8. Oktober 2018

"Gedenktage sind Denkmäler der Zeit": Zenderscher erinnern an den Luftangriff vom 9. September 1944

Am 11. August 2018 wurde in einer Gedenkfeier in Sângeorgiu de Mureș an die Opfer des Luftangriffs auf die zivile Bevölkerung der Zenderscher und der vier Nachbargemeinden Rode, Zuckmantel, Felldorf und Maniersch erinnert. Von einer freiwilligen oder gar geordneten Evakuierung konnte im September 1944 keine Rede sein. Mit Pferden, Büffeln und Ochsengespannen machten sich die meisten der 1 318 sächsischen Einwohner von Zendersch auf den Weg. Nur 67 meist ältere blieben zurück.
Aus den Dokumenten des Militärarchivs in Neumarkt am Mieresch (Târgu Mureș) geht hervor, dass die flüchtenden Siebenbürger Sachsen auf dem Weg zwischen Neumarkt und Sângeorgiu de Mureș mit dem Schrecken des Krieges konfrontiert wurden. Sie wurden von rumänischen Flugzeugen des Typs JU-87 und Me-109G – einige mit deutschen Hoheitszeichen – mit Bordwaffen beschossen und bombardiert.

Der zahlreichen Opfer gedachten am 11. August über 60 Zenderscher sowie geladene Gäste aus Neumarkt und Sângeorgiu mit einer Kranzniederlegung an einem Kreuz und Ansprachen (siehe auch Reisebericht in der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 14 vom 10. September 2018, Seite 22). Sprecher der Gedenkfeier waren Alfred Gross, stellvertretender Vorsitzender der HOG Zendersch, Cosmin Blaga, Sprecher des Rathauses Neumarkt, Ilarie Opriș, Zeitzeuge aus Sângeorgiu, Vorsitzender der Künstler des Kreises Muresch, und Peter Moldovan, Direktor für Kultur und Geschichte, Sângeorgiu. Die Ansprache von Alfred Gross wird im Folgenden wiedergegeben.
Zenderscher und geladene Gäste aus Neumarkt und ...
Zenderscher und geladene Gäste aus Neumarkt und Sângeorgiu de Mureș gedachten der Todesopfer des Luftangriffs vom 9. September 1944. Foto: Dorina Buzila
Wir stehen hier an einem Ort, der für Zendersch und vier Nachbargemeinden eine enorme historische Bedeutung hat. Es ist der Ort, der eines der schlimmsten Erlebnisse für die Beteiligten und ihre Familien bereithalten sollte. Es war der Tag der Flucht vor dem Krieg in die Freiheit. Zumindest hatte man ihnen das versprochen.

Es war der 9. September1944. Für unsere Zenderscher und alle betroffenen Gemeinden war es ein tief einschneidendes Ereignis im Gemeindeleben. Es bedeutete die Trennung vieler Familien, die nach dem Krieg nicht mehr in ihre alte Heimat zurückfanden. Eine Gemeinschaft wurde auseinandergerissen, die über Jahrhunderte in guten und schlechten Zeiten zusammen gelebt hatte, eine Gemeinschaft, die vieles bewältigt und Krisen gemeistert hatte.

„Nationale Grenzen dürfen Totengedenken nicht behindern“, sagte Dr. Bernd Fabritius in seiner Ansprache am 20. Juni 2018 anlässlich des Gedenktages von Flucht und Vertreibung in Berlin und wies darauf hin, den zivilen Toten dieser Zeit die Ehre zu erweisen, die oft auf der Flucht am Wegesrand verscharrt wurden und deren Gräber keinen Namen trugen. Der Opfer zu gedenken, die unverschuldet in Not geraten waren, sei eine Aufgabe, die grenzüberschreitendes Engagement erfordere.

Schuldige braucht man nicht mehr zu suchen. So waren nun mal der Krieg, die Diktatoren und die Handlanger, die ihre Befehle ausführten. Niemals hat ein Krieg Gewinner, es gibt nur Verlierer.
Gedenkstätte mit Kranzniederlegung für die 12 ...
Gedenkstätte mit Kranzniederlegung für die 12 Opfer des Luftangriffes aus Zendersch. Foto: Dorina Buzila
Meine damals 17-jährige Mutter Katharina Gross beschrieb diesen Angriff so: „Wir, die ganze Kolonne der Wagen, von Büffeln, Ochsen und Pferden gezogen, hatten angehalten, um eine Rast einzulegen. Auf einmal tauchten Flieger am Horizont auf, die über uns hinwegzogen, es waren ca. 13 an der Zahl. Kurz danach wendeten sie und kamen im Sturzflug auf uns zu, es fielen auf einmal Bomben. Das Chaos brach los, alle flüchteten, wer sich nur bewegen konnte, in das naheliegende Maisfeld auf der linken Seite. Ich hatte einen Bombensplitter in der Hüfte, mein Cousin Andreas Weber eine Wunde über dem Auge, die stark blutete, aber wir waren noch am Leben.“

Regina Frintz erzählte mir vor ein paar Wochen, dass sich der Treck nach dem Angriff in einen Ort der Verwüstung verwandelt hatte – Rauch, Nebel und Tote. Menschen und Tiere in einem schrecklichen Zustand. „Für uns war die heile Welt in ein paar Minuten zusammengebrochen.“ Regina Konyen (geborene Taub) aus Gunzenhausen schilderte mir unter Tränen, dass ihr damals neunjähriger Bruder Hansi an ihrer Seite verblutet sei.

Laut Statistik hatten die Zenderscher die meisten Toten zu beklagen. Es waren 12: Andreas Gross (42 Jahre alt), Georg Rader (34), Johann (Hansi) Taub (9), Regina Taub (20), Georg Kreischer (47 Jahre), Katharina Rader, geborene Ungar (35), Johann Rader (35), Johann Wiesen (54), Anna Hinzel, geborene Kappes (23), Georg Frintz (53), Katharina Gross (11), Anna Tatter, geborene Henning (61).

„Gedenktage sind Denkmäler der Zeit“ – so lautet ein Zitat von Aleida Assmann. Aus solch einem Tag sollten Lehren gezogen werden: Frieden ist kostbar, Humanität muss am Anfang des Denkens stehen. Wir hoffen, dass die Europäische Union, die Völker Europas in Zukunft Krieg und Verbrechen bekämpfen und den Zusammenhalt fördern, damit sich solche Ereignisse nie mehr wiederholen und die Menschheit nie wieder so viel Leid erfahren muss. Danke an alle, die zu dieser Gedenkstunde gekommen sind. Vor allem danke ich dem Zeitzeugen Ilarie Opriș für die Hilfe und Aussagen vor Ort, allen Sprechern und Teilnehmern, die uns unterstützt haben, diese Feier zu gestalten.

Alfred Gross

Schlagwörter: Gedenken, Krieg, Zendersch

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