30. Mai 2017

Die Berufung zum Beruf gemacht: Interview mit Doris Hutter

Doris Hutter, Stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, wird heute 60 Jahre alt. Ihre Herzenssache – den Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Kultur – hat sie zum Beruf gemacht. Seit 17 Jahren engagiert sie sich als Geschäftsführerin des Hauses der Heimat (HdH) in Nürnberg auch für viele andere Aussiedler und Vertriebene sowie deren Eingliederung in die neue Heimat. In Agnetheln geboren und aufgewachsen, studierte Doris Hutter in Bukarest 1976-1980 Mathematik, unterrichtete als Lehrerin am Agnethler Lyzeum und siedelte 1989 mit der Familie, darunter drei Kindern, nach Herzogenaurach aus. In Deutschland studierte sie Wirtschaftswissenschaften, Lehramt Gymnasien an der Universität Erlangen-Nürnberg und unterrichtete einige Jahre an der Staatlichen Berufsoberschule Nürnberg. Über ihr vielseitiges Engagement sprach Siegbert Bruss, Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung, mit der Jubilarin, die an führender Stelle siebenbürgisch-sächsisches Leben in Deutschland mitgestaltet.
Du bist am 30. Mai 1957 in Agnetheln geboren. Welche Prägungen hast du in Familie, Schule und in der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft erfahren, die dich zu deinem jahrzehntelangen und vielseitigen Einsatz für die Siebenbürger Sachsen motiviert haben?
In meinem Elternhaus waren Gemeinschaftssinn und Ehrenamt auf der Tagesordnung. Als Lehrerstochter in einer Kleinstadt bedeutete das für mich schon früh, mich möglichst nützlich und im Sinne der vorgelebten Sitten einzubringen. Die Freiräume für meinen jugendlichen Übermut schaffte ich mir, auch in der Schule, durch Fleiß und Verlässlichkeit. Was die Pflege von Traditionen betrifft, hatte ich in Agnetheln viele tüchtige Vorbilder, so dass es z.B. selbstverständlich für mich war, in den 80er Jahren trotz kleiner Kinder auch die Organisation der Volksuniversität zu übernehmen – ein wahrer Segen, weil die Referenten, die ich zum Übernachten einlud, Interessantes aus der Welt in unsere Wohnung brachten.

Doris Hutter im Haus der Heimat in Nürnberg, ...
Doris Hutter im Haus der Heimat in Nürnberg, 2016. Foto: Inge Alzner
1989 bist du mit deiner Familie nach Deutschland ausgesiedelt. Wie hast du diesen Einschnitt empfunden, wie hast du dich auf die neue Heimat eingestellt?
Da die meisten unserer Freunde und Verwandten schon da waren, fiel es mir nicht schwer, hier heimisch zu werden. Den Kindern hier eine gute Schulausbildung in Deutsch ermöglichen zu können, war die wichtigste Triebkraft gewesen, die alte Heimat zu verlassen. Eine ganz neue (sehr bereichernde) Erfahrung machte ich, indem ich als dreifache Mutter nochmals Studentin wurde – „für Deutschland nichts Ungewöhnliches!“, hieß es beim Seminar der Otto-Benecke-Stiftung, also wagte ich es. Mein ehrenamtliches Engagement begann in der ev. Kirchengemeinde Herzogenaurach, wo ich meiner Mama Dorothea Oczko half, die von ihr 1993 eingeführten Sachsentreffen zu organisieren. 1995 begann ich mit dem Verfassen und Inszenieren von drei Kindermusicals, bei denen ein Franke, Gerald Fink, die Musik komponierte, und gründete 1997 für das Singspiel „Spännen as Ålden?!“die siebenbürgisch-sächsische Theatergruppe Herzogenaurach. Es folgte 2001 anlässlich der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage das Singspiel „Mensch, Kathi, schau nach vorn!“, das neben einer Blaskapelle auch Tanzgruppen der Banater Schwaben, Egerländer und Franken einschloss. Als Leiterin der Theatergruppe kam ich in den Vorstand der Kreisgruppe Nürnberg.

Einen weiteren Neuanfang hast du im Jahr 2000 gewagt. Seither arbeitest du nicht mehr als Lehrerin für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften, sondern als Geschäftsführerin. Was kannst du im Haus der Heimat hauptberuflich, für die Siebenbürger Sachsen und andere Vertriebenen und Aussiedler bewegen?
Es gibt aus unserer Kultur und unseren Traditionen so viel hier einzubringen! Uns hier möglichst professionell zu präsentieren, die Aussiedler und Vertriebenen zum Mitmachen zu motivieren und die mitgebrachten Bräuche an die hiesigen Gegebenheiten anzupassen, sehe ich als wichtige und hoch interessante Herausforderung. Ich fand in Horst Göbbel, dem Vorsitzenden des HdH, einen Geistesverwandten, konnte viel von ihm lernen und mit ihm einiges auf die Beine stellen. Auch die Organisation der Aussiedlerkulturtage der Stadt Nürnberg übernahm ich vor 17 Jahren von ihm.

