12. November 2018

Fachtagung in Bad Kissingen über materielles Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen

Vom 19. bis 21. Oktober fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen die Fachtagung zum Thema „Bewahren des materiellen siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes in der Heimatgemeinde – Was können die Heimatortsgemeinschaften beitragen?“ statt, veranstaltet von der Akademie Mitteleuropa in Zusammenarbeit mit dem HOG-Verband und maßgeblich gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Nach der Begrüßung durch Studienleiter Gustav Binder (Bad Kissingen) und Ilse Welther, Vorsitzende des HOG-Verbandes (München), folgte eine kurze Vorstellung der mehr als 100 Teilnehmer und der erste Vortrag von Hans-Georg Richter (Egmating) über „Kooperationsmodelle – Erfahrungen aus dem Renovierungsprojekt der Agnethler Kirchenburg“. Schwerpunkte des Referates waren die Suche nach geeigneten, fachkundigen Arbeitskräften und anwendungsgerechten, traditionellen Werkstoffen, aber auch nach sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten der Kirchenburg.

Bei der Filmvorführung „Gottes verlassene Burgen. Sächsische Wehrkirchen in Siebenbürgen“ konnte manch einer der Teilnehmer „seine“ Kirche erkennen und berichten, wie sie heute, rund zwanzig Jahre später, ausschaut.
Gruppenbild mit den Teilnehmern der Fachtagung in ...
Gruppenbild mit den Teilnehmern der Fachtagung in Bad Kissingen. Foto: Udo Buhn
Der Samstag wurde eröffnet mit einem Vortrag des Architekten Jan Hülsemann (Bremen) über „Das sächsische Bauernhaus in Siebenbürgen – Angepasste Technologien und Materialien zur Instandsetzung, Modernisierung und Umnutzung alter Häuser“. Wichtige Anliegen sind dabei der Erhalt des traditionellen Gassenbilds und der Hofstruktur sowie der bewusste Umgang und die Verwendung nachwachsender Materialien, die regional verfügbar sind.

Im Vortrag „Dachsanierung der traditionellen sächsischen Häuser“ wies Eugen Vaida (Alzen/Alţăna) darauf hin, dass ein Dorf idealerweise in der Landschaft „verschwinden“ soll und die Farben in der Natur integriert sind. Er nannte zahlreiche Aktionen, in denen versucht wird, die ortsansässige Bevölkerung für den architektonischen und historischen Wert ihrer Gebäude zu sensibilisieren. Eine „Karte der Handwerker und volkstümlichen Produkte“ wird Interessenten noch dieses Jahr zur Verfügung gestellt.

Sebastian Bethge sprach über „Handwerk und Denkmalpflege an siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen“. Der aktuelle Zustand der Kirchenburgen: 34% sind verfallen/ruinös, 24% schlecht/ungepflegt, 23% befriedigend/gepflegt, 19% gut/sehr gut. Zukunftsvisionen und Projekte der Stiftung Kirchenburgen sind: Aufbau Denkmalpflege-Abteilung, Kirchenburgen-Bauhütte/Einsatzteam, Dächer-Programm, Bestandsaufnahme/Inventarisierung und Bauforschung. Die Denkmalpflege in Rumänien sei sehr schwach und habe wenig Lobby. Von zentraler Stelle in Bukarest wurden die Kirchenburgen kürzlich von der Unterstützungsliste ausgeschlossen, und zwar mit der fadenscheinigen Begründung, es handele sich lediglich um Privatbesitz.

Dr. Irmgard Sedler (Kornwestheim) referierte über die „Renaissance der siebenbürgischen Häuser“, die ein kulturelles Kapital für Marktgeschehen und Tourismus seien. Die im Sommer in Siebenbürgen lebenden Sachsen knüpfen an das „Alte“ an und erhalten Güter für die Zukunft. Der „Mihai Eminescu Trust“ hat etliche Bauernhöfe historisch nachhaltig renoviert, mit alten Möbeln eingerichtet und dem Tourismus zur Verfügung gestellt. In Deutschweißkirch wurde das Rad der Geschichte sozusagen zurückgedreht: Englische Touristen schlafen gerne in alten Schlaftruhen und Schlafschubladen in den Bauernstuben.

