbeit am Band III der Romantrilogie „Finale“. Erschrecken über die gesellschaftliche Entwicklung Europas, vor allem Deutschlands, bewog mich. Genauer: Unbedarftheit der Politiker, Ahnungslosigkeit der Massen, Weltfremdheit der Intellektuellen – alles natürlich mit Ausnahmen – ließen mir die Arbeit als sinnlos erscheinen. Nun traten persönliche, nein, private Lebens- und Sinnbereicherungen ein, denen ich mich mit Freude und trotz allem verpflichtet sehe.

Ich danke dir für das Gespräch.

Schlagwörter: Kultur, Interview, Bergel, Literatur, Schriftsteller

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Neueste Kommentare

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  • 26.03.2018, 09:01 Uhr von Katzken: Sie brauchen sich nicht "verpflichtet" zu fühlen Herr Bergel! Ich zitiere Ihre Wort:"Zum Beispiel: ... [weiter]

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