Ziel des Hauses der Heimat ist es, der Begegnungsstätte und Kulturpflege eine Zukunftsperspektive zu bieten. Wie bezieht das HdH die Jugend mit ein, wie kooperiert ihr mit der Stadt, um die Kulturarbeit auf eine möglichst breite Basis zu stellen?
Jugendarbeit hat im HdH oberste Priorität. Für die 27 Kinder- und neun Jugendgruppen werden Projekte initiiert, es wird motiviert und gefördert. Außerdem haben wir 34 Erwachsenengruppen. Landsmannschaftlich übergreifende Veranstaltungen bereichern das HdH-Vereinsleben, wobei einzelne Gruppen beim gemeinsamen Auftreten oder Feiern die Vielfalt in der großen Einheit genießen. Über die Kegelbahn und das Angebot an öffentlichen Vorträgen kommen auch Einheimische ins Haus, was wir noch mehr ausbauen wollen, weil Begegnungen für eine gelungene Integration sehr wichtig sind. Den ersten Schritt zu Begegnungen machen jedoch wir: Durch mich ist das Haus der Heimat im geschäftsführenden Gremium des Stadtteilforums Langwasser vertreten, wo wir seit 2007 die Vernetzung von ca. 300 Institutionen, Initiativen und Einzelpersonen des Stadtteils organisieren und die Arbeit von elf Arbeitskreisen koordinieren. 2011 war ich Mitbegründerin des ersten ­Interkulturellen Gartens in Nürnberg und versuche durch Modellveranstaltungen Nachbarschaftsfeste in Langwasser zu etablieren. In der Flüchtlingshilfe haben wir uns auch engagiert, so dass das HdH inzwischen in den meisten Bereichen der Gesellschaft angekommen ist, ernst genommen, eingeladen wird. Kooperationen mit Sportvereinen, Kirchen, Schulen, Kinderhorten, Behindertenwerkstätten aus dem Stadtteil sind inzwischen Alltag im HdH. Man lernt sich kennen und das Interesse an unserem Schicksal, an unserer Kultur steigt.

Du bist Autorin von Mundartgedichten und -theaterstücken, setzt dich aber auch für andere Autoren ein. Welche Vorhaben konntest du bisher für die Mundartautoren und den Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Mundart realisieren?
Da wir in der Familie und auch mit meinem Enkelkind Sächsisch sprechen, ich schon an den Mundartautorentreffen in Siebenbürgen beteiligt war, weiß ich, dass man was tun muss, um die sächsisch Schreibenden zu motivieren, es weiterhin zu tun. Um die sächsische Rechtschreibung zu beherrschen, bedarf es der Hilfe von Hanni Markel. Also organisiere ich seit 2001 alle zwei Jahre ein Mundartseminar mit anschließender öffentlicher Lesung im HdH.

Als Agnethlerin liegt dir der Erhalt des Urzelnbrauches sehr am Herzen. Was konntest du, zusammen mit anderen Landsleuten, tun, damit der Brauch sowohl in Deutschland, speziell in Franken, und in Siebenbürgen fortgeführt wird?
Hier weitermachen, war die klare Devise. Schönste Überraschung: Wir gehören in Nürnberg zu den ältesten Fastnachts-Traditionsvereinen und werden dementsprechend gewürdigt! Das Vertrauen in die Agnethler Rumänen, die 2007 begeistert unseren Brauch übernommen und die „Breasla lolelor“ gegründet haben, führte dazu, dass der Brauch, begleitet und unterstützt von der HOG Agnetheln, am Ursprungsort weiterlebt. Daran mitgewirkt zu haben, macht mich besonders stolz.

Im Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland bist du als Stellvertretende Bundesvorsitzende und Kulturreferentin des Landesverbandes Bayern aktiv. Welche Akzente setzt du in diesen Ehrenämtern?
Im Bundesvorstand bemühe ich mich besonders um die Verbindung und optimale Zusammenarbeit mit dem HOG-Verband, versuche, Verständnis bei unseren Landsleuten für verantwortungsvollen Umgang mit unseren Trachten zu erreichen und die jungen Aktiven im Verband zu fördern und zu unterstützen. Als Kulturreferentin organisiere ich Sängerfeste und Tagungen, bei denen die Weiterentwicklung unseres Kulturlebens im Kreisverband im Mittelpunkt steht: neue Wege und Kooperationen erproben, unsere Werte in die Gesellschaft einbringen, den Landsleuten Stütze und im Kulturleben Wegweiser zu sein.

Wie geht es nach deiner Meinung weiter mit den Siebenbürger Sachsen? Oder anders gefragt: Was müssen sie tun, um noch möglichst lange weiter zu bestehen?
Wenn wir unsere Gemeinschaft so pflegen, dass wir bei aller Traditionspflege offen für Neues sind und uns in die Nachbarschaft vor Ort einbringen, werden wir nicht nur unsere Kinder überzeugen können mitzumachen, sondern auch den Respekt der Gesellschaft genießen. Dazu gehören Mut, Herz und Engagement.

Herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Glück, Gesundheit und Schaffensfreude in deinem Einsatz für die Gemeinschaft!

Schlagwörter: Verbandsleben, Kultur, Integration, Hutter, Agnetheln, Nürnberg

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