Die provokante Frage „Siebenbürgisch-sächsisches Kulturgut retten – ist das sinnvoll?“ beantwortete Studiendirektor a.D. Horst Göbbel (Nürnberg) in einem gekonnten Vortrag. Er stellte folgende Thesen zum Erhalt des kulturellen Erbes der Deutschen in Rumänien auf:
  • Das Kulturerbe kann zwar nicht in seiner Gesamtheit gerettet, aber es kann mehr bewahrt werden, als auf den ersten Blick möglich erscheint.
  • Die in Siebenbürgen lebenden Sachsen und die Ev. Landeskirche in Rumänien sind von der Größe der Aufgaben überfordert.
  • Entscheidend für die Bewahrung des Kulturgutes sind gleichgesinnte Partner vor Ort.
  • Viele von uns müssen ihr Verhältnis zu „den Rumänen“ grundlegend überdenken und sie langfristig als Erbe unserer zivilisatorischen Hinterlassenschaft in Siebenbürgen sehen. Die Erlebnisgeneration unter den Deutschen – ob in oder der außerhalb Rumäniens – sollte animiert werden, sich an der Rettung ihres Kulturerbes zu beteiligen.
  • Wesentlich erscheint, Partner aus allen möglichen Bereichen in Europa zusammenzuführen, Konzepte zur Bewahrung des deutschen Kulturerbes zu entwickeln und umzusetzen.
  • Nur wenn der rumänische Staat das siebenbürgisch-sächsische Kulturgut als nationales Kulturgut anerkennt und es für schützenswert erklärt, hat es eine Zukunftschance.

  • Daraus abgeleitet formulierte Horst Göbbel den Auftrag, das Kulturgut bekannt zu machen, denn „Was man kennt, das schätzt man. Was man schätzt, dass schützt man.“

    Nach der Sonntagsandacht, gehalten von Pfarrer Harald Schneider (Steinau), referierte Dr. Ingrid Schiel (Gundelsheim a.N.) über die Trachtendokumentation. Ein umfangreicher und aussagekräftiger Fragebogen, der auf der Webseite des HOG-Verbandes heruntergeladen werden kann, soll dazu beitragen, dass HOGs die Trachten ihres Ortes sehr bald dokumentieren, solange noch Kenner der ortstypischen Details verfügbar sind. Entwickelt wurde der Fragebogen von Ines Wenzel und Ingrid Schiel. Die Referentin ist gerne bereit, bei der Arbeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen (schiel [ät] siebenbuergen-institut.de). Zur Mitarbeit sind neben den HOGs auch andere Interessierte aufgerufen. Die Dokumentation wird im Archiv des Siebenbürgen-Instituts und beim HOG-Verband hinterlegt.

    Außer den Trachten verfügen die Siebenbürger Sachsen über eine ganze Reihe weiterer „Beweglicher Kulturgüter“, wie Dr. Horst Müller (Leidersbach) in einem Vortrag feststellte. Anhand von Beispielen zeigte er auf, wo sie sich befinden, wie sie beschrieben und dokumentiert sind, wodurch sie gefährdet sind und wie einige Kulturgüter schon verloren gingen. Müller rief dazu auf, die beweglichen Kulturgüter in jeder HOG zu erfassen. Die anstehende Bestandsaufnahme könnte zurückgreifen auf Veröffentlichungen in Zeitungen, Büchern, im Internet, auf gezieltes Befragen von Zeitzeugen oder auf das Aufarbeiten von Inventurlisten (z.B. „Neicov-Inventar“).

    In den lebhaften Diskussionsbeiträgen wurde unter anderem angeregt, eine Übersicht der Institutionen und einen Leitfaden mit praktischen Tipps für die HOG-Arbeit zu erstellen. Die gelungene Fachtagung bot dabei zahlreiche Anregungen, sich konzeptionell und praktisch für den Erhalt des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes und der Gemeinschaft einzusetzen. Eine ausführlichere Version dieses Berichtes finden Sie unter http://hog-verband.de/wp-content/uploads/2018/11/Bericht-HOG-Fachtagung-Bad-Kissingen.pdf.

    Horst Müller

    Online-Bildergalerie auf Siebenbuerger.de: HOG-Tagung zum Thema Kulturerbe in Bad Kissingen

    Schlagwörter: HOG, HOG-Verband, Tagung, Bad Kissingen, Kulturerbe, Kirchenrenovierung, EKR

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    Neueste Kommentare

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    • 12.11.2018, 15:14 Uhr von haraldgitschner: Wenn die Kirchenburgen von zentraler Stelle in Bukarest von der Unterstützungsliste ausgeschlossen ... [weiter]

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